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nmz-archiv
nmz 2007/10 | Seite 39
56. Jahrgang | Oktober
Rezensionen-CD
Pluspunkte für Pierrot
Arnold Schönberg: Pierrot Lunaire plus Jazz. Luciano Berio:
Folk Songs. Stella Doufexis, Mezzosopran, opus21musikplus. Ltg.:
Konstantia Gourzi.
Neos 10709
Für Konstantia Gourzi, die aus Griechenland stammende Komponistin,
Dirigentin und umtriebige Leiterin gleich mehrerer Ensembles für
Musik der Moderne, gehört der atmosphärische Rahmen eines
Werkes und seiner Aufführung untrennbar zu ihrer Arbeit: „Ich
suche die ergänzenden Teile in einem Mosaik, das sich erst
im Zusammenspiel zu einem Gesamtbild fügt und der Musik einen
neuen Raum gibt.“ Ihre jüngste CD, die bei NEOS Music
in Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk erschienen ist, löst
diesen Anspruch mit dem frisch gegründeten Ensemble „opus21musikplus“ auf
wohltuend unkonventionelle Weise ein. Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot
lunaire“ op. 21 aus dem Jahr 1912 etwa mischt Gourzi mit
Jazz-Zwischenspielen, abschließend, gleichsam als Antwort
und Fortsetzung, lässt sie Luciano Berios Melodiensammlung
der elf „Folk Songs“ von 1964 folgen. In diesem ungewöhnlichen
Umfeld erscheinen die Kompositionen in neuem Licht – und
erhalten den angestrebten „neuen Raum“ zum Atmen.
Für ihr visionäres Musizieren fand Konstantia Gourzi
in der deutsch-griechischen Mezzosopranistin Stella Doufexis und
der Berliner Pianistin Maria Baptist gleichgesinnte Mitstreiterinnen.
Mit fulminanter Intensität lässt Doufexis’ Sprechgesang
die einundzwanzig Miniaturen des mondtrunkenen Schönberg-Pierrots
lebendig werden. Hellwach reagiert ihre wendige Stimme auf kleinste
Veränderungen der Tongebung, vorzüglich ist die Textverständlichkeit,
mitunter entsteht aus Einzelworten ein ganzer Kosmos. Stella Doufexis
erzählt kokett oder raunt geheimnisvoll, ist sinnlich-somnambul,
morbide oder sehnsüchtig, spielerisch oder tiefsinnig. Binnen
Sekunden entsteht eine andere Szene, und das hellhörige Ensemble „opus21musikplus“ verleiht
der dichten Sprachperformance sensibel eigene Klangfarben. Nach
der siebten Miniatur – unterteilt ist der „Pierrot
lunaire“ in drei Teile à 7 Miniaturen – trägt
das erste von zwei je rund vier Minuten dauernden „Jazz Interludes“ mit
Maria Baptist den Hörer weiter und lässt den gehörten „Pierrot“-Teil
nachwirken. Die Basis dieser feinsinnigen Klavierimprovisationen
bilden Schönbergs Pierrot-Akkorde, die, langsam gespielt, „deutlich
an Jazz-Akkorde erinnerten“, so Konstantia Gourzi, und eine
innere Sammlung für das Kommende ermöglichen. So ergibt
Schönberg plus Jazz eine andere Wahrnehmung des „Pierrot
lunaire“.
Am Ende dieses neuen musikalischen Spannungsbogens stehen die
Berio-„Folk
Songs“, die mit zeitloser Qualität und melancholischem
Märchenton mühelos an das letzte Pierrot-Stück anschließen.
Nun überzeugt Stella Doufexis’ warm timbrierter Mezzo
mit betörenden Lyrismen in vielen Sprachen und Dialekten – aus
den USA, Armenien, Frankreich, Italien und Aserbaidschan stammen
die Volkslieder, deren Texte in deutscher Übersetzung das
Booklet leider unterschlägt. Aber dies ist auch das einzige
Minus in einer Neueinspielung vieler Pluspunkte.