[an error occurred while processing this directive]
nmz-archiv
nmz
2007/11 | Seite 12
56. Jahrgang | November
Ferchows Fenstersturz
Klappe zu, Affe tot
Als ich anfing, Musik als etwas zu begreifen, das nichts mit
vermotteten Orff-Instrumenten, Glas zersingenden Grundschullehrerinnen
und
Heinz Schenks „Blauem Bock“ zu tun hat, lösten
sich „The Police“ auf. Gerade als ich den ersten
Schluck Punkblut gekostet hatte, wurden meine Helden begraben.
Zunächst durch die Trennung der Band, dann von der NDW,
deren Protagonisten bald als halbblinde Zeitzeugen der ersten
Musiksteinzeit in Guido Knopps Geschichtsdokumentationen aussagen
müssen. „The Police“ waren also tot. Aber Helden.
Doch Vorsicht! Die Musikindustrie ist tricky. Mit ihrem Motto „back
to life“ werden Pop-Tattergreise reanimiert und durch die
Infusion „Reunion“ zwar auf zittrigen Beinen, aber
im Sinne der Historizität und dem Roll-o-Mat auf die Bühnen
dieser Erde geschoben: „The Who“, „The Sex
Pistols“ und „Modern Talking“ taten es, die „Smashing
Pumpkins“ versuchen es, „Led Zeppelin“ wollen
auch und gerade dabei sind „The Police“. Die Helden
der 70er, 80er und 90er noch einmal live sehen? Dieser Kitzel
wird einem vorgegaukelt. Die Realität spricht da eine eher
verwirrte Sprache. Warum sollten sich „The Police“ nach
20 Jahren Gehässigkeit plötzlich vertragen? Die Antwort:
finanzieller Engpass. Da Sting als Solokünstler erfolgreich
war, reduziert sich die temporäre Zahlungsschwierigkeit
wohl auf die beiden anderen Bandmitglieder.
Und damit es nun
wirklich bis ans Lebensende reicht, löst Sting ein fahrlässig
im Suff gegebenes Versprechen der 80er ein und bittet die Kollegen
zum Seniorentanz. Dabei wird herzlich zugegriffen: Für 85
Euro gab es beim Konzert in München die Stehplatzkarte zu
erwerben. Doch wo sich früher Gliedmaßen in einer
einzigen Woge verkeilten, steht das ausrangierte Publikum regungslos
im Olympiastadion, als lausche es einer Predigt von Rudi Scharping.
Zu Recht, denn es gibt keinen Grund zu tanzen. „The Police“ haben
nämlich die Handbremse mitgebracht. Die Punksongs von einst
verdunsten im bärbeißigen Abschlussball-Ambiente.
Gitarrist Summers spielt seine Riffs in Peter Strucks Sprechtempo,
hat den Aktionsradius eines Weihnachtsbaums und verfehlt unerschütterlich
die aus diesem Grund wohl schon vorher dezimierten Backgroundgesänge
ein ums andere Mal.
Drummer Copeland kann hingegen nach wie vor
eine exzellente Hi-Hat schlagen, doch seine Bühnenpräsenz ähnelt
einem Drill-Instruktor im Aerobic-Kanal des Spartensenders ESPN,
der den neuen „Bauch weg-Gürtel“ über den „Point
of Sale“ der mit der Couch vereinten Hausfrau verkloppen
möchte: hautenges T-Shirt in leblosen Farben, Stirnband,
Ivan Lendl-Gedächtnis-Schweißbänder, Brille mit
Kassengestell und Kopfbügel-Mikrofon. Wenn dieses Konzert
und alle weiteren der ähnlich exhumierten Helden als Wiederauferstehung
verkauft werden sollen, dann wäre mir ein ordentliches,
weil endgültiges Begräbnis lieber gewesen. Oder eine
immerwährende Beerdigung wie bei den Rolling Stones. Davon
haben wenigstens fünf Generationen etwas. Müssen Helden
so sterben?