[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 3
56. Jahrgang | Oktober
Magazin
Vom Unbehagen an der Oper und ihrer Kultur
Bonner Theater: Ein Regisseur, der keiner sein will, eine konzertante
Oper und eine dramaturgische Mogelpackung
Statt der neuen Oper „Freax“ von Moritz Eggert, die
Christoph Schlingensief am Theater Bonn nicht inszenierte, gab
es eine „konzertante Uraufführung“ in zwei Akten
sowie einen „installativ-filmischen Diskurs“ in der
Konzertpause: „Fremdverstümmelung 2007“, auch
als DVD zum Mitnehmen.
Nicht
konzertant, sondern halbszenisch: Moritz Eggerts „Freax“ in
der Oper Bonn. Foto: Thilo Beu/Oper Bonn
Im Urteil der Tageskritik kam der Nicht-Regisseur dennoch glimpflich
davon. Ins Fadenkreuz gerieten mit Theater Bonn und Beethovenfest
die Auftraggeber, die die erste Uraufführung des Hauses nach
zehn Jahren unbedingt mit zwei Antipoden realisieren wollten. In
der Kritik ferner die konventionell empfundene Vertonung eines
unkonventionellen Stoffs. Vergleichsweise unbeachtet blieb ein
uneingelöstes Versprechen. Halb-szenisch, nicht konzertant
ging die Uraufführung über die Bühne – zum
Nachteil der musikalischen Darstellung.
Wie tief die Verletzungen bei dieser gescheiterten Opernproduktion
wirklich waren, wissen allein die Beteilig-ten. Die zur Schau gestellten
Nettigkeiten, die Versicherungen wechselseitiger Sympathie waren
erkennbar die Fassade, die aufrecht zu erhalten man sich und anderen
schuldig zu sein glaubte. Dabei hatte der Graben, der in Bonn zwischen
den Beteiligten aufgegangen war, die Nervenbahnen längst erreicht,
bevor die Akteure bereit waren, dies sich und anderen auch zuzugestehen.
So noch der Eindruck, den ein finales Pressegespräch hinterließ,
das eigentlich alle Fragen hätte klären sollen, es aber
nicht tat. Eine vorangegangene gediegene Probenarbeit und das Schlaglicht,
das dadurch auf eine sich zu ihrer exklusiven Nicht-Modernität
bekennenden Musik gefallen war, war zu diesem Zeitpunkt längst
aus dem Blickfeld verschwunden. Was blieb, war eine dramaturgische
Mogelpackung, reichlich Missverständnisse und Mutmaßungen
sowie das Gefühl, dass das zeitgenössische Musiktheater
im Umbruch begriffen ist. – Eine (nicht unbedingt vollständige)
Nachlese vom beschädigten (Bonner) Musikleben.
Unfreakige „Freax“-Musik
Bonn, im August. – Die Nachricht von der Scheidung zwischen
Komponist und Regisseur war erst wenige Tage alt, als es auf der
der Oper gegenüber-liegenden Rheinseite zur ersten, zugleich öffentlichen
Sitzprobe kam. Kann man, konnte man unter diesen Umständen überhaupt
ernsthaft arbeiten? Man konnte und man tat es mit Lust, was einer
gelinden Überraschung gleichkam.
Der Streit, ob kleinwüchsige Show-Freaks von wirklichen Sängern
darzustellen sind oder vielmehr, wie Schlingensief meinte, von
wirklichen Behinderten; die Missverständnisse darum, inwiefern
Tod Brownings Experimentalfilm „Freax“ (1932)
diese Oper entscheidend berührt oder nur inspiriert hat; die
Frage nach den vermeintlichen oder tatsächlichen Auswirkungen
der Augenkrankheit des Regisseurs sowie die nach den Spekulationen
um dessen Unwillen oder Unfähigkeit, eine lineare Geschichte
linear zu erzählen und dazu aus den Noten einer (nicht nur
Schlingensief) neuen Musik Klangvorstellungen zu entwickeln – all
dies hinderte hier niemanden daran, dieser Partitur auf ihren interpretatorischen
Grund zu gehen.
