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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 43
56. Jahrgang | Oktober
Bücher
Vertrauen zu dem Mann in der Kabine
Gespräche mit dem Schallplattenproduzenten Wolf Erichson
Thomas Otto/Stefan Piendl: Erst mal schön ins Horn tuten.
Erinnerungen eines Schallplattenproduzenten. Gespräche mit
Wolf Erichson & Nikolaus Harnoncourt, Gustav Leonhardt, Stephan
Schellmann, Yaara Tal & Andreas Groethuysen und Bruno Weil,
ConBrio Verlagsgesellschaft, Regensburg 2007, 281 S., € 24,00,
ISBN 978-3-932581-84-7
Von den Aufgaben und Fähigkeiten eines Klassikproduzenten
ist außerhalb der Schallplattenfirmen wenig bekannt. Nun
hat Wolf Erichson, einst Pionier in dieser Funktion und verantwortlich
für die Reihe „Das Alte Werk“ bei Teldec, VIVARTE
bei Sony Classical und selbständig mit dem Label SEON, in
seinen „Erinnerungen eines Schallplattenproduzenten“ en
detail über sein Metier berichtet.
Als Musik nur in Vinylqualität zu kaufen war, begannen Karrieren
in der Branche noch wie im Märchen: „Sagen Sie mal,
wollen Sie nicht zur Schallplatte kommen?“, kolportiert Wolf
Erichson, von Beruf eigentlich Orgelbauer, die entscheidende Begegnung
1956 mit Gerhard Slawik, damals Klassik-Abteilungsleiter bei Teldec
in Hamburg. In Gesprächen mit Thomas Otto und Stefan Piendl
erzählt Wolf Erichson mit gelegentlichen Anekdoten, wie er
dort die Originalklangidee in enger Kooperation mit Nikolaus Harnoncourt
und Gustav Leonhardt etablieren konnte, wobei er sich nicht um
die Recherche fürs Repertoire kümmern musste, aber sukzessiv
faktisch alle organisatorischen Aufgaben für eine Schallplatten-
beziehungsweise CD-Aufnahme durch Intuition und schließlich
Erfahrung übernahm. Dazu gehörte auch die Auswahl geeigneter
Aufnahmeorte, meistens Kirchen oder Schlösser (keine Studios),
die optimale Platzierung der Mikrofone, die Verwaltung des Budgets,
genaue Kenntnis der Partituren sowie der historischen Instrumente
und nicht zuletzt die Betreuung der Musiker. Im Kontext seiner
privaten Biographie, die hier meistens in separaten Gesprächspassagen
wiedergegeben wird, verschweigt Wolf Erichson nicht persönliche
Misserfolge und Fehler, Konflikte und Kränkungen, etwa bei
der Trennung von Teldec aufgrund seines SEON-Projekts. Andererseits
entwickelten sich Freundschaften zu Musikern und Kollegen wie den
Tonmeister Stephan Schellmann, der seine praktische Zusammenarbeit
mit Wolf Erichson so bewertet: „Ich habe ohne Zweifel viel
von ihm gelernt.“ Intensiver noch als Wolf Erichson erklärt
Stephan Schellmann, wie er ein Gedächtnis für Raumakustik
und Mikroverteilung erworben hat, sodass Aufnahmen stets ein bestimmtes
Hörniveau erreichen. Auch das Klavierduo Yaara Tal & Andreas
Groethuysen, der Dirigent Bruno Weil, Nikolaus Harnoncourt und
Gustav Leonhardt („Man hat Vertrauen zu dem Mann in der Kabine.“)
ergänzen in eigenen Interviews aus ihrer Künstlerperspektive
die besonderen Bedingungen bei Aufnahmesituationen.
Von 1957 bis 2003 hat Wolf Erichson rund 800 Schallplatten und
CDs produziert. Seine Kompetenz und Integrität bei den Aufnahmen
gerade mit Alter Musik wurde mehrfach mit internationalen Preisen
ausgezeichnet. Er hat mit seiner Repertoirepolitik und kompromisslosen
Qualitätsstandards eigene Maßstäbe für die
Rezeption Alter Musik gesetzt. Dieses Buch erlaubt durch die lockere
Gesprächsform mit einleitenden Informationen der Autoren,
den Arbeitsalltag (ohne Glamour oder Starkapricen) im Klassikbetrieb
kennen zu lernen. Aufnahme – Schnitt – CD ist die oberflächliche
Prozedur einer Klassikproduktion, Wolf Erichson informiert in authentischen
Erlebnissen und Erfahrungen über deren komplexen Hintergründe.