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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 8
56. Jahrgang | Oktober
Magazin
Die junge Generation und die Kammermusik
Signale für die Zukunft: Eindrücke vom ARD-Wettbewerb
in München 2007
Ein außergewöhnlicher Jahrgang, dieser 56. Internationale
Musikwettbewerb der Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands.
Nicht nur weil dieses Mal alle ersten Preise vergeben wurden, auch
in Fächern wie Posaune, Schlagzeug und Oboe, die noch nie
oder selten so bedacht wurden. Vor allem überzeugte deren
Vergabe nicht nur die Juroren, sondern auch die durch ihren Beifall
und für den Publikumspreis votierende, sehr sachverständig
wirkende große Zuhörerschaft. Zwei Wochen hindurch wurde
sie nicht müde, die aus 35 Ländern angereisten Kandidaten
zu begleiten, anzufeuern und ihren Erfolg mitzufeiern. Diese enorme
Anteilnahme der Öffentlichkeit, beim Semifinale auch mit engagierter
Begleitung durch das Münchner Kammerorchester und im Finale
mit dem Symphonieorchester des BR, bot den Kandidaten echte Konzertsituation.
Solcher Service, wäre es ein Weinjahrgang, rechtfertigt die
erste Auszeichnungsbanderole.
Die zweite Banderole gilt der gelungenen Kongruenz zwischen dem
im ARD-Wettbewerb erwarteten hohen Spiel-Soll und der Aufgabe,
die Messlatte für eine angemessene Leistungsbeurteilung zu
finden. Das klingt zwar theoretisch. Aber Repertoire, Fachjury,
weit über 100.000 Euro für bereitstehende Prämierungen
und ein superlanges Kalendarium für Anschlusseinladungen – das
sind Gradmesser für die internationale Einschätzung eines
Wettbewerbes. So hat der ARD-Wettbewerb durch seine Anforderungen
einen absolut hohen Stellenwert: Acht oder neun Werke aus einer
Wahlliste aus allen Epochen und Stilbereichen zwischen Barock und
Gegenwart soll jeder konzertreif bringen, im Solo oder mit Klavierpartner
und Orchesterbegleitung.
In München trafen die 217 Kandidaten in ihrem Fach auf ein
international besetztes und gegen früher auch verjüngtes
Jury-Septett, in das bewusst auch ehemalige ARD-Preisträger
eingeladen wurden. Befragt nach ihrem Gesamteindruck: die außerordentlichen
Spitzenleistungen dieses Jahres rechtfertigen die Vergabe der ausgeschriebenen
Preise voll und ganz. Nuancen zwischen den Preisträgern sind
minimal. Den elf Preisträgern des Jahres 2007 steht ein großes
Leistungsmittelfeld gegenüber. Ausnahme: die Kammermusik.
Und das Fach Schlagzeug, zuletzt vor sechs Jahren im Wettbewerb,
konnte man in neuer Dimension kennen lernen.
Deutschland kam bei 29 Teilnehmern auf zwei Solopreise: der Schlagzeuger
Johannes Fischer (25), 1. Preis, und der Posaunist Frederic Belli
(24), 2. Preis, beide vorher wiederholt Laureaten von „Jugend
musiziert“. Zweimal auch Spanien, der erste Oboenpreis für
Ramón Ortega Quero (19), der 3. Posaunenpreis an Juan Carlos
Matamoros (21). Zweimal gleichfalls Russland mit dem 2. und 3.
Oboenpreis, Ivan Podyomov (20) aus Moskau und Maria Sournatcheva
(19), die allerdings vor fünf Jahren in die Frühförderung
an der Musikhochschule Hannover kam und als „Jugend musiziert“-Bundespreisträgerin
dem Bundesjugendorchester angehört.
Frankreich, woher diesmal die meisten Anmeldungen kamen, holte
sich mit Fabrice Millischer (21) den ersten Posaunenpreis und erntete
für das Trio Cérès den 3. Preis. Nicht zu vergessen,
aus Bulgarien kommend und mit dem 2. Schlagzeugpreis bedacht, die
europaweit prämierte Vassilena Serafimova (21).
Eine weitere Banderole verleihen wir der großen Überraschung
des Jahres, Beleg für einen Gesinnungswandel in der heranwachsenden
Musikergeneration: das Interesse an kammermusikalischen Aufgaben.
Alle 28 Klaviertrios zeigten bei ihren, in der Addition rund dreistündigen
Konzertprogrammen ein erstaunlich hohes Niveau – es geriet
zu einem spannenden Kammermusikfest. Dass nur drei prämiert
werden konnten, ist deshalb schade: das Morgenstern-Trio aus Deutschland/Frankreich
mit dem 2. Preis und dem Publikums-Preis. Das Tecchler-Trio aus
Schweiz/Deutschland mit dem 1. Preis. Beide zeigten sich wohl so
topfit, weil sie gerade preisgekrönt vom ebenfalls anspruchsvollen
Kammermusikwettbewerb in Melbourne zurückkamen.
Mit einer vierten Banderole ausgezeichnet sei das gelungene Experiment,
vier originelle, von den Semifinalisten uraufgeführten Auftragswerke,
zu präsentieren. Dafür gab es Sonderpreise. Matthias
Pintscher nannte sein Stück „nemeton“ für
Solo-Percussion, das der Preisträger Johannes Fischer aus
seiner Klangstube geheimnisvoll aus einer Vielzahl von auch selbst
entwickelten Klangmaterialen in extremen Klangvolumina herauszauberte.
Nicht einfach war wohl der Spiel- und Hörzugang zu Tobias
PM Schneids viersätzigem Piano Trio No. 2 „Three Farewells
and Intermezzo for L.“, das anrührt und bei jeder Präsentierung,
am besten gelungen vom Tecchler Trio, an Transparenz gewann. Stefan
Heucke komponierte ein tiefsinniges Adagio für die singende
Posaune. Melos, farbige Register und viel Technik erforderte die
Oboen-Sonate des finnischen Komponisten Olli Mustonen.
Im nächsten Jahr erwartet der ARD-Wettbewerb in München
den weltweiten Nachwuchs auf Viola, Klarinette, Fagott und im Streichquartett.