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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 5
56. Jahrgang | November
Magazin
Über Grenzen hinauswachsen
Porträt des jungen Bratschisten Nils Mönkemeyer
Gemeinsame Kammermusik-Konzerte mit Gerhard Schulz, Julia Fischer
oder Leonidas Kavakos, eine Auszeichnung mit dem 1. Bashmet-Preis
und seit 2006 die Ernennung zum Professor für das Orchesterprogramm
an der „Escuela Superior de Musica Reina Sofia“ in
Madrid. Das sind nur einige der Nachrichten, die unsere Redaktion
in den letzten Wochen und Monaten erreichten. Christoph C. Stechbart
hielt einige der Lebensstationen des jungen Bratschisten Nils Mönkemeyer
im Porträt fest.
Das Interview findet am Tisch eines Münchner Cafés
statt: Neben Mönkemeyers Café Latte liegt eine Ausgabe
von Rilkes „Briefe an einen jungen Dichter“. Er habe
es immer bei sich, sagt der Künstler und zitiert seine Lieblingspassage: „So
müssen wir lernen, das, was uns hindert, zu lieben, um durch
eben dieses zu wachsen über unsere eigene Grenze zu dem, was
groß und weit ist.“
Wünscht
sich „spanische Verhältnisse“ im Klassikbetrieb.
Beide Fotos: Antonia Schulze-Schreiber
Mönkemeyer verbindet mit diesen Zeilen sein Lebensmotto: „Wage
es, das Größte zu wollen und dabei offen für Neues
zu sein.“ Ist ein Hindernis nicht zu überwinden, spornt
es ihn umso mehr an. Als Beispiel führt der Bratschist eine
Begebenheit als Achtjähriger an. Als ihm das Instrument einmal
auf den Boden gefallen war, hatte sich Geigengriffbrett gelöst.
Anstatt das Malheur zu gestehen, versuchte er den Schaden selbst
zu reparieren. Hartnäckig gelang es ihm schließlich,
mit Mutters Alleskleber den Schaden so gut zu beheben, dass sein
Geigenbauer nichts bemerkte.
Der 1978 in Westfalen geborene und in der Nähe von Bremen
aufgewachsene Musiker beschreibt sich selbst als kühlen, norddeutschen
Charakter. Musik spielte im Elternhaus eine große Rolle,
sein Vater ist Jazz-Musiker. Mit acht Jahren begann er mit Geigenunterricht.
O-Ton Mönkemeyer: „Ich habe den Klang einer Barockgeige
gehört, und fand ihn wunderwunderschön.“
Die durch ein absolutes Gehör begünstigte musikalische
Begabung wurde von seinen Lehrern – einschließlich
seinem Vater – durch einen spielerischen Umgang und Freude
am Musizieren gefördert. Wenn der Sohn in das Arbeitszimmer
seines Vaters kam, wurde die eine oder andere Musikaufnahme gehört
beziehungsweise Noten studiert mit Hinweisen auf schwierige Passagen.
Da der Künstler als Teenager nie mit seinem Geigenton zufrieden
war, wechselte er zur Bratsche. Spätestens jetzt wurde ihm
klar: „Das ist der Klang, den ich immer innerlich hörte.“ Mutig
entschied sich der 19-jährige während der Unterrichtsjahre
bei Christian Pohl in Hannover für die professionelle Musikerlaufbahn.
Ab 2000 wechselte Nils Mönkemeyer von der Musikhochschule
Hannover an die Münchner Hochschule für Musik und lernte
bei Hariolf Schlichtig, seine eigene musikalische Handschrift zu
entwickeln.
Mit Hilfe von Stipendien, unter anderem von der Studienstiftung
des Deutschen Volkes, war er finanziell unabhängig und konnte
sich intensiv auf das solistische Üben konzentrieren.
Der Bratschist betont den Einfluss einer seiner Mentoren: Yuri
Bashmet, der ihm eine neue Art des Hörens beibrachte. Dabei
wird das hörbare Spielen so neutral wie möglich mit den
eigenen perfekten Vorstellungen ver-glichen. Bashmet erkannte außergewöhnliches
Potenzial in Mönkemeyer und ermutigte ihn, beim Musizieren
aus sich selbst emotionsgeladen herauszugehen. Nichts ist für
Mönkemeyer langweiliger als eine auf Sicherheit gespiel-te
Darbietung.
Dazu wieder eine kleine Anekdote: Bei einem Konzert flog sein
Bogen aus Versehen ins Publikum. Während des Kommentares: „Ist
jemand verletzt“, gelangte der Bogen mit Hilfe einer Durchreichekette
wieder auf die Bühne. Trotzdem, oder gerade deswegen spielte
er nach eigenem Bekunden seine beste Schubertsonate – durch
die gute Publikumsstimmung angespornt, über eigene Grenzen
hinauszuwachsen.
Das Jahr 2006 war für Mönkemeyer als Assistent von Diemut
Poppen sehr erfolgreich: Preis des Deutschen Musikwettbewerbs,
Einladung zu „Best of NRW“ und 1. Preis beim „Yuri
Bashmet International Viola Competition“ in Moskau. Der Künstler
erklärt sich diesen Erfolg zum einen dadurch, dass er durch
eigene hohe Ansprüche immer mehr zu sich selber gefunden hat,
zum anderen, dass er mit der Angst vor Bewertungen durch andere,
der Angst, eigenen Ansprüchen nicht zu genügen und der
lähmenden Angst des Scheiterns umzugehen lernte.
Mit seiner Offenheit für Neues betont Mönkemeyer seine
Liebe zur Neuen Musik, da sie den Schmutz in der musikalischen
Schönheit nicht ausspare und so dem heutigen Leben eher entspräche
als ältere Musik. Aber auch im Bereich des Musikmarktes möchte
er den Blick über den Tellerrand wagen. Gerne würde er
den versnobten und trägen Klassikmarkt verändern, zum
Beispiel mit Klassik-CD-Rezensionen in der „Bravo“,
oder einem Verbot von „Klassik light“-Compilations à la „Bach
zum Bügeln“. Außerdem wünscht er sich für
klassische Musik in Deutschland „spanische“ Verhältnisse,
das heißt weniger verstaubte Etiketten, beachtliche Hochschul-Förderungen
von privater Seite, etwa durch Banken sowie nach Konzerten mehr
Kontakt zu den Künstlern, und das nicht nur für einen
kleinen elitären Personenkreis. Als Anregung für die
Nachwuchsarbeit schlägt der Bratschist vor, dass sich jeder
gute Künstler verpflichtet, ein Viertel seiner Arbeitszeit
imagepflegend an Schulen mit Aufführungen, Diskussionsrunden
zum Anfassen und gemeinsamen Diskothekenbesuchen zu verbringen.
Interessierte können sich gerne bei ihm melden.
Seinen eigenen Studenten und anderen angehenden Musikern rät
der Musiker, eigene Grenzen nicht zu akzeptieren, „da man
sonst aufhört, sich weiterzuentwickeln.“