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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 12
56. Jahrgang | November
Nachschlag
Laden dichtmachen?
Am 24. September 2007 tickerte folgende Nachricht in die Redaktion: „TV-Moderator
Götz Alsmann (50) wünscht sich im Fernsehen mehr „Häppchenklassik“. „Der
Klassikmarkt krankt traditionell an seinem elitären Gehabe.
Diese Häppchen machen Appetit auf mehr“, sagte der studierte
Musikwissenschaftler und Moderator der ZDF-Klassik-Sendung „Eine
große Nachtmusik“ der „Welt am Sonntag“.
Er sei zudem froh, „dass die viel geschmähte Popstarvermarktung
von Klassiksolisten stattfindet. Das ist großartig. Sonst
könnte der Laden dichtmachen. Eine Anna Netrebko tut dem gesamten
Klassikgeschäft sicher gut.“
Einen Monat später erfahren wir bei der 14. Echo-Klassik-Preisverleihung
in München, was „Popstarvermarktung von Klassiksolisten“ im
Klartext heißt.
Den Echo-Klassik in der Kategorie „Lied-einspielung des Jahres“ erhielt
nicht Anna Netrebko, sondern die Sopranistin Christine Schäfer
aus den Händen ihrer Klavierbegleiterin Hélène
Grimaud. Beide waren in diesem Jahr bereits gemeinsam mit Schumanns
Liederzyklus „Dichterliebe“ bei den Salzburger Festspielen
zu erleben. Außergewöhnlich das Repertoire der Sopranistin
für diese CD-Einspielung bei Capriccio: Aribert Reimanns Mendelssohn-Lied-Transkriptionen „...oder
soll es Tod bedeuten?“. Es handelt sich um acht Lieder und
ein Fragment von Felix Mendelssohn Bartholdy nach Gedichten von
Heinrich Heine für Sopran und Streichquartett bearbeitet und
verbunden mit sechs Intermezzi von Aribert Reimann.
Doch die Freude über diesen Erfolg des Zeitgenössischen
beim Echo-Klassik wich schnell der Ernüchterung: Häppchen-Zeitgenössisches
war angesagt. Fauxpas Nummer eins: Komponist Aribert Reimann war
nicht zur Verleihung eingeladen worden. Vielleicht sogar ein Glücksfall,
denn – und das war Fauxpas Nummer zwei – bei der Fernsehübertragung
der Lied-Transkription von Mendelssohns „Auf Flügeln
des Gesangs“ fehlte gleich das zugehörige ReimannVorspiel.
Ob das den Komponisten gefreut hätte? Werktreue und Klassik-Echo
sind scheinbar nicht kompatibel. Sollen wir doch froh sein, dass
Neue Musik bei einem Event, den 2,15 Millionen Zuseher an ihren
Fernsehapparaten verfolgen, wenigstens in Häppchen gespielt
wird? Erinnern wir uns wieder an den Musikwissenschaftler mit der
postmodernen Haartolle: „Sonst könnte der Laden dichtmachen.“
An dieser Stelle des Nachschlags bietet sich eine günstige
Gelegenheit, den Deutschen Musikrat wieder einmal ins Spiel zu
bringen. Der widmete am 19. und 20. Oktober seine Mitgliederversammlung
in Berlin dem Star unter den Tagungsthemen, der Kulturwirtschaft.
Im Berliner Abgeordnetenhaus sprach Präsidiumsmitglied Dieter
Gorny vor dem Musikratsplenum von globalökonomischen Konfrontationen:
neue Wirtschaftsmächte erobern den Weltmarkt – den klassischen
Industrienationen bleibt nur noch ein letzter Rohstoff – es
ist der wertvollste: die Kreativität. Gorny mahnte: „Hier – im
Musikrat – sind die Kreativen.“ Sinngemäß:
Der Musikrat müsse sich jetzt melden bei der Politik, sonst
könne man den Laden dichtmachen.
Dass Kunst und Musik möglicherweise Dinge sind, die sich auch
außerhalb messbarer CD- und Download-Umsätze bewegen,
nicht quantifizierbar in GEMA- oder GVL-Ausschüttungen, das
spielte an diesem Wochenende keine Rolle. Ein Antrag, die Mitgliederversammlung
zukünftig auf ein anderes Herbstwochenende zu verschieben,
damit man nächstes Jahr auch die Vertreter der Neuen Musik
zu Gast hat und zudem nach Donaueschingen fahren kann, wurde mit
knapper Mehrheit abgelehnt. Man könne die Mitgliederversammlung
nicht wegen eines Festivals verschieben.
Neue Musik innerhalb der Kulturwirtschaft – muss man den
Laden wirklich dichtmachen? Dazu noch ein Zitat aus einem Interview
dieser Zeitung mit Wolfgang Rihm (Seite 8) über das Förderprogramm „Konzerte
des Deutschen Musikrates“. Auf die Frage welche Rolle die
allgemeine ökonomische Ausgangssituation für das Entstehen
interessanter Initiativen im Konzertleben spiele, antwortet er: „Je
weniger Geld es gibt, umso weniger haben sowieso schon mutlose
Veranstalter Mut, ihre Mittelwege zu verlassen. Die Mutigen aber
sind ohnehin stets an neuen Wegen interessiert. Was ich sagen will: Ökonomie
hin oder her, es sind immer Individuen, die etwas ermöglichen
oder eben nicht.“
Und Menschen sind es auch, die Kulturpolitik machen. In Deutschland
treffen Positionen eines neoliberalen Ökonomismus auf eine
kulturpolitische Auffassung, die Kunst und Kultur als wertsetzende
und sinnvermittelnde Sphäre jenseits des Markthandelns versteht.
Angesichts dynamischer Entwicklungen der Kulturwirtschaft, veränderten
Konsumentenverhaltens und fortwährender Finanzierungsschwierigkeiten
der öffentlichen Hand muss Kulturpolitik nach neuen Antworten
und Strategien für ihre eigene Zukunft suchen. Klingt doch
vernünftiger als „den Laden dichtmachen“. Oder?