Beethoven Orchester Bonn, Opernchor, zehnköpfige Sängerbesetzung,
dazu ein Klavier als Proben-Substitut fürs spätere Bühnenorchester
präsentierten sich in klassischer Oratorium-Aufstellung. In
der Mitte, auf erhöhtem Podest, Dirigent Wolfgang Lischke,
der diese opulenten Klangmassenbestandteile zusammenzuführen
hatte. Wie sich zeigen sollte, hielt Lischke hier – anders
als beim dramaturgisch verstümmelten Premierenabend – die
Fäden fest in der Hand, überblickte, balancierte, organisierte.
Man rieb sich die Augen. Drüben, am anderen Ufer das öffentlich
verhandelte Theater-Schisma – hier ernsthaftes Arbeiten,
gelöst-konzentrierte Probenatmosphäre. Zugleich
gespannte Neugierde. Wie klingt es, wenn alles zusammenklingt?
Ersichtlich finden die Interpreten Gefallen an der Mischung aus
großem Gestus, singbaren Linien und Situationskomik. Im Chor
ausgelassene Stimmung zumal bei den parodistischen Nummern, die
Eggert mit großem Theaterinstinkt in seine Partitur aufgenommen
hat.
Zugleich gestattete die Abwesenheit von Bühne, Kostüm
und Szene einen instruktiven Blick auf Herkunft und Legitimation
eines musikdramatischen Entwurfs, der von Erbschaften zehrt,
der Klänge hervorbringt, die als Bilder bekannter Ausstellungen
am geistigen Ohr nur so vorbeiziehen. Seltsam berührend, diese
Begegnung mit dem, was Musik einmal war. Fast glaubte man sich
in einen auskomponierten Erinnerungsraum der Tonkunst versetzt
mit klassisch-romantischer Überwölbung (Adaptionen des
Schlusschors der Neunten und der Rheingold-Musik), immer wieder
gebrochen durch Musicaltonfall, Jazz und Tanzmusik. Eine Technik
des Herunterbrechens, die dem Komponisten in Fleisch und Blut übergegangen
zu sein scheint.
Show-Freaks ganz ernst
So gesehen war es naheliegend, dass Eggert seine neue Oper, ein
Auftragswerk von Theater Bonn und Beethovenfest, ins Showbusiness
verlegt hat. Seine Protagonisten sind kleinwüchsige, aus der
Norm fallende Darsteller in einer nicht näher definierten
Sparte der Unterhaltungsindustrie: Show-Freaks, die fürs Amüsement
sorgen und damit zur Freude des Direktors (Hans-Jürgen Schöpflin)
die Kasse klingeln lassen. Das Unglück beginnt, als die Freaks
anfangen, ihre Sehnsucht leben zu wollen: Lea (Anjara Bartz) liebt
Franz (Thomas Harper), Franz liebt Isabella (Julia Rutigliano),
Isabella liebt Hilbert (Louis Gentile) und dieser seine Allmachtsphantasien.
Am Ende wird Isabella auf offener Bühne zersägt, Franz
wird wahnsinnig und Hilbert knipst das Licht aus.
Dass der Komponist den mäandernden Versen seiner Librettistin
allzu bereitwillig gefolgt ist, hat vor allem den ersten Akt etwas
zähflüssig geraten lassen. Die Textvorlage der jungen
Autorin Hannah Dübgen trägt schwer am dialogischen Ballast.
Sedimente der Librettokunst vergangener Tage lugen hervor. („Was
für ein Mann schaut mich da an? – Was für ein Körper,
welch ein Beben.“)
Andererseits erbrachte das Zusammenspiel von Wort und Ton auch
gelingende Momente. Begnadete Interpreten wie Otto Katzameier profitierten
davon. Herzzerreißend, im steten Wechsel von Altus- und Bariton-Stimmlage,
besang Katzameier das gespaltene Ich des Hermaphroditen Dominique.
