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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 38
56. Jahrgang | Oktober
Oper & Konzert
Ein Festival, das aus „Der Reihe“ kommt
Sommer in Stuttgart: ein neues Festival in der baden-württembergischen
Hauptstadt
In einem Leitartikel der nmz zur Ära des Opernintendanten
Klaus Zehelein hatte Gerhard Rohde Stuttgart noch vor einem Jahr
zu „einer Art Welthauptstadt der Neuen Musik“ erklärt
(nmz 9/06, S. 1).
Doch der Höhenflug war damals bereits vorbei. Nach dem ISCM
World New Music Festival
(WNMF), das viele Kräfte vereint, aber auch verzehrt hatte,
nach dem Ende des einzigartigen Forums Neues Musiktheater, dessen
Bedeutung zu erkennen sich Stadt und Land bis zuletzt hartnäckig
geweigert hatten, fiel die schwäbische Landeshauptstadt von
der Pole Position zurück in ein tiefes Loch. Zu allem Überfluss
hatte der SWR-Intendant Peter Voß zum Ende seiner Amtszeit
auch noch dem stets gut besuchten Eclat-Festival die Kompositionsaufträge
gestrichen. Mit einem Spagat zurück in die Romantik schaffte
es dessen künstlerischer Leiter Hans-Peter Jahn zwar, mit
knappen Ressourcen ein halbwegs konsistentes Programm zusammenzustellen.
Doch das Publikum hat die Lücken sehr genau registriert und
wird mit einer Hilfskonstruktion auf Dauer nicht zu halten sein.In
dieser Situation ein zweites jährliches Festival für
Neue Musik ins Leben zu rufen, scheint auf den ersten Blick gewagt.
Freilich bietet der „Sommer in Stuttgart“, der nun,
ein wenig in wehmütiger Erinnerung an das letztjährige
große Festival, vom 28. Juni bis 1. Juli zum ersten Mal stattfand,
keinen eigentlich zusätzlichen Programmpunkt im jährlichen
Kalender der Stadt. Er ersetzt vielmehr „Die Reihe“,
eine bisher an wechselnden Orten ausgetragene Konzertreihe, die
nach dem Wegfall des Musiktheater-Forums ohnehin einer Neudefinition
bedurfte: Statt über das Jahr verteilt findet die Kooperation
von Musik der Jahrhunderte, SWR, Staatsoper und Akademie Schloss
Solitude nun im Rahmen eines jährlichen Sommerfestivals statt.
Um es klar zu sagen: Das Eclat-Festival kann der Sommer in Stuttgart
nicht ersetzen. Weder gab es Orchesterkonzerte noch viele übergreifende
Projekte, wie sie sich bei Eclat immer großer Beliebtheit
erfreuen. Denn das Einpersonen-Theater „Femmina Balba“ des
iranischen Regisseurs Hamed Taheri mit der Darstellerin Elisa Rössler
steht auf einem anderen Blatt: ein außergewöhnliches
Projekt in der Tradition Antonin Artauds, das nur in Folge des
WNMF bei Musik der Jahrhunderte gelandet ist.
Dafür gab es viel reine Musik erster Güte: Zweiminütige
Miniaturen mitgerechnet waren es 17 Uraufführungen, dazwischen
Namen wie Georges Aper-ghis, Vinko Globokar, Giacinto Scelsi und
Isang Yun. Unter den Ausführenden standen die Neuen Vokalsolisten
und das Ensemble Ascolta im Mittelpunkt: auch eine Folge der relativ
kurzfristigen Planung, aber zugleich eine Garantie für höchstes
Niveau.
Andreas Dohmens „adest“ spielt mit den Resonanzen hell
klingender Metallophone in obligaten Pedalpauken. Markus Hechtles „Linie
mit Schraffur“ schiebt die Erwartungen an kompositorische
Finessen bis zuletzt gekonnt hinaus. Eliav Brand überschreitet
in „Libera Me: a’in, oh my god!“ den Kontext
der westlichen Welt und konfrontiert das aufgeklärte Publikum
mit seiner eigenen Erwartungshaltung. Jens Joneleit zeigt mit seinem
Klavierquartett „SIMA“, dass auch leise Töne die
große musikalische Form tragen können.
Dass weniger manchmal mehr sein kann, bewiesen aufs Lustvollste
sieben Stipendiaten der Solitude-Akademie mit der abschließenden
Dekonstruktion eines Liederabends. Nur die Staatsoper, die diesmal
lediglich Michael Hirschs nicht ganz taufrische Stadtbahn-Oper
neu auflegte, wird ihre Rolle in Zukunft noch definieren müssen.