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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 37
56. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Was gefällt, wird auch gekauft
Die dritte Kölner Musiknacht in der Dialektik von Musik im öffentlichen
Raum
Alle ausgegeben! heißt es am Kassentisch – mehr als
einmal in dieser dritten Kölner Musiknacht. Wer zu spät
kommt, wird mit Entzug der Programmzettel bestraft. Andererseits:
Was kann einem Veranstalter wie dem „Initiativkreis Freie
Musik“ besseres passieren als dass man ihm dieselben aus
den Händen reißt? Natürlich hat der Ansturm auch
mit einem besonderen Serviceangebot zu tun. Gespielt wird nämlich
unentgeltlich, so dass tatsächlich
ein einziges Ticket zu unerhörten fünfzehn Euro als Eintrittsbillet
für sämtliche 100 Konzerte an 25 Spielstätten reicht – zumindest
theoretisch.
Praktisch stellt sich die Aufgabe für den motivierten Hörer
ein wenig anders dar. Zwar ist, von einer Ausnahme abgesehen, die
Musik (eine Kölner Eigenart) auch in diesem Fall komplett
linksrheinisch lokalisiert mit einem quasinatürlichen Ereigniszentrum
um den Dom, nur dass bei Konzerten im 45-Minuten-Takt eine Viertelstunde
für den Ortswechsel unter Umständen knapp bemessen sein
kann. Ein „Wandelkonzert“ wie von den Veranstaltern
der dritten Kölner Musiknacht prätendiert, ist es allenfalls
für diejenigen, die es vorziehen, an einer Spielstätte
zu verweilen. Für alle anderen heißt es, alsbald das
Ränzlein schnüren, um den Beginn andernorts nicht zu
versäumen. Wem (wie dem Rezensenten geschehen) sein strammer
Schritt in diesem nächtlichen Musikparcours durchs „ale
hilje Kölle“ irgendwann abhanden kommt, sieht sich (siehe
oben) im Hintertreffen.
Tönendes Füllhorn
Andererseits – noch jedes Individualprogramm, das sich aus
diesem tönenden Füllhorn zusammenstellen ließ,
demonstrierte eindrücklich die hochgetaktete Frequenz der
freien Kölner Musikszene, ohne die, soviel steht fest, die
Lichter in der Domstadt ausgehen würden. Eine Einsicht, der
sich auch das professionelle Stadtmarketing geöffnet hat,
so dass sich die Kampagnenmacher ums hohe Gut der „Gästeankünfte“ ihrerseits
zum dritten Mal beteiligten. Die „Destination Köln“,
so KölnTourismus-Geschäftsführer Josef Sommer, profitiere „von
dem außergewöhnlichen Event, das mit hoher Professionalität
und ganz viel Herzblut vorbereitet wird“. Eine Aussage, die
in allen Teilen ausgesprochen zutreffend ist. Nur eine Bemerkung
des obersten Kölner Tourismusmanagers bedarf doch der vorsichtigen
Nachfrage, des Nachhakens.
Wenn den Solisten der jetzt dritten Kölner Musiknacht, den
Pianisten, Cembalisten, Organisten, all den Improvisationskünstlern,
Liveelektronikern und Performanceartisten, den Gesangs- und Instrumentalensembles
alter wie neuer Musik, den Jazzern und Weltmusikern der Domstadt – wenn
ihnen von einem Kulturingenieur in Festanstellung „Herzblut“ attestiert
wird, sollte sie dies nachdenklich stimmen. Vom Standpunkt der
sorgenfreien Existenz mag das unentgeltliche Engagement, respektive „Herzblut“,
etwas Rührendes an sich haben. Unterdrückt wird dabei
geflissentlich, dass frei berufliche Musiker tatsächlich aus
einer solitären Quelle leben: Aus ihren Engagements, die sie
abschließen – oder nicht.
