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2007/11 | Seite 14
56. Jahrgang | November
Kommentar
Music sells
„Mit Musik darf man Geld verdienen.“ Das ist die
Botschaft der diesjährigen Mitgliederversammlungs-Diskussion
des Deutschen Musikrats. Noch deutlicher formulierte es einer der
Diskussionsteilnehmer: „Mit
Musik muss man Geld verdienen.“ „Kreativwirtschaft“ lautete
das Schwerpunktthema, über das die Musikratsmitglieder nach
zwei Eingangsstatements von Dagmar Wöhrl, MdB und Parlamentarische
Staatssekretärin beim Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie, und Dieter Gorny, Vorsitzender des Bundesverbandes
der Phonographischen Wirtschaft, rege diskutierten. Die Botschaft
ist klar: Der kommerzielle Bereich der Musik robbt sich aus seiner
Schmuddelecke in die Sphäre des Schönen und Guten. Endlich
darf man laut sagen, dass Geld verdienen mit Musik keine Schande
ist. Ganz im Gegenteil: Schwindel erregende Zahlen belegen inzwischen,
dass Musik- und Kulturwirtschaft einen entscheidenden Wirtschaftsfaktor
unseres Landes ausmachen. Nicht zu vergessen die vielen Arbeitsplätze,
die die Kreativbranche bietet und immer neu schafft. Das macht
alle glücklich, vor allem aber die Verlage, die Musikinstrumentenhersteller,
die vielen kleinen und mittelgroßen Kulturunternehmen. Die
Vertreter der Musikwirtschaft hatten in dieser Diskussion eindeutig
Oberwasser. Dabei geht es – wie meistens, wenn zurzeit die „Kreativwirtschaft“ bemüht
wird – munter hin und her zwischen den Begriffen „Kunst“, „Kultur“ und „Kreativität“.
Dagmar Wöhrl bringt es auf den Punkt, wenn sie sagt: „Wir
werden noch gewisse Schwierigkeiten mit den Begriffsbestimmungen
haben.“ Wer sind eigentlich die Kreativen? Wo ist die Grenze
dessen, was man noch als eigene Kreation, persönlichen Schöpfungsakt
bezeichnen kann? Auch die Musikratsdiskussion lieferte hier keine
eindeutige Definition.
Immerhin: Dieter Gorny, den man durchaus als Vertreter einer
kommerziell ausgerichteten Branche bezeichnen darf, war fast der
einzige, der
auch eine Lanze brach für die Umfelder, die Kreativität
erst möglich machen. „Das hat mit Wertigkeiten im Bereich
der Bildung zu tun, die wir im Moment nicht haben.“ Ansonsten
ging es im Wesentlichen um Geld, um angemessene Entlohnung der
Kreativen, ums Bruttosozialprodukt.
Wenig von dem, was im Verlauf der Diskussion gesagt wurde, ist
falsch. Zu kritisieren ist eher das, was ungesagt blieb. Die deutliche
Frage des Moderators, ob denn die Musikratsmitglieder sich in solchen
Definitionen zu Hause fühlten, verhallte im Raum. Dabei hatte
Friedbert Pflüger in seiner Begrüßungsansprache
eine Steilvorlage geliefert: „Der wirtschaftliche Faktor
der Musik ist wichtig; aber er darf nicht der Mittelpunkt werden.
Im Mittelpunkt steht die Kraft, die wir aus der Musik schöpfen.“ Wo
waren die Vertreter der musikpädagogischen Verbände,
der Kulturorchester, der Laienmusik, die die Vorlage aufgriffen
und nutzten?
Wenn die Botschaft des Musikrats in der Stimme seiner Mitglieder
in solcher Form nach außen geht, freuen sich alle diejenigen
Politiker, die erst seit kurzem den Begriff der Kreativität
und der Kunst für sich entdeckt haben. Sie nehmen sie erst
in den Mund, seitdem sie erkannt zu haben glauben, dass sie dafür
kein Geld mehr ausgeben müssen. Die „Kreativität“ vermarktet
sich schließlich selbst. Aufgabe des Musikrats muss es aber
auch sein, vom Freiraum zu sprechen, der die Entfaltung der Kunst
erst möglich macht. Einer Kunst, die dann im nicht-kommerziellen
Sinn die Gesellschaft bereichert.
Dieter Gorny spricht von der Freiheit des Kreativen, seine Idee
zu vermarkten oder eben auch, dies nicht zu tun. Nicht genannt
bleiben all diejenigen, die ihre kreativen Ideen gerne verbreitet
sehen wollen, dafür aber eben nicht den breiten Markt finden,
der sie ihnen angemessen finanziert. Vielleicht lag es an der Terminkollision
der Generalversammlung mit dem zentralen Event der Neutöner
in Donaueschingen, dass niemand für diese Kreativen ins Feld
schritt. Werke eines Helmut Lachenmann, eines Manfred Trojahn oder
eines Wolfgang Rihm jedenfalls hätten nie eine Chance gehabt,
von uns gehört zu werden, wenn sie nur nach ihrem kommerziellen
Erfolg bewertet worden wären.
Allen Mitgliedern des Musikrats wäre zu wünschen gewesen,
dass sie am Abend nach anstrengender Versammlung Zeit und Gelegenheit
gehabt hätten, die halbszenische Aufführung von Glucks „Orfeo“ im
Konzerthaus am Gendarmenmarkt zu besuchen: zwei Stunden ergreifendes
Musikerlebnis. In keiner dieser 120 Minuten war man geneigt, darüber
nachzudenken, wie viel die Musiker verdienen, was das Bühnenbild
gekostet hat oder ob der Verlag angemessene Materialkosten erhält.
Allenfalls konnte zwischendurch Freude darüber aufkommen,
dass öffentliche Förderung dieses wie unzählige
andere Musikereignisse (noch) möglich macht. Dafür weiter
in die Bresche zu springen, ist auch künftig die Aufgabe des
Musikrats. Und wenn dann auch die Kohle stimmt, hat niemand etwas
dagegen.