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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 1-2
56. Jahrgang | Oktober
Leitartikel
Gema pro toto
„Unsere Unternehmenskultur ist geprägt durch respektvollen
und offenen Umgang untereinander, durch Wissen und Erfahrung sowie
durch Förderung von Eigenverantwortung“ (aus: „Leitbild
und Vision der GEMA“, hängt noch im Lift der Generaldirektion – und
im Internet).
Während diese Ausgabe der nmz ausgeliefert wird, befinden
sich zahlreiche Gema-Angestellte im Streik. Sie wehren sich gegen
eine einseitige Festlegung ihrer Gehälter „nach Gutsherrenart“ durch
den Vorstand, die schon auf mittlere Sicht eine klare Schlechterstellung
bedeutet. Durch einen Vorstand, der sich erst kürzlich selbst
mit einem kräftigen Vergütungs-Zuschlag aus dem Etat-Topf
der großen kreativen Solidargemeinschaft versorgt hat und
der sich anhaltend weigert, mit ver.di als jahrzehntelangem Tarifpartner
auch nur Gespräche aufzunehmen.
Es schweigt dazu der Aufsichtsrat, bestehend aus den Vertretern
der Kreativen und ihrer Verleger, dem an einem harmonischen, effektiven
Betriebsablauf besonders gelegen sein müsste. Gerüchtehalber
gibt es ein dreijähriges Moratorium der stark reduzierten
Einmischung in die operative Geschäftsführung durch den
Aufsichtsrat, um eine Restrukturierung der Gema nach Gusto des
neuen Vorstandes zu ermöglichen. Eine Art Stillhalte-Abkommen
samt geduldeten Informations- und Einfluss-Defiziten, deren Tragweite
neulich mittels einer Vorstands-Einladung der („Aufsichts?“)Räte
an einen hübschen bayerischen See unter der Moderation eines
Schweizer Mediators gemildert werden sollte. Soviel zum Thema „respektvoller,
offener Umgang“ und „Eigenverantwortung“ Gema-intern.
Nun wäre dies eine Nachricht im Wirtschaftsteil unseres
Blattes wert, stünden die sich abzeichnenden „neuen“ Strukturen
des „Kulturpartners“ Gema nicht als Menetekel für
all das, was uns im Musik- und Kunstbereich unmittelbar ins Haus
dräut. „Musikkultur ist bei der Gema jetzt Chefsache“ – tönte
Harald Heker vor einem halben Jahr in der nmz. Seither präsentierte
man sich glamourös und mit für Urheber höchst fragwürdigem
Konzept auf der „Bravo-Supershow“, finanzierte proper
fünfstellig einen Popkomm-Evening und bestückte die „Interkarneval“ in
Köln opulent mit entsprechendem Personal. Wo es in letzterer
Beziehung langgeht, verdeutlichen die Stellenausschreibungen der
Gema. Wir sind gern behilflich: Gesucht werden – natürlich
beidgeschlechtlich – Marketing-Manager und Leiter für
Kooperationsmarketing und Events. Augenscheinlich will die Gema
jetzt mit der Veranstaltungswirtschaft in Konkurrenz treten und
(nach welchen Kriterien?) die Opera ihrer Schutzbefohlenen geldwert
zum Klingen bringen. Für Musikwissenschaftler stehen immerhin
Praktikumsplätze offen. Wird ja auch Zeit, dass die mal was
Anständiges lernen. Jüngster Kultur-Coup ist – gemeinsam
mit der GVL – die Bewirtschaftung der so genannten Kampeter-Million
namens „Initiative Musik“. Hierüber steht an anderer
Stelle Vielseitiges in dieser Ausgabe. Nur soviel sei hinzugefügt:
Bei diesem Topf handelt es sich nicht um „frisches“ Geld,
sondern um Mittel der Bundeskulturstiftung. Sie werden jetzt
unter rarer Gnade der Selbstbewirtschaftung in den Kreislauf vorwiegend
der (Pop)Musikindustrie gepumpt. 150.000 Euro gibt jährlich
die Gema. Und mit hundert Euro Anteil hat sich auch der Deutsche
Musikrat solidarisch in diese feine Gesellschaft eingekauft.
