nmz 2007/10 | Seite 22
56. Jahrgang | Oktober
Musikbildung
Improvisation ist pures Leben
Fantasiereisen – ein Festival der JMD an der Musikakademie
Schloss Weikersheim
„Just play, man! Das haben mir amerikanische Jazz-Musiker
mitgegeben, mit denen ich gearbeitet habe. Wir müssen wieder
verstehen lernen, dass Improvisation etwas ganz Natürliches
ist. Im Leben improvisieren wir ja auch dauernd...“
Der Klarinettist Jean-Marc Foltz ist der Künstlerische Leiter
des Improvisations-Festivals und Workshops Fantasiereisen – Festival
für Neue Musik und Improvisation, das Ende November zum ersten
Mal an der Musikakademie Schloss Weikersheim stattfindet. Innerhalb
dieses Festivals bietet die Jeunesses Musicales Deutschland Workshops
für Musikerinnen und Musiker aller Altersstufen und wendet
sich durch die Breite des Angebots sowohl an diejenigen, die schon
Erfahrungen im Bereich Improvisation haben, als auch diejenigen,
die sich zum ersten Male daran wagen wollen.
Foltz, Dozent am Konservatorium in Straßburg, erfüllt
sich mit diesem Kurs einen Traum: „Schon lange wollte ich
mit den zwei Musikern, mit denen ich am längsten und am engsten
zusammenarbeite, einen großen Kurs machen.“ Der Pianist
Stephan Oliva und der Kontrabassist Bruno Chevillon gehören
nicht nur in Frankreich zur Spitze der Avantgarde-Musiker, sondern
sind auch in Deutschland und im restlichen Europa keine Unbekannten.
In Weikersheim geben sie jeweils drei Workshops pro Tag, an jedem
Abend finden zwei Konzerte statt und am letzten Morgen ein Teilnehmer-Abschlusskonzert.
Bruno Chevillon beschäftigt sich leidenschaftlich mit allem,
was mit Klang und Klangfarbe zu tun hat, er ist vom Rock beeinflusst
und theaterbegeistert – und seine Kurse werden um diese Themen
kreisen. Stephan Oliva geht das Thema Improvisation aus der Sicht
des Jazz-Musikers an: Er hat sehr viel für sich selbst und
unterschiedliche Ensembles geschrieben und wird mit den Teilnehmer/-innen
der Workshops untersuchen, wie man von einer schon schriftlich
fixierten Idee zur Improvisation kommt – ein essentielles
Thema des Jazz. Jean-Marc Foltz schließlich hat drei Schwerpunkte
in seiner Arbeit: Zum einen hilft er den Kursteilnehmern, eine
Antwort auf die Frage zu finden: „Ich will improvisieren,
habe aber keine Ideen – was soll ich tun?“ Dann zeigt
er, wie die Antworten auf Fragen, die sich Improvisatoren stellen
mögen, in der Musik selbst liegen: Es geht also um fundamentale
Techniken und Prozesse, die jeglichem Musikmachen zugrunde liegen.
Und schließlich wird Foltz an Spontankompositionen arbeiten,
oder, wie er es ausdrückt: „Zusammen improvisieren als
Filmmusik für’s Ohr.“
In diesen Kursideen finden sich Grundzüge des musikpädagogischen
Leitbilds der Jeunesses Musicales Deutschland, die die Musikakademie
Schloss Weikersheim betreibt, und auch die für die JMD zentrale
Trias „Mensch – Musik – Gemeinschaft“ spiegelt
sich in den Fantasiereisen.
„Der Mensch ist Mittel- und Ausgangspunkt aller Musik“ – so
heißt es schon im Kitzinger Manifest, das in den 50er-Jahren
die inhaltliche Ausrichtung der JMD festlegte und in Grundzügen
noch immer Bestand hat. Improvisieren heißt für Foltz,
seine eigene Geschichte zu erzählen. „Immer wieder sage
ich in Workshops: Keinem Komponisten wäre das eingefallen,
was ihr gerade gespielt habt!“ Der einzelne Musiker wird
auf sich selbst zurückgeworfen, auf seine persönliche
und musikalische Geschichte, die Bestandteil seines Musiker-Daseins
ist. Foltz meint, dass die Beschäftigung mit Improvisation
zu einem entspannteren und authentischeren Umgang mit Musik und
mit sich selbst führe, da man lerne, neue Fragen zu stellen,
die einen nicht unter den Druck der Technik, der Perfektion, des
Kunstwerks setzten, sondern die den Musiker in Kontakt mit sich
selbst brächten.
Auf der Grundlage dieses Kontaktes verändert sich auch der
Umgang mit der Musik selbst, oder mit dem musikalischen Material.
Die Beschäftigung damit ist für die JMD der zweite zentrale
Pfeiler nach und neben der im Humanismus verwurzelten Menschenbildung.
Beim Improvisieren lernt man die Elemente und Strukturen von Musik
von innen heraus kennen – man liest nicht darüber, man
analysiert nicht nur, sondern erfährt am eigenen Leib, wie
Musik entsteht. Und das kann zu sehr intensiven Erfahrungen führen,
auch zur Entfaltung bisher unentdeckten kreativen Potentials. Improvisation
ist für Foltz keine Frage von Form oder Stil, sondern eine
Art Musik zu machen – ein Raum, in dem unterschiedlichste
Strukturen und Formen von Musik entstehen können und beleuchtet
werden.
In diesem Raum, und hier kommt der dritte Grundpfeiler des JMD-Leitbilds,
nämlich die Gemeinschaft, ins Spiel, treffen unterschiedliche
Sprachen, Horizonte, Geschichten aufeinander: „Beim gemeinsamen
Improvisieren erzähle ich meine Geschichte anderen Musikern
und vielleicht einem Publikum und messe sie an deren eigenen Geschichten.
Es ist für uns drei essentiell, dass in diesem Festival so
viele Wechselbeziehungen entstehen: Wir geben Konzerte, damit wir
für die Teilnehmer als Musiker lebendig werden, damit sie
das, was wir unterrichten, mit dem in Beziehung setzen können,
was wir spielen. Sie werden zwischen den unterschiedlichen Klangwelten
vergleichen, die wir ihnen anbieten. Wir geben ihnen die Möglichkeit,
Improvisation als Zuhörer kennen zu lernen und als Musiker.
Sie können alleine und gemeinsam Antworten auf Fragen zur
Musik und zum Thema Improvisation finden – und ihnen werden,
was wahrscheinlich noch wichtiger ist, neue Fragen dazu einfallen!“ So
ist es vielleicht möglich, Improvisation von diesem Hauch
des Mysteriums zu befreien, der bewirkt, dass man sie als Angelegenheit
Eingeweihter oder Auserwählter betrachtet.
Fantasiereisen – Festival Neue Musik und Improvisation:
28. November bis 2. Dezember 2007 in der Musikakademie Schloss
Weikersheim. Informationen und Anmeldung zum Festival unter www.jmd.info,
sowie 07934/993 60. Informationen
zur Musikakademie Schloss Weikersheim unter www.musikakademie-weikersheim.de.