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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 36
56. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Die Kultur des Anderen bewundern
Das Beethovenfest Bonn 2007: innovativ, experimentierfreudig,
klassisch
Beethovenfest Bonn – das waren die-ses Jahr 61 Konzerte,
davon acht Uraufführungen, darunter die Skandal-oper „Freax“ von
Moritz Eggert, ein Streichquartett von James Clarke, Nigel Charnocks
Performance zu Beethovens „Brief an die unsterbliche Geliebte“,
Mauricio Kagels Trio Nr. 3 für Violine, Violoncello und Klavier
und das Orchesterwerk des ägyptischen Komponisten Mohamed
Saad Basha. Die bunte Uraufführungsmischung macht Bonn noch
nicht zum Donaueschingen am Rhein. Fraglos aber hat es Ilona Schmiel,
die ihre „Lehrjahre“ bekanntlich in Donaueschingen
absolviert hat, in den drei Jahren ihrer Bonner Intendanz geschafft,
das Festival neu zu positionieren: es gilt heute als innovativ
und experimentierfreudig, dem Event nicht abgeneigt und dennoch
Beethovens Erbe verpflichtet. Etwa 70 Prozent Eigenproduktionen
zeugen vom neuen Bonner Profil und das alles bei zumeist vollem
Haus. Ein Besuch einiger sehr unterschiedlicher Veranstaltungen
an einem Wochenende in Bonn mag diese Einschätzung verdeutlichen.
Beethoven
mit und ohne Kopftuch: Streicherinnen des Cairo Conservatory
of Music Orchestra. Foto: Barbara Frommann
Nicht den anderen mit seiner Kultur zu beglücken, verstehe
er unter Kulturaustausch – Kulturaustausch sei im Gegenteil
als der Versuch anzusehen, den anderen zu verstehen und seine Kultur
zu bewundern. Der Verwaltungsdirektor der Deutschen Welle, Reinhard
Hartstein, brachte in seiner Ansprache nach einem Konzert des Cairo
Conservatory of Music Orchestra die Philosophie der Campus-Konzerte
im Rahmen des Beet-hovenfestes Bonn auf den Punkt. Das Projekt
Orchestercampus von Deutsche Welle und Beethovenfest ist mit dieser
Live-Übertragung nach Kairo ins siebte Jahr gegangen und hat
nach Europa und Asien erstmals die arabische Welt erreicht.
Echter Kulturaustausch
Das Cairo Conservatory of Music Orchestra existiert bereits seit
1967, Auslandstourneen waren seit den 90er-Jahren nicht mehr möglich.
Umso bemerkenswerter, dass gerade dieses Orchester nach Bonn kommen
konnte – Völkerverständigung durch Musik beschränkt
sich bei diesem Campusprojekt nicht auf das Spielen von Beethoven,
sondern ist echter Kulturaustausch: Die jungen Musiker und Musikerinnen
lebten bei Gastfamilien, tauschten sich mit jungen deutschen Musikern
aus und arbeiteten im Rahmen der Campus-Werkstatt mit dem Dirigenten
Peter Gülke an Werken von Beethoven, Britten und Weber.
Beethoven und Britten standen auch auf dem Programm des live
in ganz Ägypten ausgestrahlten Konzertes unter der Leitung des
bulgarischen Dirigenten Ivan Filev. Vor diesem mitteleuropäischen
Kulturgutexport stand die Uraufführung einer etwa zehnminütigen
Komposition von Mohamed Saad Basha. Das Stück für verstärkte
Laute, Riqq – die arabische Form des Tamburins – und
Orchester folgte in seiner Bauweise einem traditionellen ägyptischen
Konzept. Basha, der selbst dirigierte, verwendete unter anderem
arabische Modi, von denen einige Vierteltöne umfassen und
einem ganz eindringlichen Rhythmus zusammengehalten werden.
Als Kontrastprogramm dann Benjamin Brittens „Simple Symphony
op. 4“ und nach der Pause die Zweite Symphonie von Ludwig van Beethoven.
