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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 39
56. Jahrgang | November
Oper & Konzert
Mehr von diesem Zaubertrank
RuhrTriennale: Willy Decker inszeniert Frank Martins „Le
vin herbé“
„Le vin herbé“, das aus den Spielplänen
verschwundene Meisterwerk Frank Martins war der Zaubertrank der
zu Ende gegangenen RuhrTriennale. Getragen von der Jungen Deutschen
Philharmonie unter Friedemann Layer, einem handverlesenen, hochkarätigen
Sänger- und Schauspieler-Ensemble sorgten Regisseur Willy
Decker und sein Ausstatter Wolfgang Gussmann für den Theater-Höhepunkt
dieser Saison. Nach Festival-Schluss wurde Decker zum künftigen
RuhrTriennale-Intendanten proklamiert. Der Zauber könnte vorhalten.
„
Un beau conte d’amour et de mort?“ – „Ein
Lied von Liebe und Tod?“ Die Frage des Chors kommt aus dem
Pechschwarzen. Musik, die aus dem Dunkeln aufsteigt wie eben das
uralte Lied von Tristan und Königin Iseut. Distinkter Chorgesang,
seraphische Streicherklänge, die nicht den Sehsinn, der die
Oberflächen abtastet, bedienen. Was es auf der von Wolfgang
Gussmann eingerichteten Bühne zu sehen gibt, wenn sich das
Flügeltor schließlich hebt, kommt ohne grelle Farben
aus, besticht durch eine archaisch-klare Formensprache.
Kreis und Linie, Krone und Boot, Kugel und Schwert. Letzteres senkt
sich von der Decke der alten Gebläsehalle dieser umfunktionierten
Duisburger Industriekathedrale, ohne doch die Liebenden, die da
unten eingeschlafen sind, trennen zu können. Am Schwert können
sie nicht zugrunde gehen. Sie sind geborgen in ihrer Liebe. Nur
an ihr werden sie sterben. Liebe, stärker als der Tod. Eine
Plattitüde? Nicht unbedingt, bedenkt man die Entstehungszeit
dieses „weltlichen Oratoriums“.
1938. Frank Martin beginnt die Arbeit an der Wort-für-Wort
Vertonung von drei Kapiteln aus „Le Roman de Tristan et Iseut“ (1900)
des französischen Mediävisten Joseph Bédier. 1942
beendet er den „Vin herbé“, womit der Komponist
erstens den Beweis erbracht hat, dass es eine Zukunft für
den Tristan-Stoff auch nach Wagner gibt und dass dieser zweitens
als veritabler Gegenentwurf zur Überwältigungsästhetik
geflochten werden kann, ohne seine Zaubertrank-Qualiät einzubüßen.
Mitten im Krieg, „mitten in den entsetzlichsten Hass-Exzessen,
zu denen Menschen fähig sein können“, so stellt
bewundernd Regisseur Decker fest, „schreibt Martin ein leises,
stilles, unbeirrt konzentriertes Stück über die Liebe“.
Im März 1942 besorgt der Auftraggeber, der Züricher Madrigalchor,
die konzertante Uraufführung. Im Mai 1943 kommt es am Theater
Braunschweig zur konzertanten deutschen Erstaufführung, die
der 16-jährige Hans Werner Henze tief berührt erlebt,
ergriffen von der strengen Schönheit dieser Musiksprache.
Dann wird es selbst still um dieses Meisterwerk. Im Positionskampf
der Nachkriegsavantgarde ist für solche Inkommensurabilität
kein Platz. Bliebe somit das Verdienst von Jürgen Flimm, einem
Theatermenschen, der sich in das Klassische an der Moderne verliebt
hat, Martins „Vin herbé“ für die Bühne
wiederentdeckt, wieder reklamiert zu haben.
„
Vin herbé“ – das ist der gewürzte Wein,
den Tristan und Iseut trinken, um daran, nicht an ihrer Todesverfallenheit,
dieser unseligen spätbürgerlichen Lieblingsidee, zu sterben.
Zugleich ist dieser „Vin herbé“ ein „weltliches
Oratorium“ für zwölf Sänger und acht Instrumentalisten,
Streicher und Klavier, die in Duisburg platziert sind in einer
mühlsteinartigen Mulde im Bühnenzentrum: ein Schoß für
Orchester und Chor. Kammermusikalische Intimität.
Alles hat hier seinen Ort und ist doch in Bewegung. Aus dem Chor
lösen sich die Protagonisten. Choristen werden zu Schauspielern,
treten in Gruppen zusammen, lösen sich, formieren sich neu.
Nichts Statuarisches ist an dieser Inszenierung, womit Decker tatsächlich
die konstatierte Offenheit des Werks, das in keine der üblichen
Schubladen passt, in ein zauberhaftes Schweben übersetzt hat.
Berückend zu sehen, wie die Musiker in der Szenerie agieren
und doch außer ihr stehen – vergleichbar einer allen
Moden enthobenen Musik.
Dass Willy Decker dieses Stück gegen den landläufigen
Theatertrend inszeniert und gerade damit für den Musik-Höhepunkt
in einem insgesamt durchschnittlichen RuhrTriennale-Abschluss gesorgt
hat, genügt, um die Wahl des Aufsichtsrats Kultur Ruhr GmbH
freudig zu begrüßen, berechtigt sie doch, eben mit Blick
auf die Spielzeit 2009/11, zu den schönsten Hoffnungen. Ein
Theaterbewusstsein, das der ewigen Verpoppung und zwanghaften Multimedialisierung
widersteht, eines, das an die Differenz des Werks glaubt, an seine
Ferne zu einer Wirklichkeit zwischen Obi und Aldi, Kino und Comedy,
hat seine Zukunft, sein Publikum und – soviel hat dieser
Zaubertrank gezeigt – seine Stoffe noch vor sich.