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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 9
56. Jahrgang | Oktober
Cluster
Bundeskulturtrojaner
Die Helden der Quälerei, die Helden der Herzen, die Helden
in Schwarzrotgold oder in Anabolika-Rotweiß: diese Helden
des Sports haben ausgedient. Es ist kaum einen Monat her, dass
der Direktor des Bühnenvereins, Rolf Bolwin, die Gunst der
Stunde nutzen mochte, um im Doping-Schatten der Tour de France
die Sponsoren zum Umsatteln auf Kultur zu bewegen.
„
Kunst und Kultur stehen für Innovation, Kreativität und
Diskursfähigkeit. Kaum etwas kann daher das Ansehen von Unternehmen
besser steigern als eine private Förderung des künstlerischen
Schaffens in unserem Lande“, liest man in der Pressemitteilung
des Bühnenvereins. „Wer eine Operntournee nach Japan
fördert, findet neue Käufer, egal ob es um Autos oder
Gummibärchen geht“, äußerte Bolwin. Theater
im Bühnenverein.
(v.l.:
Dieter Gorny, ein PopKomm-Moderator, Steffen Kampeter und
Jens Michow)
Ähnlich auf der Popkomm. Begleitend zur Messe fanden Podiumsdiskussio-nen
ihren Platz.
Im Zentrum stets die Kunst – zumindest als Aufhänger.
Denn eigentlich geht es auch hier um Gummibärchen, die zu
verteilen sind: an die Industrie des Bewusstseins, an die Creative
Industries. Der Wind hat nun endgültig gedreht und kenntlich
gemacht, dass Kunst eigentlich nur ein Klebefeld für Geld
sein soll, als Lutschtablette für die Wirtschaft, geradezu
parasitär. So präsentierte sich die so genannte „Initiative
Musik“ mit ihren zwölf Weisen auf der Popkomm. Ein Aufsichtsrat,
der haushaltspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, der
gelernte Bankkaufmann Carsten Schneider, betonte immer wieder im
Beckenbauer-Tonfall, dass man endlich zur Einsicht zu gelangen
habe, dass Musik vor allem ein Wirtschaftsfaktor sei. Chef-Ideologe
und Phonoverbandsvorsitzenderstellvertreter Dieter Gorny blies
ins gleiche Horn, „Musik ist nicht nur Kulturgut sondern
auch ein wesentlicher Wirtschafts- und Imagefaktor für unser
Land.“
Und, müsste man ergänzen, gehört endlich unter
die Fittiche des hinlänglich unfähigen Wirtschaftsministers
Michael Glos. Zusammen mit seinem Phono-Akademie-Kuratoriumsmitglied,
Kulturrat-Faxverbots-Anreger, Bundestags-Haushaltsausschuss-Mitglied,
Diplomvolkswirt, Steffen Kampeter fand man das Ei des Kolumbus
für die Zukunft der Musik in Deutschland und nannte es „Initiative
Musik“, in Wirklichkeit ist es ein kunstbefreites trojanisches
Pferd der Wirtschaft. Mit Kampeter ist man auch sonst an der besten
nur denkbaren Adresse, kennt er sich doch mit der Zweit- und Resteverwertung
bestens als Kuratoriumsmitglied „Das duale System – der
Grüne Punkt“ aus. Das passt alles zusammen.
Wer die erlesene Riege des zwölf-köpfigen
Aufsichtsrates der „Initiative Musik“ sich haltungslos
und selbstgefällig
auf den schnörkelig-weißen Popkomm-Sofas räkeln
sah, erahnte vielleicht, dass sich hier gerade etwas ganz Tolles
ereignet hatte: nämlich das ganz normale Politik- und Kulturmanagement
in der Berliner Republik – Politikerdoping und Kulturmauscheling.