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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 43
56. Jahrgang | Oktober
Bücher
Richard Wagner und die Architektur
Bildtextband zur Geschichte des Bayreuther Festspielhauses
Markus Kiesel (Hg.): Das Richard Wagner Festspielhaus
Bayreuth. Mit einem Vorwort von Wolfgang Wagner sowie Beiträgen von
Pierre Boulez und Harry Kupfer, nettpress, Düsseldorf 2007,
224 S., über 300 farbige und schwarzweiße Abbildungen,
€ 68,00,
ISBN 978-3-00-020809-6
In der Reihe „100 Jahre Bayreuther Festspiele“ der
Fritz Thyssen Stiftung war zuletzt auch ein Band zur Baugeschichte
erschienen. Heinrich Habels 685 Seiten umfassende Dokumentation
behandelt in Text und Bild die „geplante[n] und ausgeführte[n]
Bauten Richard Wagners“ (Prestel, München 1985), die
Vorstufen bis zur Realisierung von Festspielhaus und Wahnfried,
aber auch deren spätere Um- und Anbauten. So gesehen nicht
ganz neu war die Idee eines Bild-/Textbandes, der nunmehr im Verlag
nettpress publiziert wurde, „Das Richard Wagner Festspielhaus
Bayreuth“. Der von Markus Kiesel herausgegebene zweisprachige
Bildband geht auch auf die Anfänge des Bauunternehmens Festspielhaus
ein, legt aber größeres Gewicht auf die Geschichte der
zahlreichen Veränderungen dieses ursprünglich als Provisorium
gedachten Bauwerks.
Dass der 1873 errichtete Bau auch ein Bestandteil des Wagnerschen
Gesamtkunstwerks ist, hatte auch schon Habel betont. Die überzeitliche
Schönheit des oft als „Scheune“ verunglimpften
Theaters kommt aber erst in den detailverliebten Fotos von Jens
Willebrand zum Tragen. Autor Dietmar Schuth geht der Frage nach,
was Richard Wagner schön fand, antikisierende Elemente des
Außenbaus und neopompejanischer Stil in den Foyers wurden
insbesondere durch Restaurierungen der letzten Jahre erneut sichtbar.
Schuth schlägt den Bogen zur Backsteingotik der Marienburg
und zu Backsteinbauten Friedrich Schinkels und klassifiziert Wagners
Theater als „hellenistische Romantik“. Anhand der Baugeschichte
wird deutlich, wie häufig und stark Experiment und Zufall
für Richard Wagner eine Rolle spielten. In Zusammenarbeit
mit dem Architekten Otto Brückwald entwickelte er nach griechisch-antikem
Vorbild das stark ansteigende Amphitheater. Das ob seiner Akustik
gepriesene Theater, das den Dolby-Sorround-Klang des Kinos vorwegnahm,
folgte dabei in seinen Prinzipien dem Primat der Optik, mit einer überwältigenden
Akustik als Nebenergebnis. So dienen beispielsweise die eigentümlichen
Scherwände im Zuschauersaal nicht der Akustik, sondern als
achtfaches Proszenium dem optischen Sog zur Bühne. Auch das
versenkte, unsichtbare Orchester folgte primär optischen Überlegungen,
um die Erzeugung der Musik unsichtbar zu machen und die Konzentration
auf die Bühne nicht durch das Orchesterlicht zu stören.
Gleichwohl ließ sich aufgrund der Gasbeleuchtung im Eröffnungsjahr
1876 nicht völlige Dunkelheit im Zuschauerraum erreichen,
da die Lampen in der Pause und am Ende der Aufführung sonst
umständlich und langwierig wieder hätten angezündet
werden müssen. Die beeindruckende dreifache Bühnenhöhe
des Hauses durch Ober- und Unterbühne diente den Verwandlungen
mit Mitteln des Barocktheaters.
Verändert wurde das Festspielhaus zunächst durch das
1882 hinzugefügte Königsportal für Ludwig II., später
dann aufgrund bühnentechnischer Notwendigkeiten. Siegfried
Wagner, selbst Architekt, baute nicht etwa zu einem Zeitpunkt,
als die Familie Wagner noch im Reichtum der Tantiemen schwamm,
sondern 1923, als die moderne Ästhetik die Veränderung
der Bühnentechnik und eine Vergrößerung des Bühnenausschnitts
erforderlich machte, obgleich die Familie nach der Währungsreform
in finanzielle Schwierigkeiten geraten war. Im Jahre 1930 kappte
Siegfried Wagner die sogenannte Fürstengalerie und baute den
heutigen Balkon mit 96 zusätzlichen Plätzen als „Pressegalerie“ ein.
Die weitreichendsten Um- und Anbauten fallen jedoch in die Ära
des noch amtierenden Festspielleiters. Daher versteht sich Markus
Kiesels Buch auch als ein Dokument über das bauliche Lebenswerk
des Festspielleiters Wolfgang Wagner. Der hat in eigenen Fotos
Umbauten und Rekonstruktionen festgehalten und selbst ein Vorwort
beigesteuert. Auch die heutige Beleuchtung und Bühnentechnik
ist im Bild festgehalten, und Interviews des Herausgebers mit Harry
Kupfer und Pierre Boulez spannen den Bogen zur jüngeren Geschichte
der Werkstatt Bayreuth.
Die kurzweilig lesbare, prachtvolle Neuerscheinung zu einem halbwegs
erschwinglichen Preis öffnet das Auge des Betrachters für
Details, die der Festspielbesucher in der Regel übersieht.