Die gesetzmäßige Mittelverwendung im Aufsichtsrat der „gGmbH
Initiative Musik“ beaufsichtigen gewählte Beaufsichtiger
gleich selbst: Steffen Kampeter (CDU) und Carsten Schneider (SPD)
sind im Bundestag auch verantwortlich für entsprechende Mittelbeantragung
und Mittelkontrolle. Dann kann ja nix mehr schief laufen. Eine
in unserer Verfassung vorgesehene Gewalten-Trennung entspricht
ohnehin nicht mehr dem frischen Geist unserer Berliner Lobby-Republik.
Zudem erweist sie sich als hinderlicher Stolperstein bei der Überführung
unseres Kulturlebens in die goldene Zukunft der Creative Industries.
Weg mit den alten Kulturzöpfen, dem ganzheitlichen Bildungs-Gelaber,
der Chimäre Kunstfreiheit: Economy ru-les. Nach dem Zusammenbruch
der alten Schlüsselindustrien bieten sich die so genannten
weichen Standort-Faktoren, Kunst und Kultur, als neue Fischgründe
für die Fang-Maschinerie der globalen Kapital-Vermehrer wohlfeil
an. Es ist eindeutig, wer hier die Spielregeln bestimmt.
Kreativität als Dienstleistungs-Faktor mit bester Rendite.
Der Urheber nach amerikanischem Modell als käufliches Wesen.
Was National- und sonstige real oder irreal herrschende Sozialisten
erreicht haben – die totale Einverleibung der Kultur in ihr
jeweiliges Gesellschaftsmodell – weshalb sollte das der Ökonomismus
nicht schaffen?
Nehmen wir uns ein Beispiel an Universitäten und Hochschulen,
die ihre – zugegebenermaßen gelegentlich missbrauchte – Freiheit
von Forschung und Lehre immer lieber durch Benchmarks, Rankings
und all die anderen Segnungen wirtschaftlicher Weltsicht optimieren
lassen. Und nehmen wir uns ein Beispiel an der zweiten Generation
von New Economy im Internet: nichts boomt derzeit besser, wobei
man die selbstgewählten Avatare mangels Herz und Hirn dann
eben mit zweihundert Ellenbogen ausstattet.
Unbeirrbar auf dem Weg in ein solches Gesellschaftsmodell scheint
eben die einstige Solidargemeinschaft unserer Wort- und Tonschöpfer
samt ihrer Verleger.
Eine ernsthafte Beschäftigung mit Kultur, mit Kunst jenseits
von Markt, Masse und Ware findet bei der Gema spürbar nicht
mehr statt. Nachdem das Alleinstellungsmerkmal des kulturellen
Engagements als Argument für die monopolähnliche Position
hierzulande schon unter europäischen Konkurrenz-Klausel-Aspekten
wohl bald wegfällt, rüstet man sich vielleicht schon
für den Börsengang. Harald Heker als Shooting Star der
Kreativ-Industrie?
Seine Abfindungs-Summe im Fall einer Trennung stiege ins Ackermännische.
Und in die Röhre gucken all jene – natürlich selbstverschuldet ökonomisch
nicht ganz so erfolgreichen – Komponisten, Textdichter und
Verleger. Und die Belegschaft.
Der Deutsche Musikrat hat sich die „Creative Industries“ als
Thema für seine Generalversammlung erkoren. Man darf gespannt
sein, wie der Hundert-Euro-Gesellschafter eines Joint Ventures
mit seinem Mitglied Gema sich zu konstruktiven gemeinsamen Wertvorstellungen,
Sprach- und Sachregelungen durchjongliert.
Theo Geißler
Lesenswertes zum Thema
Thomas Gross:
Kunst kommt von Rechnen. Auf der Popkomm spielen Idealisten keine
Rolle mehr. Aus Künstlern werden Geschäftsleute der
so genannten Kreativ-Industrie.
Die ZEIT vom 21.9.07