Ein Augenblick, in dem das Thema der Oper (nicht nur dieser) plötzlich
mit Händen greifbar war. Ein Höhepunkt.
„
Freax“ vor dem Theater
Es sind die Augen! Christoph Schlingensief zieht ein Zettelchen
hervor, worauf er die medizinische Diagnose seiner Augenerkrankung
notiert hat. Zunächst glaubt man im Saal an eine Petitesse
bis der Ober-Inszenator, der in Bonn partout nicht inszenieren
wollte, den Zünder auslöst. Nein, so Schlingensief schelmig,
es seien „Adeno-, keine Adorno-Viren“, die ihm in den
letzten Wochen zugesetzt hätten. Peng! geht der kalkulierte
Lacher durch den Saal: Wenn die Medienwelt eine Klaviatur ist – dann,
so Schlingensief zu Schlingensief und zum Rest der Welt, bin ich
es, der darauf spielt.
Das kann nicht jeder. Theaterintendant Klaus
Weise beispielsweise blieb das Wort just in dem Moment im Hals
stecken als er es derselben
Medienwelt servieren wollte. ‚Zu meiner Linken Nicht-Regisseur
Schlingensief‘, hätte er korrekterweise sagen müssen.
Kaum aber war der freudsche Versprecher weggeräuspert, fand
sich das Mikro beim Komponisten wieder, der aber auch nichts mitteilen
wollte, womit Jens Neundorff, der Dramaturg des Hauses an der Reihe
war, den Ball weiter flach zu halten und ihn geschickt vor die
Füße von Ilona Schmiel
zu spielen. Diese brauchte nur noch einzuschieben. An dieser Produktion,
so die Beethovenfest-Chefin, könne man doch sehen, dass „wir
Risiken eingehen“. „Absolut konsequent“ sei es,
die Saison „so“ zu eröffnen. Und noch dies sagte
Frau Schmiel: Die „Gattung Oper“ sei damit „zur
Diskussion“ gestellt. Letzteres wurde allgemein als Ausweichen
empfunden, insofern ja doch zunächst einmal die gescheiterte
Arbeit der Bonner Oper „zur Diskussion“ gestellt war.
Doch bitte nicht jetzt! schien man sagen zu wollen. Stattdessen
glaubte Klaus Weise, sich wolkig über die „Arbeit zweier
autonomer Künstler“ aussprechen zu sollen. Neues Musiktheater
brauche das Experiment (was niemand bestreiten wollte) – nur
dass jetzt, „leider“, die Uraufführung „im
Kopf“ stattfinden müsse.
In dieser Weise plätscherte es noch eine Weile dahin bis ausgerechnet
Schlingensief bei solcher Vorführung von des Kaisers neuen
Kleidern nicht mehr mitspielen mochte. „Warum habt ihr mich
denn nicht rausgeschmissen?!“ ging er aus heiterem Himmel
den neben ihm sitzenden Weise an. Ein Torpedo-Schuss. Zerstoben
der schöne Schein von der Eintracht der Zerstrittenen, vom „Experiment“ Musiktheater,
das keines war, aber trotzdem „zur Diskussion“ gestellt
werden sollte, so dass man nun noch ein wenig ungläubiger
las, was Moritz Eggert ins Programmheft geschrieben hatte: „Scheitern
als Chance“.
„Freax“ konzertant?
Dass konzertante Opern-Aufführun-gen die Interpreten auf dem
Podium zu versammeln pflegen, um sich unter Verzicht auf Bilder,
Bühne und Kostüme ganz der Musik zu widmen, ist, folgte
man der Bonner Dramaturgie, überholte Konvention. Zwar gab
es für „Freax – Oper in zwei Akten“ von
Moritz Eggert nach der Abdankung Schlingensiefs keinen Regisseur
mehr, doch bedeutete dies nicht, dass eine unsichtbare Regiehand
nicht doch am Torso ihre Spuren hinterlassen hätte. Im Resultat
verwerkelte dies freilich nur das Halbfertige ins Gebastelte, Geflickte.
