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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 8-9
56. Jahrgang | November
Magazin
Fördergelder ins Kulturleben gerettet
„Konzert des Deutschen Musikrates“: Die Geschichte eines Förderprogramms
im Spiegel der Zeit
„Konzert des Deutschen Musikrates“ – dieser
Name steht seit 1980 für ein Förderprogramm des Deutschen
Musik-rates zugunsten der zeitgenössischen Musik. Seine Gründungsgeschichte
ist ein Musterbeispiel dafür, wie aus einem Scheitern doch
noch das Beste gemacht wurde: Der große Wurf einer Deutschen
Nationalstiftung für Kunst und Kultur, Bestandteil der Regierungserklärung
des damaligen Bundeskanzlers Willy Brandt, konnte nicht realisiert
werden. Im Bundeshaushalt waren bereits Haushaltsmittel für
die geplante Nationalstiftung reserviert. Aber der Widerstand der
Bundesländer gegen eine stärkere eigenständige Bundeskulturförderung
war nicht zu überwinden; die Nationalstiftung konnte nicht
geboren werden.
Und doch: Unter Bundesinnenminister Gerhart Baum wurde mutig
entschieden, die bereits in den Bundeshaushalt eingestellten Fördergelder
für verschiedene Bereiche des deutschen Kulturlebens zu retten.
Aus dem Scheitern der großen politischen Idee erwuchs dem
Deutschen Musikrat somit die Chance, eigene Förderpläne
für die zeitgenössische Musik zu realisieren. Unter dem
Namen „Konzert des Deutschen Musikrates“ wurde 1980
die Einrichtung eines neuen Förderprojekts vom Bund genehmigt.
Die Fördergelder sollten dazu dienen, die Präsenz der
Neuen Musik im Konzertleben zu verstärken. Ansatzpunkt war
zunächst die Zielgruppe der Sinfonieorchester. Durch Zuschüsse
zu Wiederaufführungen groß besetzter Werke der zeitgenössischen
Musik beabsichtigte man, zur Anreicherung der Programme der alteingesessenen
Kulturorchester mit Werken der neueren und neuesten Musik und damit
zur Repertoirebildung beizutragen. Verbunden übrigens mit
der Förderung von Nachwuchssolisten, die zu engagieren damals
als Junktim an die Förderung gekoppelt war.
Im Laufe der Jahre wurden die Schwerpunkte und Regularien immer
wieder den Veränderungen in der Neuen-Musik-Szene angepasst.
Die Zunahme der Spezialensembles für Neue Musik und ihre wachsende
Bedeutung für die aktuelle Kunstmusik führte zum Beispiel
dazu, dass seit 1985/86 auch diese ins Antragsverfahren aufgenommen
wurden. Bald überflügelten die Spezialensembles mit ihren
Aktivitäten und Förderanträgen bei weitem die klassischen
Sinfonie- und Kammerorchester.
Sinkende Förderbudgets, steigende Fördernachfrage, verstärkte
bürokratische Kontrolle von seiten der öffentlichen Geldgeber – diese
Stichworte markieren eine allseits bekannte Entwicklung. Überprüfung
und Aktualisierung der Förderziele und Fördermaßnahmen
heißen als Reaktion die „Zauberworte“ der Praktiker.
So hielt ein Protokoll bereits im Jahre 1990 als Ergebnis einer
Konferenz der Betroffenen fest: „Intensivere Förderung
sollen in Zukunft Projekte erfahren, die sich durch mutige und
ungewöhnliche dramaturgisch-programmatische Inhalte (...)
auszeichnen und/oder neue Wege der Vermittlung gehen.“
2004 wurde zum Jahr der „Runderneuerung“ vom „Konzert
des Deutschen Musikrates“. Eine neue Förderausschreibung
macht deutlich, dass kreative Köpfe unterstützt werden
sollen, die Impulse und Ideen des Komponierens der Gegenwart dem
Publikum näher bringen und das Experimentierlabor der Neuen
Musik zugänglich und einladend machen. Neue Musik nach 1980
muss es sein; sei es in Konzerten, Konzertreihen oder experimentellen
Darbietungsformen
mit anspruchsvoller Programmgestaltung. Die Tür für experimentelle
Grenzbereiche der aktuellen Kunstmusik ist weit geöffnet.
