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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 13
56. Jahrgang | November
Kulturpolitik
Keith Jarrett und weitere siebentausend Unterschriften
Music Village Campus als Alternative? Bremer Bürger kämpfen
um ihren Konzertsaal, aber Radio Bremen blockt
Während in anderen Kulturzentren neue Auditorien für
Musik geschaffen werden oder wurden, etwa in Hamburg, Essen, Duisburg,
Dortmund oder München, bangen Bremens Musikfreunde um ihren
geliebten Konzertsaal. Im folgenden Interview, das Eckart Rohlfs
mit Klaus Bernbacher, ehedem Musikchef bei Radio Bremen, führte,
geht dieser auf Hintergründe, Situation und Visionen ein.
Aufbau
zu „Farben der Frühe“ für sieben
Klaviere von Mathias Spahlinger. Foto: Friedrich-Karl
Plinke
Bremen ist zwar kleinstes Bundesland in unserer Republik. Aber
in dieser alten Hansestadt boomen nach wie vor nicht nur Wirtschaft
und Handel, sondern sie weist aufbauend auf einer ansehnlichen
musikalischen Tradition heute ein überaus aktives Musikleben
mit einer engagierten treuen Hörerschaft auf. Hier ist Chorpflege
ebenso tragfähig wie die Programme des Philharmonischen Orchester
und der Kammerphilharmonie. Etliche Spezialensembles für Alte
und Neue Musik lassen von sich hören. Auffällig ist auch
Bremens Hochschullandschaft, zumal mit einem speziellen musikpädagogischen
Ausbildungskonzept an der Universität. Und über 100 weitere
Einträge musikalischer Aktiva weist der neueste Musik-Almanach
des Deutschen Musikrats unter dem Stichwort Bremen auf. Vor 80
Jahren trat der Bremer Rundfunk als „neuer Faktor ins Musikleben
ein“ (MGG), mit Sende- und Konzertreihen, mit originellen
Produktionen, Festivals und Schwerpunkten in Musica Nova, historischer
Aufführungspraxis und in Popularer Musik. Aber wie lange noch?
Denn nun hat das in Bremen angesiedelte Archiv Deutsche Musikpflege
einen besonders aktuellen Sammelauftrag die tausendfachen Stimmen
der öffentlichen Meinung zu sammeln, die derzeit weit über
Bremen hinaus Schlagzeilen machen: gegen den offensichtlichen Kuhhandel
von Radio Bremen und seinem Intendanten, der für den Neubau
sein bisheriges Domizil meistbietend und rücksichtslos verscherbelt
hat. Im Mittelpunkt steht sein Konzertsaal, der den Bürgern
Bremens jedoch als bevorzugtes unentbehrliches Podium besonders
ans Herz gewachsen zu sein scheint und den sie nicht der Spitzhacke
ausgeliefert sehen wollen.
neue musikzeitung: Welche Bedeutung hat dieser Sendesaal von
Radio Bremen, für den seine Programmdirektion glaubt keine Verwendung
mehr zu haben, aber für dessen Erhalt sich die Bremer Bürger
und ein eigener Verein vehement einsetzen und für den mit
Professor Klaus Bernbacher und Peter Schulze zwei Experten – selbst
jahrlang für Radio Bremens Musikabteilung verantwortlich – sprechen? Klaus Bernbacher: Der historische Sendesaal von Radio Bremen hat
Musikgeschichte geschrieben. Er verfügt über 280 Plätze,
hat eine berühmte Akustik und ist ein bemerkenswertes Zeugnis
der Baukultur der 50er-Jahre! „... der eigenartigste, der
schönste Saal“, so Bürgermeister Wilhelm Kaisen,
und ein nationales Denkmal aus Sicht des Landesdenkmalpflegers,
dem im Grunde von niemandem widersprochen wird. Der Saal vermittelt
Intimität, Konzentration und Stille. Für Künstler
und Hörer ein Idealfall. Namhafte Interpreten, unter anderem
Harnoncourt, Alfred Brendel, Keith Jarret sowie 7.000 Musikliebhaber
setzen sich mit ihrer Unterschrift für den Erhalt des Sendesaals
ein. Es gibt keinen vergleichbaren Saal in Bremen. Er wurde zum
Beispiel 2006 an 240 Tagen genutzt, davon die Mehrzahl öffentliche
Konzerte, dazu Produktionen des Senders mit Partnern.
