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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 10
56. Jahrgang | November
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Kunst-Richter
Zwei Kunst-Urteile haben in jüngster Zeit Diskussionen entfacht.
Wohl verstanden, es geht nicht um Urteile von Kritikern, sondern
ganz unmetaphorisch um Gerichtsurteile. Sie rufen in Erinnerung,
dass auch künstlerische Äußerungen und das Sprechen über
Kunst sich nicht im rechtsfreien Raum bewegen. Der erste Fall rührt
an einen ganz heiklen Punkt, nämlich den Begriff der Kunstfreiheit.
Der zweite Fall ist harmloserer Art; er betrifft Verwaltungsvorgänge
im Subventionsbetrieb und besitzt auch einige unbeabsichtigt heitere
Aspekte.
Die Frage der künstlerischen Freiheit stand ganz direkt zur
Debatte im Fall des Romans „Esra“ von Maxim Biller.
Der Erste Senat des Bundesgerichts bestätigte nun das Verbot
des Buches und dokumentierte damit, dass es das Persönlichkeitsrecht über
das Recht auf freie Kunstäußerung stellt. Verletzt würden
die Rechte von Billers ehemaliger Freundin, denn in dem Buch, das
intimste Details in der Liebesbeziehung des Ich-Erzählers
mit der Titelfigur schildere, sei sie eindeutig als „Esra“ erkennbar.
Das Gericht stellt fest: „Je stärker Abbild und Urbild übereinstimmen,
desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts.“
Dass das Urteil mit der knappen Mehrheit von fünf gegen drei
Stimmen fiel, ist ein Indiz, dass es den Richtern nicht ganz geheuer
war, in künstlerische Sachverhalte mit juristischen Mitteln
einzugreifen. Andererseits handelt es sich hier um eine klassische
Güterabwägung, und da gaben sie dem Recht des Individuums
auf seine Privatsphäre den Vorrang. Das heißt nicht,
dass künftig nur noch politisch korrekte, jede Ähnlichkeit
mit lebenden Personen vermeidende Kunst gemacht werden darf. Doch
kann man – auch wenn das Gericht das keinesfalls beabsichtigte – das
Urteil auch als literaturkritischen Denkanstoß nehmen: Ein
Künstler macht es sich zu leicht, wenn er sich auf die Skandalträchtigkeit
der Indiskretion verlässt, statt sich ästhetisch zu exponieren.
Das nicht eingegangene künstlerische Risiko kehrt durch die
juristische Hintertür zurück.
Der zweite Fall ist unspektakulärer. Das schweizerische Bundesverwaltungsgericht
rügte die mit staatlichen Geldern arbeitende Kulturstiftung
Pro Helvetia, weil sie Gesuche um Ausrichtung von Fördergeldern
routinemäßig mit der Begründung abgewiesen hatte,
mit ihren begrenzten Mitteln könne sie nur künstlerisch
innovative und qualitativ hochstehende Projekte fördern. Ein
Gesuchsteller, dessen Antrag durchgefallen war, hatte dagegen geklagt
und Recht bekommen. Indem das Gericht Kriterien einforderte, nach
denen etwas als künstlerisch innovativ eingestuft wird, machte
es ein Riesenfass auf. Worüber sich Kritiker schon nicht einigen
können, das soll nun eine staatliche Stiftung erforschen und
rechtsverbindlich festlegen? Vermutlich wollten die Richter aber
den Angestellten der Stiftung nur signalisieren: Hände weg
von künstlerischen Urteilen, diese sind Sache der Künstler
selbst und der professionellen Kritik. Insofern wäre das Urteil
als durchaus kunstfreundlich zu bezeichnen. Und für die symbolischen
Kunst-Richter in den Feuilletons wäre es ein Ansporn, einmal
nachzudenken, was gern benutzte Worthülsen wie Innovation
und Qualität denn nun eigentlich bedeuten. Was Denkgenauigkeit
angeht, ließe sich von den Juristen sicher noch einiges lernen.