Neben der Neuen Musik für die traditionellen Klangkörper
finden zum Beispiel auch Klangkunst, elektro-akustische Musik,
musikalische Performancekunst, improvisierte Musik et cetera Förderchancen – falls
die Jury durch ein schlüssiges Veranstaltungskonzept im Sinne
der Ausschreibung überzeugt werden kann. „Qualität – Vermittlung – Experiment“ sind
die entscheidenden Stichworte. Wolfgang Rihm war bereit, bei der
Neuauflage des Förderprogramms im Jahr 2004 den Juryvorsitz
zu übernehmen. Mit seinem Renommée, seiner großen Übersicht
und Erfahrung hat er in der Übergangsphase beim Neustart des
Förderprojektes unter veränderter Ausschreibung stabilisierend
und befördernd gewirkt. Sein Wunsch, nun anlässlich einer
geplanten Umbesetzung der Jury wieder aus dem arbeitsintensiven
Ehrenamt entlassen zu werden, kann nur mit Dank für die geleistete
Arbeit respektiert werden. Ein Dank, der übrigens allen vier
ausscheidenden Jurymitgliedern gleichermaßen gebührt.
Von 2004 bis zur Frühjahrssitzung 2007 arbeitete sich die
Jury durch knapp 700 Anträge. 212 Projekte konnten für
Förderzuschüsse ausgewählt werden: von der nachhaltigen
Arbeit mit Kindern im norddeutschen ländlichen Raum bis zum
Festival der Klangkunst an der ostdeutschen Küste. Von Soundinstallationen
in Berlin über solistische Stimmperformance in Köln zu
Konzertreihen mit Vermittlungsprogramm für bestimmte Zielgruppen.
Von improvisierter Neuer Musik in München zur Gründungskonzertreihe
eines jungen Spezialensembles in Leipzig. Vom Festival zeitgenössischer
Sakralmusik in Mülheim an der Ruhr zu „music on tour“:
Konzertstationen einer Fahrradtour in Panketal-Zepernick und so
weiter und so fort.
Mit der Herbstsitzung 2007 kommen vier neue Mitglieder in die
achtköpfige
Jury. Die Komponistin Prof. Isabel Mundry übernimmt den Juryvorsitz.
So ergibt sich eine Mischung aus Kontinuität und Fluktuation:
vier „Alte“ und vier „Neue“. Die veränderte
Konstellation von Fachleuten der aktuellen Kunstmusik mit ihrem
je individuellen Blick auf die Szene befruchtet die Auswahldiskussionen
und kann vorhersehbare ästhetische Einseitigkeiten bei den
Entscheidungen verhindern.
Während der Fokus der Förderung aus Bundesmitteln bestimmungsgemäß auf
den „Leuchttürmen“ mit überstaatlicher Ausstrahlung
liegt – häufig sind das größere Projekte
der bekannten Spezialisten für Neue Musik in urbanen Zentren – ermöglichen
die Beiträge von GEMA, GEMA-Stiftung und Franz-Grothe-Stiftung
zum Fördertopf von „Konzert des Deutschen Musikrates“ die
Berücksichtigung von Initiativen in kleineren Städten
und ländlichen Regionen, die bezogen auf ihr regionales Umfeld
von besonderer Bedeutung für die Vermittlung zeitgenössischer
Musik sind, eben nahe an der musikalischen Basis.
„Konzert des Deutschen Musikrates“ kann keine Riesensummen
vergeben. Der Fördertopf könnte einen deutlichen Zuwachs
gut gebrauchen. Das Label „Konzert des Deutschen Musik-rates“ signalisiert
den Kundigen aber, dass hier ein künstlerisches Vorhaben von
einer hochkompetenten Jury ausgewählt wurde. Gelegentlich
half dies – als Gütesiegel – sogar, dem örtlichen
Kulturamt endlich einmal eine kommunale Förderung zu entlocken.
Die Rückmeldung der Antragsteller bestätigt: Die Zuschüsse
von „Konzert des Deutschen Musikrates“ haben so manches
avancierte Projekt der Neuen Musik gerettet oder ermöglicht.
Agnes Degen
Förderausschreibung, Listen der bisher bewilligten Projekte
und weitere Informationen im Internet: www.musikrat.de/konzert
Jury 2004 bis einschließlich Frühjahr 2007
Wolfgang
Rihm (Vorsitz)
Lucas Fels
Stefan Fricke
Dr. Gisela Nauck
Christian Scheib
Marcus Schmickler
Manos Tsangaris
Dr. Margarete Zander
Jury ab Herbst 2007
Isabel Mundry (Vorsitz)
Orm Finnendahl
Stefan Fricke
Dr. Gisela Nauck
Dr. Thomas Schäfer
Marcus Schmickler
Manos Tsangaris
Dietmar Wiesner