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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 1
56. Jahrgang | November
Leitartikel
Klima-Wandel
Spinner, Ideologen, Gesellschafts-Schädlinge: Mit wie viel
Hohn, Hass und „wissenschaftlich fundierten Gegenargumenten“ wurden
noch vor zehn, zwölf Jahren Ökos aller Farben überhäuft,
als sie versuchten, die Folgen der Erderwärmung ins öffentliche
Bewusstsein zu heben. Politik und Industrie bildeten „Fronten
der Vernunft“ wider die Rotten der „Umweltfanatiker“.
Ein auf den ersten Blick weit weniger spektakulärer Klima-Wandel
vollzieht sich, gut getarnt als ökonomische Ultima Ratio oder
als Vision einer besseren Zukunftsgesellschaft, in unserem Kultur-Winkel
seit einiger Zeit. Die so genannte Versöhnung zwischen Geist
und Geld, zwischen Kunst und Ökonomie. Gegen solche Nettigkeiten
wäre gar nichts einzuwenden, gäbe es nicht Erfahrungswerte,
die den Vollzug dieser Hochzeit zu einer Paarung zwischen Krokodil
und Kaninchen geraten ließen. Der neue Streichelzoo heißt
Kreativ-Industrie und wird ausgerechnet zu einem Zeitpunkt eingerichtet,
da die Industrie allenfalls noch Stacheldraht und Elektro-Schocker
beisteuern kann. Es schwingt sich zum Beispiel eine abgewirtschaftete
Branche, die phonographische, in den Status des Perspektiv-Lieferanten
für die Kreativen im Lande auf, entdeckt 20 Jahre zu spät,
dass man nur ernten kann, wenn man auch mal den Boden düngt,
und geriert sich dank routiniertem Marketing-Geflitter als Spiderman,
der Weltenretter.
Dabei lassen sich gewisse Funktionärs-, Pägagogen- aber
auch Künstler-Persönlichkeiten gern sehr schnell über
den Tisch ziehen, weil sie die Reibungshitze mit warmer Zuneigung
verwechseln. Bestens vertreten von einer Dienstleistungsgesellschaft
zur Vermarktung von Urheberrechten im angloamerikanischen Stil
(so wird die Gema wohl bald heißen) jubeln dann die Kreativen über
die Verwandlung ihrer Schöpfung in wohlfeile Handelsware,
deren Preis natürlich der Markt bestimmt. Von Enteignung zu
sprechen signalisierte ja eine negative Grundhaltung.
Was an kreativen Emanationen dieses „freie Spiel der Kräfte“ präferieren
wird, zeigt schon heute die Entwicklung unserer hochseriösen
Anstalten des öffentlichen Rechtes: Von den acht Milliarden
Euros, die jährlich allein durch Gebühren eingenommen
werden, landen mehr als drei Viertel in Industrie-affinen Mainstream-Produktionen,
die Subvention von Doping-Drogen noch gar nicht eingerechnet. Und
das Gros der Intendantenschar duckt sich öffentlich unter
das alleinige Diktat der Quote.
Dass sich bei soviel gesellschaftlich akzeptiertem Gewicht der
Zahlensteuerung Politiker und gar Bundesbehörden nicht mehr
mit Floskeln wie „künstlerische Autonomie“ beschäftigen
mögen, sich lieber auf die Excel-Tabellen ihres Laptops verlassen,
nimmt da nicht Wunder. Wie berichtet speist sich die „Initiative
Musik“ als Kreativ-Wirtschaftsförderung aus Mitteln,
die der Bundeskulturstiftung entzogen wurden. Sicher ist sicher.
Und der Bundesrechnungshof als im Rahmen dieser Klima-Veränderung
naturgemäß oberste deutsche Kulturinstanz rät in
einem Gutachten Mitte Oktober zur Beendigung jeglicher Kulturförderung
durch den Bund. Tschüss, „Jugend
musiziert“, willkommen Pop-Stars. Und rasch an die Börse,
Jeunesses musicales.