Warum hatte man nicht den Mut, die in diesem Fall tatsächlich
konzertante Probenfassung zu bringen?
Stattdessen teilten Thekla von Mülheim und Tobias Buser nach
Art der Simultanbühnen der 20er-Jahre den Bühnenraum
in drei Ebenen. Zu sehen war eine von niemandem bewohnte Wohnlandschaft,
die in der Mitte auf einer drehbaren Scheibe den in quietschbunten
Kostümen steckenden Chor herein- und herausfahren half. Oben,
irgendwie als Schlingensief-Reminiszenz gemeint, flackernde Videofilmchen.
Im Zuschauerraum sperrten zwei Hochstände die ersten Parkett-Reihen.
Dort oben, wie die Förster mit dem Blick auf den Weid- und
Balzplatz, durften ein Sprecher und eine Sprecherin Platz nehmen.
Letztere war mit der Chorinspizientin Sibylle Wagner besetzt, die
ihre herausragende Stellung im späteren Verlauf zum peinlichen
Mitdirigieren nutzen sollte, über den Kopf des im Orchestergraben
agierenden Wolfgang Lischke hinweg.
In dessen Rücken hatte sich die grotesk geschminkte, freakig
kostümierte Sängerriege zu postieren. Jeder hatte seinen
Stuhl, seinen Notenständer wie im richtigen konzertanten Leben.
Eine schizophrene Situation, die immer wieder unfreiwillige Komik
zu Tage förderte wenn etwa vor der nächsten Arie zur
Wasserflasche gegriffen wurde oder wenn Johannes Flögl als
Romeo im Leoparden-Kostüm seinen Schwanz zurechtlegte.
So waren die Darsteller in Ermangelung wirklicher Regie einerseits
sich selbst überlassen, andererseits schienen sie angewiesen
zu sein, nach Kräften zu mimen. Dies taten sie denn auch,
um in bester schauspielerischer Absicht die verfahrene Situation
zu retten, was alles nur noch verschlimmbesserte. Und da sie unglücklicherweise
im Rücken des Dirigenten zu singen hatten, war trotz Monitoring
die Klangbalance zwischen Beethoven Orchester, Sängern und
Choristen perdu. Da halfen auch nicht die gut gemeinten Eingriffe
vom Hochstand.
Freaks hinterm Vorhang
Wie Isabella in der falsch präparierten Kiste, fand sich schlussendlich
auch Moritz Eggerts „Freax“-Oper im Rollstuhl wieder.
Daran hatte Christoph Schlingensief gewiss seinen Anteil, auch
wenn er sich mit einer verstörenden Video-installation in
der Konzertpause von dieser Mitverantwortung für eine zustandegekommene
Nicht-Produktion abzusetzen versuchte. Anders als Dokument der
Abwehr, vielleicht auch der Kränkung war „Fremdverstümmelung
2007“, Schlingensiefs „installativer und filmischer
Diskurs“ im 16mm-Kultformat denn auch nicht rezipierbar: „Die
Präsentation im Foyer ist eine ,Uraufführungs-Installation‘,
und auch dort bleiben die Begafften hinter Stoff.“
Letztes Abendmahl
Soweit der Gazevorhang dies überhaupt gestattete, hatte sich
Schlingensiefs „Familie“ von Leonardos Letztem Abendmahl
eine vage Sitzordnung vorgeben lassen. Texte wurden vorgetragen
während der Diskurs-Regisseur „auf dem Stoff die Bilder
laufen“ ließ (adornitische Lesetapeten, überblendet
von Kreuzigungsszenen mit Kleinwüchsigen), um im Programmheft,
wie im Kommentar zum Bibelwort, die Auslegung nachzureichen. „Der
Krüppel ist der Stellvertreter Christi. Und der Opernbesucher
nimmt es einfach mit. Ein STUMMES! Stück vom Kreuz.“
Das Unbehagen an der Oper (aber nicht nur an ihr) ist groß.