[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 12
56. Jahrgang | Oktober
Nachschlag
Meisner-Stück
„Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung
abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur
entartet.“ Der
Kölner Kardinal Meisner, eine der Speerspitzen eines konservativen
(reaktionären) christlichen Glaubensverständnisses hat
sich wieder einmal weit nach vorne, oder besser nach hinten, gelehnt.
Die von finsterster und unheilvoller deutscher Geschichte belastete
Wortwahl ist fatal. Schlimmer noch aber ist ein zweiter, von der
Gott sei Dank aufbrausenden Kritik eher vernachlässigter
Aspekt. Meisners Satz mag eine gewisse Wahrheit fernab von der
unseligen Formulierung beinhalten. Denn große Kunst in ihrer
unbedingten Suche nach tiefer Wahrheit wird immer auch eine Nähe
zu einem wie auch immer zu formulierenden Verständnis von
Gott aufweisen. Über sein Chorwerk „Consolation II“ (dem
besagter Kardinal gewiss nur Anlehnung entgegen brächte) schrieb
zum Beispiel einmal Helmut Lachenmann: „Ein geistliches Werk?
Vielleicht, aber nicht von Schuld und Erlösung ist die Rede,
sondern von jener Erfahrung, die jeglichem Denken zugrunde liegt:
der Sterblichen Staunen.“ Solche Suche nach Wahrheit mag
man auch in Max Ernsts ketzerischem und von Kirchenkreisen aufs
Schärfste verfluchten Bild „Die Jungfrau Maria verhaut
den Menschensohn vor drei Zeugen“ noch erkennen, wenn man
sich die nötige Offenheit bewahrt und einer Kirche, die etwa
bei Kriegen auf beiden Seiten gleichermaßen die gnade Gottes
herbeifleht, misstraut.
Das Schlimme an Meisners Äußerung ist die implizierte
Unterstellung, dass er selbst darüber befinden könne,
was die richtige Gottesverehrung ist (hier ist ein Schulterschluss
zum verbal heraufbeschworenen Nationalsozialismus auszumachen,
denn auch dieser hoffte mit seinen Entartungsthesen auf den Beifall
der Masse; und er bekam ihn ja auch). Es ist einer der Kardinalfehler
(im Sinne des Wortes und darüber hinaus) nicht nur unserer
Zeit zu wissen vorzugeben, was der Gottes- und was der Teufelsweg
sei. Der Jude war im Dritten Reich des Teufels, der Palästinenser
ist es in diesen Tagen in den Augen von Israel (das Massaker im
Libanon vor 25 Jahren in Sabra und Shatila, von Christen ausgeführt,
von den Israelis wohlwollend geduldet, wirft wieder einmal ein
beschämendes Schlaglicht darauf) und die von Bush so bezeichneten
Schurkenstaaten und Terroristen fallen ebenso dem Verdikt anheim.
Neue Kunst, so sie in Meisners Augen nicht gottgefällig ist,
kann also auch nur Teufelswerk sein. Der Schematismus ist einfach:
Stets erklärt man sich zum Besitzer des Guten und Wahren,
aus dieser Warte wird dann das Kritische, das sich Widersetzende
verdammt. Wir aber, so wäre vorab zu konstatieren, sind nicht
die Guten. (Wer überhaupt sind wir? Wer bestimmt die Gruppe?
Meisner, Bush, der angeblich demokratisch ermittelte Volkswille?).
Wir sind auch nicht die Schlechten. Denn so einfach wie im Märchen
oder im Kasperltheater geht diese Trennung nicht. Differenzierung,
Offenheit, Aufgeschlossenheit, Einfühlung in den Anderen ist
nötig.
Das aber ist es, was große Kunst heute wie immer schon
vorlebt: Es ist die Kunst des Differenzierens, der Verfeinerung
von Sinn
und Verstand. Da aber, und das ist das eigentlich Fatale, kann
Kardinal Meisner nicht mit.