Vernetzung und Wahrnehmung
So versteht man es gut, dass der „Initiativkreis Freie Musik“ neben
einer „stärkeren Vernetzung der Akteure“ auf eine „bessere
Wahrnehmung ihrer Leistungen“ dringt. Denn dass sich die
Interpreten beim musiknächtlichen Auftritt mit einer Aufwandsentschädigung
zufrieden geben, kann seinerseits allenfalls als Good-Will-Aktion
denn als wirkliche Marketingstrategie verstanden werden. Immerhin
haben sich, auskünftlich des Programmhefts, „seit 1999
inzwischen fast 300 freiberuflich arbeitende Musiker, Ensembles
und Veranstalter zusammengeschlossen, um auf die chronische Unterfinanzierung
der Kölner freien Musikszene aufmerksam zu machen und für
die Umsetzung des dringend benötigten Musikförderkonzepts
einzutreten“.
Letzteres, so IFM-Sprecherin Maria Spering, hätte für
die Musiker nachzuholen, was für die Bildenden Künstler
und Theaterleute bereits vorliegt. Es gehe um beides: Das Bewusstsein
der Freien dafür zu stärken, welche unverzichtbare Rolle
sie für den Werbeartikel „Musikstadt Köln“ spielen
und dass dies gegebenenorts, in Politik und Öffentlichkeit,
wahrgenommen, gewürdigt wird.
Nicht nur mit Worten. Natürlich freue man sich über die
Beteiligung so potenter Partner wie der Kölner Philharmonie
und des Westdeutschen Rundfunks. Umgekehrt, vermutet Maria Spering,
halte man professionellerseits wohl auch nach neuen Publikumsschichten
Ausschau. Dass die Schaufelräder der Großen vom Schwung
der Kölner Musiknacht ein wenig mitgetrieben werden, mag in
Ordnung gehen, wäre da nicht die andere Seite, die Sorge der
Freien, dass ihnen in einem prinzipiell unkalkulierbaren Marktgeschehen
das Wasser abgegraben wird.
Wie man es dreht und wendet: Die Kölner Musiknacht der freien
Szene, so bewundernswert und erfolgreich sie auch in ihrer dritten
Ausgabe ist, bleibt mit der grundsätzlichen Zwickmühle,
der Dialektik von Musik im öffentlichen Raum konfrontiert.
Bekanntermaßen hat man es dort mit Konsumenten zu tun, die
sich, wie beim Shoppen, auch in ihrem Musikgeschmack, in ihrer
Musikwahrnehmung vom Gusto leiten lassen: Was gefällt, wird
gekauft. Was nicht, wird Ladenhüter.
Das Innovative in der Kunst, das naturgemäß noch ohne
Muster und Vergleich ist, hat es schwer in diesem Milieu. Nicht
gering insofern die Gefahr, dass die Erwartungshaltung von Konsumenten
in Vorbereitung wie Durchführung der Produktionen einfließt,
dass Stil, Ausdruck und Haltung dadurch bestimmt werden. Anzeichen
dafür waren auch bei der Kölner Musiknacht zu erkennen.
Bedrückend zu sehen, wie die in den Spielstätten-Reigen
einbezogene Antoniterkirche, eine (wie man dachte) letzte Bastion
in einer wuchernden Shoppingwelt, von Konsumpalästen und Kommerzbuden
buchstäblich stranguliert worden ist. Der äußeren,
so bereitwillig hingenommenen Verschandelung (nicht nur) dieses
architektonischen Kleinods, korrespondiert eine drohende Anpassung
der Akteure: Musik als konsumatorisches Ereignis – von der
beteiligten KölnTourismus GmbH in Gestalt ihres Geschäftsführers
dankenswerterweise auf den Punkt gebracht: „Sie können
musikalisch erfahren: Köln ist ein Gefühl.“
Dem zur Verabschiedung anstehenden „Musikförderkonzept“ des
IFM wäre zu wünschen, dass es dagegen – im Bewusstsein
einer gar nicht mehr so abstrakten Anpassungsgefahr an den Zwang
der Verhältnisse – (wieder) die Freiheit der Kunst ins
Spiel bringt. Allzuviel „Herzblut“ sollte nicht mehr
fließen müssen.