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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 14
56. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Den Staub von den Lehrplänen blasen
Zum Kongress des Arbeitskreises für Schulmusik (AfS) im September
in Kassel
Über den Schulmusiker an sich kursieren ja die wildesten
Gerüchte und Vorurteile: Von der Musikhochschule sinnloserweise
zum Hochleistungssolisten ausgebildet, wird er ohne jede Praxisanleitung
auf unschuldige Kinder losgelassen, wo er dann entweder stur leistungsbezogen
seinen Lehrplan durchzieht oder die Zeit mit dem Abspielen der
Klassik-Hits totschlägt. Mit 45 ist er dann ausgebrannt, weil
die Schüler im Unterricht nicht mal die Stöpsel ihres
i-Pods aus den Ohren nehmen und niemand in Schulleitung oder Kollegium
seinem Fach Wertschätzung entgegenbringt.
Praktische
Erfahrungen im „Drumcircle“. Foto: Juan Martin
Koch
Soweit die Mär, die im Hintergrund immer mitschwingt, wenn
vom Niedergang des Musikunterrichts oder dessen Nichtvorhandensein
an deutschen Schulen die Rede ist. Einen ganz anderen Eindruck
von der Spezies Schulmusiker bekommt man auf energiegeladenen Fachtagungen
wie derjenigen Ende September in Kassel, wohin der „Arbeitskreis
für Schulmusik und allgemeine Musikpädagogik“ (AfS)
eingeladen hatte. Während man sich früher – durchaus
in Konkurrenz zum „Verband Deutscher Schulmusiker“ (VDS) – dafür
stark machte, den Staub von klassik- und theoriefixierten Lehrplänen
zu blasen, Pop, Rock und außereuropäische Musik gerade
auch in praktischer Form in die Klassenzimmer zu bringen, ist die
Lagerbildung inzwischen überwunden. Der AfS kooperiert mit
dem VDS, bindet diesen sogar in die inhaltliche Planung seiner
Kongresse ein. Und mit dem diesjährigen Thema schien man auch
den Versuch zu machen, bewusst gegen das eigene Image zu bürsten: „Bach-Bebop-Bredemeyer – Sperriges
lebendig unterrichten“ hieß es da, eher AfS-untypisch.
In diesem Sinne argumentierte auch der AfS-Vorsitzende Jürgen
Terhag als Moderator der Eröffnungsdiskussion: Sei der AfS
ansonsten eher dafür bekannt, „schülernahe Themen“ einzufordern,
so komme man diesmal gleichsam von der anderen Seite. Mit einem
Schuss Provokation hatte er kurzerhand die Klassik als solche ins
Reich der „Sperrigkeit“ verwiesen und wurde darin auch
gleich von Michael Fromm bestätigt, der die klassische Musik
im Unterricht kurzerhand zur „hochexplosiven Mischung“ erklärte,
die „in falschen Händen den Zugang zur Musik versperren
kann.“ Frauke Heß mochte in ihr wenigstens eine „Zumutung
im positiven Sinne“ erkennen, Barbara Stiller wehrte sich
gegen die Vorstellung von der Klassik als „unbewegter Musik“ und
Barbara Jeschonneck konnte aus ihrer Erfahrung an einer „Brennpunkt-Grundschule“ gar
von einem „Dürsten nach Qualität“ und einem überaus
erfolgreichen „Mozart-Tag“ berichten. Wo Fromm für
einen strikt praxisorientierten Zugang plädierte, gab Frauke
Heß zu Bedenken, eine Bruckner-Symphonie könne nicht
durch das eigene Spiel im Unterricht erschlossen werden. Ähnlich
disparat blieben die Vorstellungen auch im weiteren Gesprächsverlauf,
der in altbekannter Zuspitzung zu der Frage führte, in welchem
Maße ein Lehrer selbst spezialisierter Künstler oder
vielleicht doch eher „Universaldilettant“ (Terhag)
sein müsse.
Ein Aspekt der Diskussion aber sollte im weiteren Verlauf der
Tagung eine Rolle spielen, die Frage Jürgen Terhags nämlich,
ob man die Klassik nicht bewusst als etwas Fremdes präsentieren
solle. In eine ähnliche Richtung zielten Christoph Wallbaums Überlegungen
zu einem „außeraustralischen Beethoven“, also
zum Versuch, die klassische Musikkultur von einem außereuropäischen
Standpunkt aus einzukreisen, oder die von Dorothee Barth und Martin
Greve beschriebenen Projekte zur Feldforschung gleichsam vor dem
eigenen Schultor.
Zahllose weitere Workshops, Vorträge, Diskussionen und Konzerte
an diesem langen Wochenende versuchten, in die im Kongressmotto
apostrophierten „Sperrgebiete“ vorzudringen, wobei
Bach – nicht überraschend – bei entsprechender
kreativer Umsetzung schnell von jenem vermeintlichen Sockel herabgenommen
war, auf dem er sonst angeblich sein Dasein fristet. Freilich trieb
diese Kreativität in einem Fall auch kuriose Blüten.
So verstieg sich Peter Tomanke im Rahmen seiner durchaus anregenden
praktischen Erarbeitung eines Bach’schen Konzert-rondos zu
der These, die Rondoform spiegle das Ur-Bedürfnis des Menschen
nach der Rückkehr in den Mutterschoß wieder. Der notwendigen,
auch als Befreiung empfundenen Abnabelung vom Rondothema in den
individuellen Couplets, in denen der Mensch sich als Einzelwesen
empfinde, stehe die Rückkehr in die Geborgenheit des Kollektivs,
also des Rondothemas gegenüber. Jede Musik, so Tomanke weiter,
die auf die Wiederkehr erkennbarer Motive, also im weiteren Sinne
das Rondoprinzip verzichte, sei im Grunde an den Bedürfnissen
des Menschen vorbeikomponiert. Deswegen seien auch Schönberg
und andere mit ihrer Musik gescheitert.
Dass Dutzende Schulmusiker diesen Unsinn kopfnickend hinnahmen,
um dann weiter ihre Tanzrunden zu drehen, war hoffentlich nur der
momentanen Versenkung in das praktische Tun geschuldet. Alarmierender
waren da schon die Gründe dafür, dass die Teilnehmerzahl
in diesem Jahr nur bei gut 500 lag (im Vergleich zu etwa 800 in
früheren Jahren). Vielfach hatten Lehrkräfte für
die Donnerstag abends beginnenden Veranstaltungen offenbar nicht
die Freigabe von ihrer Schulleitung bekommen oder brauchten angesichts
eines sich verschlechternden Berufsalltags die Herbstferien zur
Regeneration. Auch fachpolitisch bleibt für den AfS also noch
einiges zu tun.