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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 40
56. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Traditionell Innovatives aus Südafrika nach Sachsen
Die 31. Leipziger Jazztage zelebrierten den „Focus: South
Africa“
Jazz ist, wie die Zeit vergeht. Die 31. Leipziger Jazztage boten
Anfang Oktober nicht weniger als zweieinhalb Dutzend Programmpunkte,
stellten gut 77 Künstlerinnen und Künstler auf, sorgten
für mindestens 24 Stunden Genuss und Unterhaltung. Gegen Ende
fragte sich dann manch ein Dauergast, ob es das wirklich schon
wieder gewesen sein soll. Viel zu rasch ging ein fulminantes Feuerwerk über
die diversen Bühnen, das es mit Jazz, der sich an seinen Wurzeln
reibt, um in steter Erneuerung in den gelebten Alltag und ganz
weit nach vorn ins versuchende Wagnis zu schauen, tatsächlich
ernst gemeint hat.
Gewohnt
streng und präzise: Abdullah Ibrahim. Foto: Andre
Kempner
Mehr denn je geriet das Jazzfest in seinem 31. Jahrgang zur Inkarnation
des künstlerischen Leiters. Einer One-Man-Show gleich, verkörperten
die Leipziger Jazztage 2007 deutlich das von Bert Noglik gewollte
Profil. Wirklicher Schaden ist das nicht, denn der moderierende
Macher beweist sich erneut als ebenso kenntnisreich wie geschmackssicher.
Er ist ein absoluter Experte, der sich für Suche und Neuentdeckungen
niemals zu schade ist. So hat er auch diesmal Formationen ans Leipziger
Licht ge- und befördert, die nie zuvor zu hören gewesen
sind. Wer das aktuelle Thema „Focus: South Africa“ reflektiert,
mag meinen, so schwer sei es wohl nicht, Novitäten vom südlichen
Zipfel des Schwarzen Kontinents in die Mitte Europas zu holen.
Doch es irrt, wer heute noch von einer jazzigen terra incognito
ausgeht.
Breiterem Publikum mag neben Abdullah Ibrahim kaum ein südafrikanischer
Jazzer bekannt sein, auch dieser Guru des musikalisch zelebrierten
Widerstands gegen Apartheid und Unterdrückung ist ja vor allem
durch seine mutige Verwebung von beständiger Folklore mit
aufbegehrend Innovativem populär geworden. In Leipzig aber
hat der immerhin 73-jährige Meister mit einer einstündigen
Solo-Andacht am Piano überrascht, die seinen vor mehr als
vierzig Jahren vorgebrachten „Good News from Africa“ glücklicherweise
Recht geben durfte.
Amerikanische Wurzeln, afrikanische Quellen
Dass die Wurzeln des Genres in Nord-amerika liegen, ist weithin
bekannt. Doch gespeist werden sie nachhaltig aus afrikanischen
Quellen. Und die Basis für alles, was Jazz heißt, ist
Widerstand. Sowohl musikalisch als auch gesellschaftlich bedeutet
er Reibung Überwinden des Bestehenden, Verschmelzen von Parallelen
und Gegensätzen. Jazz besticht durch Lebendigkeit und immer
wieder Neues.
Die 31. Leipziger Jazztage haben sich in besonderer Weise um
die Historie dieses von steter Erneuerung lebenden Genres verdient
gemacht, indem sie – nach „Arabian Aspects“ im
Jahr 2006 – nun mit „Focus: South Africa“ titelten.
Kaum je dürfte in Deutschland Südafrikas Jazz derart
thematisiert worden sein, obwohl die Szene aus vielfältigen
Ethnien, im besten Sinne auch von Folklore, vom kreativ angeeigneten
Tonsatz der Kolonisten und in vergangenen Jahrzehnten auch vom
Anti-Apartheid-Kampf gespeist ist. In dieser Melange hat Bert Noglik,
künstlerischer Leiter des Festivals, ein exzellentes Programm
gesucht und gefunden. Ganz ohne große Namen wie dem von Abdullah
Ibrahim geht das sicherlich nicht, obwohl das Konzept insgesamt
mehr auf das Entdecken von Neuem setzt.
Gar nicht im Schatten dieser Instanz feierten Landsleute um McCoy
Mrubata und Paul Hammer im speziell für Leipzig geschaffenen
Sextett den südafrikanischen Jazz als veritablen Schmelztiegel.
Expressive Spielfreude und virtuoses Austasten neuer Wege auf durchaus
traditionsbewusster Basis gelang auch dem kultigen Klangmagier
Carlo Mombelli mit seinen „Prisoners of Strange“ aus
Johannesburg. Während der Apartheid wie so viele seiner Kollegen
ein Exilant, lebt der witzig gebliebene Avantgardist längst
wieder in seiner Heimat und besticht mit dem Zauber aus Soundexperiment
und Perfektion.
Internationalität und junges Publikum
Die „South African – Dutch Connection“ um den
Niederländer Paul van Kemenade und den in einem Township aufgewachsenen
Feya Faku beleuchtete, wie wunderbar geschmackssicher Saxophone,
Trompete und Flügelhorn in jazzigem Ambiente polyphone Strukturen
entstehen und variieren lassen können. Auch die vielfältige
Saxophonistin Shannon Mowday zeigte sich der Moderne und den eigentlichen
Wurzeln der Gattung verpflichtet und verstand es, lustvoll nicht
nur zu wildern, sondern mit ihrer Formation einen furiosen Blick
auf und aus die „African Eyes“ zu werfen.
Neben dem Südafrika-Focus sichtete das Fest den Jazz auch
global und distanzvoller und bewies erneut dessen weltweite Verwobenheit.
Der Norweger Karl Seglem setzte den Kontrapunkt zum Süden;
dennoch bewies auch er sich in der Tradition des Archaischen, doch
war er mit Fiedeln und Elektronik mal in nordische Mythen und oft
in klangliches Neuland entschwunden. Der Sarde Paolo Fresu lud
den Pianisten Stefano Bollani zum musikalischen Gipfeltreffen mit
seinem Trio ein und zündete ein wahres Feuerwerk. Das vierhändige
Vorspiel Bollanis mit Fresus Tastenguru Antonello Salis stand solitär
als veritables Zauberstück. Aus den USA kam „The Bad
Plus“ um Ethan Iverson, ein ebenso klassisches wie originelles
Trio, das auch mal Ausflüge in die Welt des Pop wagt, um sie
jazzvoll perfekt umzupflügen. Ein spaßiges Heimspiel
kosteten Studiosi der Leipziger Musikhochschule um Beat Freisens
Spelunkenorchester aus. Als Überraschung waren das niederländische
Stimmwunder Greetje Bijma und der Organist Klaas Hoek im Raum der
Reformierten Kirche angesagt.
Selten sind Festivals so konsequent wie vielfältig, denn neben „Focus:
South Africa“ konnten gestandene Gäste im Leipziger
Schauspielhaus ein Wiederhören mit Ulrich Gumpert feiern oder
in Nachtklubs wie Moritzbastei und Nato alternativeren Ensembles
begegnen. Dass seit Jahren in Leipzig auch an die Jüngsten
gedacht wird, ist ein wunderbares Omen für die Zukunft des
unsterblich sich erneuernden Jazz. Diesmal zelebrierte wieder Julianes
Wilde Bande „Jazzmusik für kleine Leute“, ein
Hoffnungszeichen mit Spaß und Respekt vor dem Genre. Die
kleinen und großen Leute waren begeistert. Als ob die Zeit
auch einmal stillstünde. Jazz sei Dank!