nmz 2007/10 | Seite 22
56. Jahrgang | Oktober
Musikbildung
Unterrichtskonzepte für die Ganztagsschule
Fortbildung für neue Arbeitsfelder an der Bundesakademie
Trossingen
Das gemeinsame Musizieren in Schulklassen und Arbeitsgemeinschaften
wird zunehmend ein fester Bestandteil in dem neu gestalteten Unterrichtsangebot
der allgemeinbildenden Schulen. Musikpädagogen/-innen und
Musiker/-innen aus dem außerschulischen Bereich sind
gesuchte Kooperationspartner, die aufgrund ihrer praktischen Erfahrung
neben dieser wesentlichen Ergänzung des Schulunterrichts auch
die Musikalisierung von Kinder fördern können, die bisher
keinen Zugang zu den Angeboten der Musikschulen, der Privatmusiklehrer/-innen
oder der Musikvereine und Chöre hatten.
Die inhaltliche Planung dieses Fortbildungsangebots konnte sich
nur auf geringe Erfahrungswerte stützen; tragfähige didaktische
und methodische Modelle, die sich an den neuen Anforderungen orientieren,
werden derzeit erst entwickelt und erprobt. Ein bundesweit umsetzbares
Lehrgangsangebot zu diesem neuen Themenbereich muss sich zudem
auch an den unterschiedlichen politischen Anforderungen der Bundesländer
orientieren. Unter diesen Voraussetzungen wurde eine Fortbildung
konzipiert, die wesentlich auf der Übertragung der Gruppenunterrichts-
und Ensemblemethodik aus dem Grundstufenstufenbereich und dem Instrumentalunterricht
der Musikschularbeit aufbaut.
In diesem neuen berufsbegleitenden Lehrgang wird ein Konzept
vermittelt, das auf langjähriger Erfahrung in der Unterrichtspraxis
der allgemein bildenden Schulen beruht und die Methoden der außerschulischen
Musikerziehung integriert: Das Projekt „MuKi“ (Musik
für Kinder in der Grundschule und Kindertagesstätte)
wurde als erster Modellversuch zu der neuen Unterrichtsform vom
Ministerium für Arbeit und Soziales des Landes Rheinland-Pfalz
eingerichtet und gefördert; die dort erarbeiteten Materialien
wurden für den Lehrgang zur Verfügung gestellt. Als Partner
für die Fortbildung wurden die Musikhochschule des Landes
Rheinland-Pfalz an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz
und der Verband deutscher Musikschulen gewonnen.
Das inhaltliche Angebot orientiert sich an erprobten Unterrichtsinhalten
aus der Grundstufenarbeit der Musikschule, die für den Einsatz
in Großgruppen bis hin zur Schulklasse modifiziert wurden.
Neben den methodischen Grundlagen war die Integration in das Konzept
der Ganztagsschule ein zentraler Bereich: Was erwarten die kooperierenden
Träger, die Eltern und Schüler/-innen von dem neuen Angebot?
Welche politischen, rechtlichen und organisatorischen Grundlagen
müssen beachtet werden, wie steht es mit Aufsichtspflicht
und Haftung, gibt eine Versicherung? Wie können die neuen
Partner der Ganztagsschule das spezifische Profil ihrer eigenen
Einrichtung darstellen und so die Schüler/-innen für
ein Anschluss-Angebot gewinnen?
Nach dem erfolgreichen ersten Durchlauf und der nun laufenden
Evaluierung wird der Lehrgang (erweitert auf fünf Akademiephasen)
im Februar 2008 neu beginnen.
Die allgemeine Musikalisierung wird wesentlich ein „offenes
Angebot“ der Ganztagsschule sein, während im „gebundenen
Angebot“ das Musizieren in der Klasse im Vordergrund steht.
Die Fortbildung zum Thema „Klassenmusizieren“ konzentriert
sich wesentlich auf den Bläserbereich; Lehrgänge zum
Klassenmusizieren mit Streichinstrumenten wurden bisher nur vereinzelt
und ohne qualifizierenden Abschluss angeboten. Diese Lücke
schließt der berufsbegleitende Lehrgang.
Seit zirka 40 Jahren wurden von Paul Rolland (USA), Sheila Nelson
(GB) und Rodney Slatford (GB) und ihren Schülern Methoden
für den Gruppenunterricht mit Streichinstrumenten und in der
Konsequenz zum “Streicherklassenunterricht“ entwickelt,
wobei mit diesem Terminus ausdrücklich und differenzierend
ein planvoller, kontinuierlicher und bindender Instrumental-Unterricht
im Klassenverband bezeichnet wird. Auf der Methode von Paul Rolland
basiert der neu konzipierte berufsbegleitenden Lehrgang, dessen
Inhalte bisher von dem Dozententeam um Regine Schultz-Greiner und
Bernd Zingsem bereits in Wochenend- und Wochenseminaren vermittelt
wurde. Der Lehrgang wird zum erstenmal bundesweit angeboten und
zertifiziert in Zusammenarbeit mit dem Verband deutscher Musikschulen
und der Musikhochschule Detmold mit ihrem Fachbereich Musikpädagogik,
im Fach Methodik vertreten durch Prof. Dr. Ortwin Nimczik.Schwerpunkt
der Fortbildung ist der heterogene Streicherklassenunterricht:
nach Hospitationen in Streicherklassen und eigener Musiziererfahrung
mit der speziell eingerichteten, progressiv angeordneten Literatur
erarbeiten die Teilnehmer/-innen Lehrproben mit Streicherklassen
verschiedener Schulformen in unterschiedlichen Altersstufen. Ergänzend
zum studierten Hauptfach werden Spieltechnik und Methodik von zwei
weiteren Streichinstrumente im homogenen Nebenfachunterricht erarbeitet.
Neu und bereichernd ist für fast alle Teilnehmer/-innen die
Integration von Solmisation und Rhythmussprache in den Klassenunterricht.
Für den Lehrgang wurden von den Dozenten die grundlegenden
Texte von Paul Rolland erstmals übersetzt, wodurch die Übertragung
der Methode erheblich erleichtert wurde.
Im kommenden Jahr werden auf der Grundlage und nach den Erfahrungen
dieser Lehrgänge weitere Angebote zu „Kreativen Klassenmusizieren“ auch
mit andern Instrumenten (zum Beispiel Zupfinstrumente oder Keyboard)
konzipiert und angeboten werden. In alle unterrichtsmethodisch
orientierten Lehrgänge wurden Aspekte der Ganztagsschule und
Fragen der Didaktik und Methodik des Großgruppen- und Klassenunterrichts
integriert, geeignete Konzepte werden dort von den Autoren vorgestellt.
Die Ganztagsschule erfordert einen neuen „Methodenkoffer“ für
den Umgang mit großen Gruppen, der zum Beispiel durch den
Besuch aktueller Wochenseminare zur Chor- und Ensembleleitung,
zum Elementaren Musiktheater, zum Einsatz von Boomwhackers & (Body)percussion
oder besonders von E-Medien weiter gefüllt werden kann – niedrigschwellige
Angebote, die in das Konzept der Ganztagsschule passen und den
Musikschulen und der Laienmusik sicher neue Schülerkreise
erschließen.
Rolf Fritsch
Bundesakademie für musikalische
Jugendbildung
René Schuh & Rolf Fritsch www.bundesakademie-trossingen.de
info(at)bundesakademie-trossingen.de