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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 38
56. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Wiedererweckte Neue Jüdische Schule
Das Festival des Vogler-Quartets: das Programm der Homburger
Kammermusiktage 2007 als Spurensuche
Die jährlich stattfindenden „Homburger Kammermusiktage“ in
der zweiten Junihälfte, in den 80er-Jahren von dem Cellisten
Claus Kanngießer begründet, werden seit 2001 künstlerisch
jedoch vom Vogler-Quartett geleitet, unterstützt von den überaus
rührigen „Kammermusikfreunden Saar-Pfalz e.V.“ Damit
hat sich neben den überregional gleichermaßen geschätzten „Homburger
Meisterkonzerten“, wo sich mit Rostropowitsch, Ashkenazy,
Agerich, Mutter die Besten der Welt die Klinke in die Hand drücken,
und einer hörenswerten Jazz-Reihe im Sommer ein drittes Event
etabliert, das vielleicht anders als namhaftere Festspiele durch
seinen familiären Charme besticht. Dazu gehören die privaten „Après
concerts“ ebenso wie die offenen und eintrittsfreien Proben
vor allem für die schulische Jugend, was in diesem Jahr den
saarländischen Kulturminister bewogen hat, als einer der vielen
Sponsoren und Förderer die Schirmherrschaft zu übernehmen.
Der Programmschwerpunkt in diesem Jahr war die Wiedererweckung
vergessener oder gar unterdrückter Werke der „Neuen
Jüdischen Schule“, für die Namen wie Grigori Krejn,
Joseph Achron, Israel Brandmann oder Simeon Bellison stehen. Man
musste sie in verstaubten russischen, polnischen oder israelischen
Archiven erst mühsam auffinden. Bei der Spurensuche hatten
Primarius Tim Vogler, Frank Reinecke (2. Violine), Stefan Fehlandt
(Viola) und Stephan Forck (Cello) engagierte Helfer, vor allem
im russischen Musikwissenschaftler und Pianisten Jascha Nemtsov,
einem wahren Spezialisten im Klavierbegleiten, oder im israelischen
Klarinettisten Chen Halevi, der die Klezmertradition ebenso brillant
beherrschte wie die hohen Ansprüche etwa in Beethovens „Gassenhauer-Trio“ op.
11, aber auch in befreundeten Künstlern wie Monika Leskovar
(Cello), Graham Oppenheimer (Viola), Robin Tritschler (Tenor) und
Ian Parker (Klavier).
Den vergessenen Werken der „Neuen Jüdischen Schule“ wurden
in Homburg Kompositionen arrivierter jüdischer Komponisten
gegenübergestellt, so von Mendelssohn-Bartholdy, Mahler, Schönberg,
Strawinsky oder Milhaud, ergänzt mit kommentierender Musik
unter jüdischem Einfluss unter anderem bei Mussorgsky, Ravel
oder Schostakowitsch. So brillant diese arrivierte Musik auch aufgeführt
wurde, sie sollte hier etwas zurückstehen und den Blick auf
die Wiederentdeckungen freigeben.
Der blieb sicher an Grigori Krejn (1879–1957) haften, von
dem aus den wenigen Veröffentlichungen in der Orangerie von
Blieskastel das 1925 entstandene „Prélude für
Klarinette, Klavier und Streichquartett“ mit Chen Halevi
(Klarinette), Jascha Nemtsov (Klavier) und dem Vogler-Quartett
erklang. Es war in seiner Klangraffinesse ein erstaunliches Zeugnis
des russischen Impressionismus, der hier ganz anders klang wie
bei Skrjabin. Man sollte die Einschätzung des Max-Reger-Schülers
nicht von diesem einzigen Stück ableiten und die Schatztruhe
seines Gesamt-Oeuvres endlich öffnen.
Zur gleichen Generation zählt auch Simeon Bellison (1883–1953),
der nach der Oktoberrevolution allerdings den Absprung in die USA
schaffte und dort bis 1948 als Soloklarinettist der New Yorker
Philharmoniker und angesehener Lehrer (unter anderem von Benny
Goodman) Karriere machen konnte. Mehrmals wie im Eröffnungskonzert,
in einem Schülerkonzert und im Abschlusskonzert zitierten
das Vogler-Quartett zusammen mit dem Pianisten Jascha Nemtsov und
dem Klarinettisten Chen Halevi aus der 1925 im amerikanischen Exil
entstandenen Kindersuite op. 57 von Joseph Achron (1886–1943),
deren jiddisch klingende Besetzung von der sechs Jahre zuvor entstandenen „Ouvertüre über
hebräische Themen“ von Sergej Prokofieff übernommen
wurde.
Es ist ein buntes Kaleidoskop kindlicher Erlebnisse mit der „Langeweile“,
mit der Spannung, was nach „Herausgestreckter Zunge“ wohl
blüht, mit „Elefanten“ oder „Affen“,
mit einem „Zug von Geschenken“ oder beim Lauschen auf
den „Gesang eines kleinen Vogels“. Vor allem war es
in der witzigen Gestaltung der Künstler ein einziges Hörvergnügen
auch für Erwachsene.