Intonationsschwächen im Blech glichen die jungen Instrumentalisten
durch Verve aus. Und nach zwei Zugaben gab es Standing Ovations
für die Ägypter. Es war die Begeisterung, die zählte.
Vertanzter Beethovenbrief
Wer sich von der Improvisation über Beethovens „Brief
an die unsterbliche Geliebte“ einen literarisch-musikalischen
Abend erhofft hatte, sah sich schnell getäuscht. Der Stimmakrobat
und Performancekünstler Nigel Charnock vertanzte Beethovens
Brief auf atemberaubende, mitunter schockierende Weise. Unterstützt
von Improvisationsspezialisten wie Michael Riessler an Bassklarinette
und Zither, dem jungen deutschen Wunderkind des Jazzgesangs, Michael
Schiefel, und dem Tischperkussionisten Jean-Pierre Drouet. Allein
dessen Arbeit mit unterschiedlichen Utensilien auf seinem Tisch
war ein optisches und akustisches Vergnügen. Charnock ist
der seltene Glücksfall des tanzenden Schauspielers oder sprechenden
Tänzers – je nach Perspektive. Weit entfernt von der
Textvorlage zeigte er Beethoven als leidenschaftlichen Liebhaber,
aber auch als exzentrischen und unverstandenen Menschen und Künstler.
Eine Performance, die Hör- und Sehgewohnheiten brüskierte.
Brüsk wirkte auch die Interpretation von Beethovens Großer
Fuge op. 133 am darauf folgenden Abend durch das Arditti-Quarttet.
Eingebettet in einem Programm aus zeitgenössischen Streichquartetten,
spielten Irvine Arditti, Ashot Sarkissjan, Ralf Ehlers und Lucas
Fels die Fuge als eine wilde Jagd, und verzichteten auf alles Statuarische
und Erhabene. Mit Werken von Thomas Adès, Simon Bainbridge,
Brian Ferneyhough und Jonathan Harvey breiteten die vier Streicher
die Kunst des Streichquartetts der Gegenwart vor dem Bonner Publikum
aus. Die Uraufführung des vor Energie knisternden Streichquartetts „Untitled
No 4“ von James Clarke direkt im Anschluss an die Fuge Beet-hovens
war ein gekonnter dramaturgischer Kunstgriff der Ardittis.
Dann die Nacht der Stimmen: Man ging durch die Stadt, vom Beethovenhaus
zum Münster, von der St. Remigius Kirche zur Schlosskirche.
Sich treffen, sich begegnen, sich austauschen – hier war
das Festival ganz bei sich. Auch die Auswahl der Ensembles war
geglückt: Der Choir of King’s College Cambridge, das
Hilliard Ensemble und Singer pur standen für die Traditionslinie
des A-Cappella-Gesangs. Das finnische Ensemble Rajaton und das
Vokalquartett schnittpunktvokal aus Kärnten kamen zwar nicht
aus der Meisterkurs-Schmiede der Hilliards, brauchten sich vom
Niveau her jedoch nicht hinter den großen Namen zu verstecken.
Unmusikalisches Auge
Beethovens Mondscheinsonate fürs Auge statt fürs Ohr
bot Götz Lembergs Lichtinstallation im T-Mobile Forum. Lemberg
hatte den 1. Satz dieses Hits unter den Beethoven-Sonaten Ton für
Ton in Lichtimpulse umgesetzt. Vom tiefsten rot bis zum blau in
den hohen Lagen erklang die Musik optisch. Es gab zwei Versionen:
eine stumme und eine, bei der die Mondscheinsonate leise dazu ertönte.
Schnell stellte sich die banale Erkenntnis ein, dass das Auge nicht
musikalisch ist. Das Sehen der Farbfolgen stand in keinem Zusammenhang
mit dem inneren Hören der Sonate. Anders zwei weitere Installationen
Lembergs, bei denen sich die Synästhesie von Klang und Licht
sofort erschloss.
Ein Wochenende in Bonn, das einen beinahe vergessen ließ,
wie viel originalen Beethoven man auf dem Beethovenfest hören
kann – und das einem aufzeigte, wie viel Zukunft sich im
scheinbar so vertrauten Œuvre Beethovens noch verbirgt.