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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 3
56. Jahrgang | November
Magazin
Alles Cello
Kronberg feiert
Mstislav Rostropowitsch
In dem Taunusstädtchen Kronberg fand Anfang Oktober 2007
zum achten Mal das „Cello Festival“ statt. Es stand
ganz im Zeichen seines Mitbegründers und Schirmherrn Mstislav
Rostropowitsch, der im Frühjahr 2007, kurz nach seinem 80.
Geburtstag, in Moskau gestorben war. Kronberg weiß, was es
dem großen Musiker schuldig ist: schließlich erklärte
er einmal den Ort zur „Welthauptstadt des Violoncellos“.
Wer das für übertrieben hält, wird rasch durch einige
Zahlen und Namen widerlegt. Allein diesmal kamen 35 junge, hoch
qualifizierte Instrumentalisten aus über 50 Nationen, die
sich von einem Dutzend Spitzen-Cellisten in die hohe Kunst der
Interpretation (Noten spielen können sie schon allein!) einweihen
ließen, genug, um Rostropowitschs Kronberg-Erhebung zu legitimieren.
Expertengespräch:
Giya Kancheli und Natalia Gutman in Kronberg. Alle Fotos:
Charlotte Oswald
Wenn das Kronberg-Festival nur aus qualitätvollen Konzerten
bestehen würde, wäre es eine Veranstaltung wie viele
andere auch. Sein besonderes Format gewinnt es durch das, was sich
hinter der Konzert-Kulisse ereignet. Die Kronberg Academy, wie
sich die Institution weltläufig auf Englisch nennt, hat sich
jetzt mit der Frankfurter Hochschule für Musik und Darstellende
Kunst verbündet und einen Studiengang für hochbegabte
Streicher entwickelt, neben dem Cello auch für Bratsche und
Geige. Musiker dieser Instrumente, die eine Solistenkarriere anstreben,
finden mit den „Kronberg Academy Masters“ eine Einrichtung,
durch die sie ihr Spiel interpretatorisch perfektionieren können.
Die Studenten erhalten exklusiven Unterricht durch namhafte Interpreten,
es bieten sich ihnen hervorragende Auftrittsmöglichkeiten.
Wer sich für den Studiengang „Master of Music“ eingeschrieben
hat, erhält als international anerkannten Abschluss den Titel „Master
of Music“ (M. Mus.).
Der Studienbeginn für Cellisten war jetzt im Oktober. Die
Ausbildung für Violine und Viola soll im Oktober 2008 aufgenommen
werden. Direktor der „Kronberg Academy Masters“ ist
der Engländer Stephen Potts, im Beirat werden Yuri Bashmet,
Marta Casals Istomin und Gidon Kremer sich intensiv um die Belange
der Studenten bemühen. Als Professoren für Cello wurden
Gary Hoffman und Frans Helmerson gewonnen, für die Bratsche
Nobuko Imai, für Violine Ana Chumachenco. Es ist selbstverständlich,
dass eine Institution wie die „Kronberg Academy Masters“ kein
Massenbetrieb sein kann. Die Zahl der Teilnehmer pro Studiengang
soll das Dutzend nicht überschreiten.
Zu den Konzerten des achten Cello-Festivals: Wie ehrt man Mstislav
Rostropowitsch am würdigsten? Indem man, wie in Kronberg Tradition,
die besten Cellisten der Welt einlädt, die junge Nachfolger
in die Kunst der Interpretation einweihen, mit ihnen gemeinsam
musizieren und in eigenen Konzerten ihre Meisterschaft zeigen.
Man möchte Schiller zitieren: Wer kennt die Völker, nennt
die Namen…! Natalia Gutman, Mischa Maisky, David Geringas,
Lynn Harrell, Gary Hoffman, Julius Berger, Frans Helmerson, Young-Chang
Cho, Arto Noras, Miklós Perényi sowie der letzte
Schüler Rostropowitschs, Ivan Monighetti – man möge
verzeihen, dass wir aus Platzgründen nur sechs von ihnen im
Bild vorstellen.
Und auch der große Bernard Greenhouse war gekommen – mit
seinen 91 Jahren unverändert an allem interessiert. In seiner
faszinierenden Persönlichkeit spiegelt sich eine fast unendliche
Geschichte des Violoncellos, bis zurück zu Emanuel Feuermann,
Diran Alexanian und Pablo Casals, deren Schüler er war.
In den zwölf Konzerten erklangen viele Kompositionen, die
sich auf Mstislav Rostropowitsch beziehen, sei es, dass dieser
die Werke uraufgeführt oder zugleich auch in Auftrag gegeben
hat. Die Freundschaft mit Schostakowitsch und Prokofieff erwies
sich auch für die Cello-Literatur als äußerst fruchtbar.
Rostropowitschs technische Meisterschaft setzte zugleich für
die kompositorischen Möglichkeiten neue Maßstäbe.
Das haben sich auch westliche Komponisten zu Nutze gemacht. Benjamin
Britten, Henri Dutilleux, Luciano Berio und Pierre Boulez haben
für Rostropowitsch Stücke geschrieben.
An diese komponierte Fülle, an diesen musikalischen Reichtum
erinnerten die zwölf Konzerte mit ihren Programmen immer wieder:
Eine beeindruckende Retrospektive auch, aber da Musik stets immer
wieder neu erklingt, verflog in den oft hinreißenden Interpretationen
alles Historische rasch. Die Auftritte der Cello-Prominenz unterschieden
sich bei gleicher Perfektion immer wieder durch die unterschiedlichsten
Temperamente: Ein wunderbares Kontrastprogramm.
Es gab auch drei Uraufführungen im Gedenken an den Verstorbenen,
von denen eine hier hervorgehoben sein soll. Giya Kancheli hatte
zum 80. Geburtstag von Rostropowitsch (und gleich auch noch zum
60. von Gidon Kremer) ein Stück geschrieben mit dem Titel „Silent
Prayer“, gesetzt für Violine, Violoncello, Vibraphon,
Bassgitarre, Tonband und kleines Orchester. Klänge und Linien
von ätherischer Zartheit scheinen in unendliche Räume
zu streben, aber harte Einwürfe wie Schläge reißen
den Menschen immer wieder in die Realität zurück. Kancheli
schuf ein Werk existentieller Ausgespanntheit, in dem sich persönliche
schmerzliche Erfahrungen mit einem geheimnisvollen Sehnsuchtstonfall
verbinden. Eine große Musik, die von Gidon Kremer, seiner
Kremerata Baltica, der Cellistin Marie-Elisabeth Hecker und Andrej
Puschkarew (Vibraphon et cetera) sensibel und mit feiner Klanglichkeit
gestaltet wurde.
Die Kronberg Academy mit ihrem unermüdlichen Leiter Raimund
Trenkler, das hat das achte Festival einmal mehr gezeigt, befindet
sich mit ihren vielgestaltigen Aktivitäten auf einem zu rühmenden
Weg: Weil sie in die Zukunft denkt, weil sie weiß, dass man
unablässig für die Substanz der Musik und der Interpretation
arbeiten muss. Dazu gehören auch neue Werke wie Kanchelis „Silent
Prayer“. Wie man hört, hat die Kronberg Academy ein
Dutzend und mehr Kompositionsaufträge vergeben. Dieses Engagement
verdient es, besonders und zusätzlich gefördert zu werden.