[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 13-14
56. Jahrgang | Oktober
Musikwirtschaft
Die verdammte Pflicht, sich nicht nach Moden zu richten
Das Bayer Kulturprogramm wird hundert Jahre alt · Von Barbara
Haack
CSR heißt die Zauberformel: Kurzform für Corporate
Social Responsibility. Wenn ein Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung
verspürt, sich ihr stellt und das ganze anschließend
zur Unternehmensphilosophie erklärt, ist es schon bei CSR
angekommen.
So auch die Bayer AG, die sich die Corporate Social Responsibility
auf die Fahnen schreibt. Allerdings pflegte sie diese Verantwortung
lange bevor der Begriff Einzug in die Köpfe von Managern und
Marketingbeauftragten fand. Genau genommen seit Anfang des vorigen
Jahrhunderts, als Carl Duisberg, Vorstandsmitglied und später
Generaldirektor von Bayer, seine Verantwortung für die Arbeiter
und Angestellten entdeckte. Hintergrund war sicher nicht allein
sein altruistisches Herz. Vielmehr hatte er früh verstanden,
dass die Verbesserung sozialer Bedingungen Motivation und Firmenbindung
von Mitarbeitern wesentlich stärken kann. Das war im Falle
von Bayer besonders nötig. Denn die Schaffung eines neuen
Firmenstandortes auf dem flachen Land, aus dem erst später
die Stadt Leverkusen wurde, trug nicht gerade zur Attraktivität
des Firmenstandortes bei. Dazu kamen arbeitnehmerunfreundliche
Arbeitsbedingungen sowie die besonderen Gefahren, die von einer
Anstellung in einer Chemiefabrik ausgingen: Unfälle waren
an der Tagesordnung, der Umgang mit oft gefährlichen Substanzen
galt auch damals schon als gesundheitsgefährdend.
Das
Künstlerzimmer im Leverkusener Erholungshaus: Eindrucksvolles
Zeugnis der Künstler-Persönlichkeiten, die
hier gastiert haben. Foto: Bayer AG
Die Suche nach guten Mitarbeitern, der Umgang mit einer hohen
Personalfluktuation gehören Anfang des 20. Jahrhunderts zur Tagesordnung im Unternehmen.
Daran will Duisberg etwas ändern. Ein Vorbild bietet Alfred
Krupp, der in Essen bereits begonnen hat, die sozialen Verhältnisse
seiner Mitarbeiter zu verbessern. Und auch bei Bayer erkennt man,
dass es der unternehmerischen Zukunft gut tut, Mitarbeitern eine
lebenswerte Existenz zu ermöglichen. Ein Patriarch ist Carl
Duisberg, der gerne von der „Bayer-Familie“ spricht.
Er handelt durchaus mit ökonomischem Hintersinn, wenn er für
angemessene hygienische Verhältnisse, bessere Unterkünfte
oder eine ausreichende medizinische Versorgung seiner Mitarbeiter
sorgt. Darüber hinaus beweist er vorausschauendes Denken:
Er erkennt, dass zu einer umfassenden Mitarbeiter-Fürsorge
auch der Bildungsaspekt gehört. Deshalb fördert er die
Gründung von Vereinen innerhalb des Unternehmens, zum Beispiel
eines Streichorchesters und eines Männer-Gesangvereins. Heute
gibt es bei Bayer 17 Ensembles, in denen sich die Beschäftigten
kulturell engagieren können.
Eine Bibliothek wird gegründet und der Bibliothekar, Hugo
Caspari, im Jahr 1907 zum Leiter der „Abteilung für
Bildung“ ernannt. Damit ist das Bayer Kulturprogramm geboren.
Denn: „Kulturarbeit ist Bildungsarbeit“, so lautet
das Credo Casparis. Gleich im Folgejahr kann das „Erholungshaus“ eröffnet
werden, in dem sich fortan die kulturellen Ereignisse abspielen
werden. Der Bau überlebt den Krieg, brennt aber 1975 nieder
und wird in einem Zeitraum von zwei Jahren saniert und modernisiert.
Heute finden sich dort auch die von Bayer initiierten Kunstausstellungen.
Die junge Blüte des Kulturlebens wird vom ersten Weltkrieg
unterbrochen. In dieser Zeit veranstalten die Werksvereine im Wesentlichen
Wohltätigkeitsveranstaltungen. Politik und militärische
Themen bestimmen Filmabende und Vorträge. Kurz nach dem Krieg
aber blüht die Kultur wieder auf. Erste renommierte Künstler
werden engagiert, Abonnement-Reihen gestartet. Der zweite Einschnitt
beginnt 1934 mit der frühzeitigen Pensionierung Casparis.
Wie seine drei Nachfolger ab 1946 hat er das Bayer Kulturprogramm
entscheidend geprägt. Ferdinand Gerhardt allerdings, der 1934
eingesetzte Mann für die Kultur, kann oder will keine eigenen
Impulse setzen. Die Gleichschaltung erreicht auch die Bayer Kultur.
Ab 1946 hat das Unternehmen Bayer das Glück, bei der Auswahl
seiner Kultur-Intendanten jeweils Persönlichkeiten zu finden,
die mit eigenem Kopf Neues initiieren, ohne den Sinn für die
Tradition zu verlieren. Erna Kroen, eigentlich Betriebswirtin,
ist die erste in der Reihe. In der Nachkriegszeit geht es vor allem
um den Wiederaufbau eines freien Kulturverständnisses, um
das Aufholen einer 12-jährigen kulturellen Lücke. Kroen
etabliert in der jungen Stadt Leverkusen ein Kulturangebot nicht
mehr nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Menschen,
die hier leben. Die Liste der Künstler und Ensembles, die
ab 1947 auftreten, zeugt von ausgeprägtem kulturellem Sachverstand.
