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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 41
56. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Buddhistische Träume aus Licht und Elektronik
Jonathan Harveys „Wagner Dream“ am Grand Theatre de
Luxembourg uraufgeführt
1883, Venedig. Familienkrach im Hause Wagner. Richard streitet
mit Cosima. Es geht ums Kleine wie ums ganz Große. Das Erscheinen
einer sehr jungen und äußerst attraktiven Sängerin
macht Cosima spürbar nervös. Carrie Pringle hatte einen
ersten kleinen Auftritt im „Parsifal“ und fühlt
sich nun zu Höherem berufen. Neben diesem eher irdischen Konflikt
treibt die Wagners jedoch noch etwas ganz anderes um. Ein Lebensoperntraum
namens „Die Sieger“. Nur in Richards Kopf existiert
die buddhistische Geschichte um das Mädchen Prakriti und den
Mönch Ananda. Beide haben schon einiges ohne und nebeneinander
durchgemacht, in verschiedenen Inkarnationen fanden sie nicht zusammen.
Jetzt schließt sich ein Kreis, sie treffen, finden und lieben
sich, allerdings nur platonisch-spirituell…
Mit dem Traum friedvoller Entsagung im Kopf stirbt Richard Wagner,
ein Herzanfall sorgt dafür, dass die „Sieger“ nicht
mehr aufs Notenpapier gebracht werden können.
Der französische Autor Jean-Claude Carrière hat ein
ebenso fantasievolles wie an einigen Stellen leicht kitschiges
Libretto verfasst. Sehr blumig ist die Sprache, arg pathetisch
kommt so mancher Lieb- und Leidgesang daher – sehr gelungen
allerdings das Spiel mit und auf zwei Ebenen. Die „reale“ Wagner-Welt
spricht und streitet sich nämlich in bestem Oxford-Englisch,
die erträumte Oper ist aber ist reine, sehr komplex gebaute
Musik. Der Engländer Jonathan Harvey (geb. 1939) ist nicht
nur ein Fachmann für elaborierte Klangverbindungen, sondern
auch Buddhist. Ein besonderes Interesse Harveys gilt dem ‚Stehenbleiben‘ der
(musikalischen) Zeit.
In Harveys Partituren findet sich oft ein dicht gewebtes Netz aus
Klangfiguren, die durch den Einsatz von Elektronik eine neue, raumgreifende
Dynamik entwickeln. Da wandern Töne, Akkordfolgen, manchmal
auch Melodien durch den Raum, treffen sich, überlagern sich
und scheinen urplötzlich still zu stehen. In „Wagner
Dream“, Harveys dritter Oper, grummelt es gelegentlich wie
bei Stockhausens unterm Sofa, ein andermal mäandern, wuchern
die Klänge traumverloren durch den Theatersaal. Uraufführungsregisseur
Pierre Audi sorgte in Luxemburg vor allem für gute Lichtstimmungen. Über
dem Orchestergraben, in dem rund zwei Dutzend exzellente Musiker
des ICTUS-Ensemble unter der Leitung von Martyn Brabbins spielen,
hat Audi eine Reihe von unterschiedlich beleuchtbaren Neonröhren
anbringen lassen. Darüber ist eine kleine Rampe gebaut, die
ein bisschen aussieht wie die Weltscheibe von Wieland Wagner. Dort
spielt im Wesentlichen die Opernhandlung, davor läuft das
Wagner-Konversationsstück ab. Audis Inszenierung überzeugt
durch gute Personenführung und eine kluge Lichtregie, allerdings
gerät vor allem die buddhistische Liebesgeschichte durch den
Einsatz allzu farbenfroher Kleidung und teils sehr pathetischer
Gesten immer wieder doch in die Nähe von Sakralkitsch.
Insgesamt entsteht jedoch ein suggestiver Opern-Trip, der von
den diversen Projektionen an der Bühnenrückwand noch verstärkt
wird: Es ziehen düstere Wolken oder auch ganz abstrakte Formen
vorüber. Die teils sehr deutlich von Benjamin Britten beeinflussten
Gesangslinien brachten vor allem Claire Booth als liebendes Mädchen
und Gordon Gietz als in sich ruhender Mönch zum Leuchten.
Eindrucksvoll außerdem Rebecca de Pont Davies und Dale Duesing,
der als leibhaftiger Buddha auftrat. Ausgezeichnet sechs Choristen,
deren Sehnsuchtsgesang oder Kommentar gelegentlich hereinschwebte.
Die aufwändige Live-Elektronik programmierte Gilbert Nouno
vom Pariser IRCAM, der Komponist höchstselbst sorgte an den „Mischpulten“ für
ihre Realisierung.