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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 9
56. Jahrgang | November
Cluster
Darbietungsdiebe
Nach den Raubkopierern hat das sich Recht bahnende Kreativenherz
einen neuen Gegner gefunden: die Sänger, die Sängerinnen,
die Singenden, die Chöre, spontan oder organisiert. Den
singenden heiligen drei Königen wie den krächzenden
Halloween-Trotteln droht Ungemach. Denn natürlich ist auch
so etwas nicht für umsonst. Da stehen Künstler hinter – Schöpfer – mit
der vollen Wucht ihrer Urheberrechtskörbe.
Das Absurde: Es ist so. Ein Gema-Abhörer lauert potentiell
hinter jeder Wohnungstür, hinter der C-Pfeife der Orgel in
der Kirche oder wurde als Kind angeworben von den Marketing-Murkern
der Gema und zum Scout ausgebildet. Kreative V-Männer, die
man fein in Gema-Ausbildungscamps auch für die Alkohol-Kontrollen
des Leyen-Ministeriums einsetzen kann: Multitasking-Scouts.
Das Problem, ein Amtsgericht in Köln (AK 137 C 293/07) hat
entschieden: „Das Singen von Liedern beim Kommerz einer studentischen
Verbindung,
insbesondere auch des Deutschlandliedes, verletzt keine Urheberrechte.“ Ein
Leitsatz, den man sich wird merken müssen. Und es führte
dazu aus: „Nicht alles, was öffentlich geschieht, ist
aber (…) zwangsläufig eine Darbietung. Andernfalls wäre
das Tatbestandsmerkmal überflüssig. Die Öffentlichkeit
des Geschehens indiziert, jedenfalls im vorliegenden Fall, nicht
den Darbietungscharakter. Anwesende Gäste waren schwerlich
dazu eingeladen, den Gesängen der Burschenschafter zu lauschen.
Vielmehr war es ihnen zumindest freigestellt, sogar mitzusingen.
Auch das Klavierspiel führt nicht zum Darbietungscharakter.
Hierbei handelte es sich nur um eine Begleitung, die den Zweck
gehabt haben mag, den Gesang zu stützen oder die Feierlichkeit
des Geschehens zu unterstreichen.“ Viele haben sich über
dieses Urteil freundlich bis lustig geäußert. Doch dazu
besteht kein Grund. Die neue Frage ist vielmehr: Was lassen wir
uns darbieten, und wer entscheidet das? Die Gema-Scouts in der
Schulhofecke oder erledigt das der GEZ-Mann (upps, den darf man
so ja gar nicht mehr nennen, sonst bekommt man eine Abmahnung,
denn der heißt offiziell Rundfunkgebührenbeauftragter
vom Beauftragtendienst der öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten,
wir verwenden zum besseren Verständnis den üblichen Sprachgebrauch)
gleich mit? Man muss also noch viel stärker als früher
darauf achten, was die „Sänger um die Ecke“ uns
darbieten. Sonst sind sie nämlich nichts anderes als Raubsänger
und wir, die meist zwangsweise Zuhörenden, Raubhörer.