Und bereits 1959 entsteht eine Abonnement-Reihe mit dem Titel „Konzert
und Theater für junge Leute“: ein Engagement, das seitdem
unaufhörlich betrieben und ausgebaut wird.
1973 folgt Franz Willnauer, der für neue Akzente in den Bereichen
neue Musik und experimentelles Theater sorgt. Außerdem etabliert
er – aus Sicht seines Nachfolgers, des heutigen Kulturchefs
Nikolas Kerkenrath – eine Modernisierung der Strukturen,
die bis dahin „immer noch recht patriarchalisch waren“.
Er ist es auch, der eine Internationalisierung des Programms bewirkt
und neue Institutionen ins Haus holt. Ein Kulturbetrieb entsteht,
der dem eines Vier-Sparten-Hauses gleicht. Mit dem Unterschied,
dass Kultur hier nicht selbst produziert wird, sondern im Sinne
eines Gastspielbetriebs von überall her geholt wird.
Nikolas Kerkenrath schließlich verantwortet die Bayer Kultur
seit 1986. 21 Jahre prägt der gelernte Theatermann nun schon
die Programme. Auch er hat verschiedene neue Akzente gesetzt. So
hat er erreicht, dass auch die anderen Bayer-Standorte in Nordrhein-Westfalen
mit Kultur versorgt werden. Wuppertal, Krefeld und Dormagen profitieren
inzwischen von den Angeboten. Wichtig ist es ihm außerdem, „Kulturbrücken
zu schlagen“. Er nutzt die Struktur von Bayer in der Welt
für den Kultur-Ex- und Import. Und schließlich hat Kerkenrath
für eine Neu-Orientierung der Programmatik gesorgt. Es geht
ihm darum, „nicht mehr beliebig gute Sachen aneinander zu
reihen, sondern thematisch fokussierte Kulturaussagen zu machen“.
So hat er seine Jahres-Spielpläne mit Themen versehen, zum
Beispiel mit Länder- und Regionenschwerpunkten. Historische
Ereignisse wie der bicentennaire der französischen Revolution
eignen sich für die Programm-Ausrichtung ebenso wie Komponisten-Jubiläen
wie das von Hector Berlioz im Jahr 2003. Immer geht es ihm dabei
darum, einerseits „ein Publikum zu bedienen, das wir hier
immerhin hundert Jahre lang herangezogen haben“, andererseits „in
einer Zeit wie der jetzigen, in der es kriselt“ Werte zu
vermitteln, die sich Mode-Erscheinungen widersetzen. „Wir
haben als Kulturmacher eine verdammte Pflicht, uns nicht nach der
Mode zu richten, sondern die Werte, die wir erkannt haben, durchzuziehen.“ Ergebnis
ist ein Kulturprogramm, von dessen Qualität wie Quantität
andere Städte dieser Größenordnung nur träumen
können. Da kann das Kulturprogramm, welches die Stadt Leverkusen
parallel anbietet, schwer mithalten. Das wäre nicht weiter
schlimm: Es entsteht allerdings der Eindruck, dass hier im Kleinen
das nachgemacht wird, was Bayer im Großen kann. Allerdings
gab es, als die Stadt Leverkusen im Jahr 1930 um Bayer herum gegründet
wurde, das Unternehmens-Kulturprogramm auch bereits seit 23 Jahren.
Ganz neu im Kultur-Engagement von Bayer: Seit der Übernahme
der Berliner Firma Schering will man auch in der Bundeshauptstadt
präsent sein und fördert seit einigen Wochen das Haus
der Kulturen der Welt. Das liegt auf der Hand, findet Nikolas Kerkenrath: „Es
kümmert sich um die Weltkulturen. Wir kümmern uns ja
im Großen und Ganzen um die eigene Kultur. Das Haus der Kulturen
der Welt geht anders vor. Da versprechen wir uns eine neue Möglichkeit,
Kulturarbeit zu machen.“
Seit hundert Jahren leistet sich Bayer ein Kulturprogramm. Das
Jubiläum wird mit einem kulturellen Rückblick auf das
vergangene Jahrhundert im Spielplan 2007/08 programmatisch verarbeitet
und zudem durch Festakte und Konzerte der unternehmenseigenen Ensembles
entsprechend gefeiert. Die Motivation hat sich gewandelt: von einer
patriarchalisch geprägten Mitarbeiter-Orientierung zum modernen
Bürger-orientierten Kulturbetrieb. Und Nikolas Kerkenrath
ist der Meinung, dass, obwohl die Kulturarbeit „bisher völlig
unbelastet von jeglichen Marketingzwängen ist“, der
Image-Faktor, den es bereithält, durchaus vom Unternehmen
genutzt werden darf. Dennoch ist Bayer heute so wenig wie 1907
in erster Linie Kulturförderer – kein Sponsor, nicht
einmal Kunst-Mäzen. Die Künstler, die hier auftreten,
bedürfen in der Regel der Förderung nicht. Eher ist Bayer,
und dadurch unterscheidet es sich von anderen Unternehmen, Förderer
des Kultur-Rezipienten. Das Publikum steht hier im Mittelpunkt.
Nach wie vor gilt bei Bayer: Kulturarbeit ist auch Bildungsarbeit.