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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 6
56. Jahrgang | Oktober
Magazin
Der Geigenkinder Metamorphose
Überlegungen zum 12. Violinwettbewerb im Kloster Schöntal
Was bringt ein Wettbewerb für musizierende Kinder im Schüleralter,
wenn sie zum Beweis ihrer Begabung, vielleicht auch zur Befriedigung
ehrgeiziger Eltern und tüchtiger Lehrmeister eine halbe Weltreise
unternehmen müssen, beispielsweise aus dem fernen Asien – sollten
sie nicht gerade gastweise einen Teil ihrer Ausbildung in Europa
erhalten? Aber im Ursprungsland musikalischer Klassik einmal eingetaucht
zu sein, ist Wunsch und Stolz, den sich die Familie etwas kosten
lässt, auch wenn die 12-jährige Seo-Hyun Lim aus Korea
als Beste ihrer Klasse weder die deutsche Preisurkunde noch die
auf Englisch für den zusätzlichen EMCY-Kunstpreis lesen
kann. Da bleibt nur die Kurzformel: der Weg sei das Ziel. Und das
Ziel ist in gewissen Zeitabständen der nächste Wettbewerb,
um sich im nächst höheren Rang testen zu lassen. Dazwischen
Weiterförderung solcher Begabungen in Meisterkursen (der Juroren),
in Orchesterprojekten – so jedenfalls sehen es Wettbewerbsleiter
und Juryvorsitzender Professor Petru Munteanu und seine Sponsoren.
Solcher Impetus jedenfalls gehört zur Intention derartiger
Jugendwettbewerbe.
Kein
Wettbewerb ohne große Emotionen. Foto: Johannes Radsack
Wenn also die Teenies der Einladung der Kulturstiftung Hohenlohe
folgen, so geht es nicht alleine um Konkurrenzspiel, sondern auch
um Persönlichkeitsbildung dieser früh musikgeprägten
Menschen, um einen Lernprozess, um Verständigung, Toleranz
und Meinungsaustausch. Nicht nur der Spieler, auch der begleitenden
Eltern und Lehrer. Sie wollen erfahren und belegt sehen, wie weit
der vielleicht schon mit drei, vier, fünf Jahren begonnene
Unterricht auf Viertel- oder Halben Geigen, konsequent betrieben,
Früchte trägt. Dazu die Neugierde und Vergleich der Ergebnisse
unterschiedlicher Methoden der Streicherausbildung bei einem durchaus ähnlichen,
vorwiegend virtuose Spielliteratur umfassenden Repertoire.
Hier sucht man noch nicht, wie in den großen Musikwettbewerben,
den vermeintlichen Karrieresprung, selbst wenn sich in manchem
Elternherz doch wunderkindhafte Hoffnungen regen mögen. Auf
solche Gedanken könnte man kommen, wenn dann der/die eine
oder andere Geigenhoffnung, ausgeputzt im Feiertagskleid, schon
profi-like routiniert aufs Podium steigt, einfach bezaubernd anzusehen,
und die grandiose Virtuosität, die geigerische Sicherheit
mit Recht bejubelt wird. Beeindruckender, manchmal erschreckend
allerdings die Metamorphose, die man mit dem Schritt aufs Podium
in den meisten Mienen beobachtet. Ernste Gespanntheit, voll konzentriert,
eine fast erwachsenähnliche Maske setzt sich ihnen auf, aus
der nicht unbedingt herauslesbar ist, ob nur Pflichtübung
oder ob das Gelingen und der Erfolg, die Vermittlung ihrer Musik
an ein spannend lauschendes Publikum dem jungen Interpreten wirklich
Vergnügen und Freude bereitet. Doch solchen Zweifel verwirft
man schnell, ebenso den Gedanken an möglichen Drill, Übe-Druck,
Erfolgszwang. Auch erstaunlich, dass diese Kinder selten Aufregung
spüren lassen, oder sie verbergen sie geschickt. Gleich nach
dem Vorspiel trifft man sie wieder vergnügt schäkernd,
lachend, spielend mit einander, locker und fröhlich.
Sind einfach doch Kinder ihres Alters, seien sie zwischen 11 und
14 Jahren oder doch schon bis zu 18 oder gar 21 Jahre jung – die
drei Altersklassen im Schöntaler Geigenwettbewerb. Aber was
der eine oder die andere hinlegt, wie sie neben Bach-Partiten,
Wiener Klassikern und den großen Violinkonzerten (leider
ohne Orchesterbegleitung) die virtuosen Geigen-Evergreens von Sarasate,
Wieniawski, Kreisler sowie Paganinis Capricen in einer technischen
Perfektion und Bravour anpacken, dass selbst die Profibegleiter
am Flügel zum Schwitzen kommen, da verschlägt es die
Stimme. Und erfahrene Juroren registrieren dabei von Jahrgang zu
Jahrgang tatsächlich noch weiter wachsendes Leistungsniveau.
Auch in diesem Jahr überrascht unter rund 50 angenommenen
Kandidaten die geringe Bewerberzahl aus Deutschland, nur fünf
(bei jährlich mehreren tausend Streichern bei „Jugend
musiziert“!), insgesamt nur 7 weitere aus West-, aber 20
aus Osteuropa und 14 aus Asien. Dann überrascht es auch nicht,
dass (neben etlichen Sonderpreisen) von den 15 offiziellen Auszeichnungen
die Mehrzahl bei den Teilnehmer aus Korea und China (5), Baltikum
(4) und Russland (3) landen. Allerdings erfahren einige von ihnen
tatsächlich ihre Ausbildung in Deutschland oder Europa. So
ging zum Beispiel der fünfte Junior-Preis – nomen est
omen – an Shin Sihan aus den Niederlanden und die in Deutschland
lebende Verena Chen.
Und wie geht es weiter? Man wird dem einen oder anderen Jungvirtuosen
bald erneut begegnen, sei es in zwei Jahren wieder in Schöntal
oder bei einem der anderen ähnlichen Geigenwettbewerben, wie
sie für diese Altersstufen in Deutschland, England, Polen
oder Tschechien angeboten werden.