nmz: Für künftige Produktionen des Senders bedarf es
dieses Saales nicht mehr? Bernbacher: Auf Druck der Ministerpräsidenten erfolgten Kürzungen
des Finanzausgleichs der ARD für unseren Sender, die der Intendant
Prof. Dr. Heinz Glässgen im Programmbereich hauptsächlich
durch Einschränkungen der Musikproduktion weitergeleitet und
bewerkstelligt hat. Außerdem hat der Intendant entschieden,
ohne eine gleichwertige Alternative zu haben, ab 2008 den Saal
für den Sender nicht mehr zu belegen – eine unverantwortliche
Haltung, um so mehr als sie dem öffentlich-rechtlichen Programmauftrag
widerspricht.
nmz: Welchen Zwecken könnte der Sendesaal denn künftig
dienen, welche Aufgaben ließen sich hier erfüllen? Gibt
es realistischen Bedarf? Bernbacher: Der Verein hat die Idee eines gemeinsamen
Musikdorfes für Senioren und Studenten – Music Village – mit
dem integrierten Sendesaal für das circa 20.000 Quadratmeter
große restliche Hörfunkgelände vorgeschlagen und
entwickelt. Als Vorbild gilt das Hamburger Künstlerdorf „New
Living Home“, das der vormalige Hamburger Hochschulpräsident
Hermann Rauhe als Initiator kürzlich in Bremen vorgestellt
hat. Dieses Lebensmodell „50plus“ ist als gesellschaftliche
Aufgabe zwischen den Generationen kürzlich durch den Wiesbadener
Kongress des Deutschen Musikrates einschließlich einer Erklärung
thematisiert worden und findet überall eine erhebliche Resonanz.
Es besteht Handlungsbedarf. Für Bremen eine richtige Chance,
zumal ein solventer Investor und Projektentwickler vorhanden ist,
der bei konsequenter Anwendung dieses Konzepts auch für den
Sendesaal dieses für tragfähig hält. Außerdem
sind folgende Nutzungen möglich: Der Sendesaal soll vermietet
werden für Studioproduktionen und Konzerte vor allem der Kammermusik
und des Jazz. Als internationales Produktionszentrum wird der Saal
weiterhin hochgeschätzt: Er ist geeignet für Kooperationen
mit internationalen Platten- und Sounddesign-Firmen, Podcast-Produzenten,
Hörbuchverlagen und auch für wissenschaftliche Experimente,
zum Beispiel seitens der Forschungslabors zur Hörgeräteherstellung
in Oldenburg, der Neurowissenschaften Uni Bremen et cetera. Konzerte
im Dunkel (Aktion Mensch) findet dort ihren idealen Raum. Kulturveranstaltungen
von Rang, Vorträge, Lesungen und Bürgerversammlungen
haben im Sendesaal Platz. Stipendiaten könnten dort experimentieren,
Ensembles der Bewohner proben und konzertieren. Er ist originär
selbstverständlich auch weiterhin für Live-Sendungen
geeignet seitens des RB und anderer.
nmz: Das sind großartige Visionen – aber welches sind
nun die schlimmsten Hemmklötze, um einem solchen Konzept näher
treten zu können? Bernbacher: Das Land Bremen – nicht die Wirtschaft – ist
pleite! Falsche riesige Investitionen des Scherf-Senates der großen
Koalition haben dafür die Grundlagen geschaffen. Die im Mai
neu gewählte rot-grüne Landesregierung muss gravierende
Fehler ihrer Vorgänger bewältigen. Es wurden natürlich
weitere Fehler gemacht, so zum Beispiel die Aufhebung der Unterschutzstellung
des Saales – der neue zuständige Kultursenator und Bürgermeister
Jens Böhrnsen, ein Verwaltungsjurist, rechnet andernfalls
mit dem negativen Ausgang eines Prozesses vor dem Oberverwaltungsgericht.
Das Land Bremen müsste dann den Ausfall der zweiten Tranche
des Kaufvertrages zwischen dem gegenwärtigen Besitzer und
Radio Bremen bezahlen.Der Bürgermeister würde es begrüßen – insofern
eine Änderung zur vorigen Regierung – wenn es unserem
Investor und dem Verein gelänge, durch größere
private Mittel und eine Bürgerspende das fehlende Geld bis
zu circa zwei Millionen Euro aufzubringen. nmz: Es scheint fünf vor zwölf zu sein: Sehen Sie noch
rechtliche, finanzielle und zeitliche Chancen für eine auf
Dauer tragfähige Lösung? Werden Wunsch und Wille der
Bürger, der Steuer- und Gebührenzahler in den Wind geschlagen?
Sind Einsichten der streitbaren Partner tatsächlich Illusion,
keine Solidarität in Sicht, kein Runder Tisch „pro Musica
futura Bremiensa“, um eine für Bremen peinliche Tragikomödie
zu vermeiden? Bernbacher: Doch, es gibt noch Hoffnung, wenn die Spitzen der Politik
und Parteien im Konsens unsere vielfältigen Bemühungen
in der Öffentlichkeit nachhaltig unterstützen.