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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 4
56. Jahrgang | November
Magazin
Die Ängste sind stärker als die Freuden
Ein Interview mit Michael Dreyer, Leiter des Osnabrücker Morgenland-Festivals
Seit 1979, dem Jahr der Islamischen Revolution, hat westliche
Musik im Iran einen schweren Stand. Ajatollah Chomeini hatte damals
Popmusik mit einem Bann belegt, und auch klassische Musik war zeitweise
streng geächtet. Doch die abendländischen Klassiker haben
langsam wieder Fuß gefasst in Persien, das Teheraner Sinfonieorchester
spielt nach langer Unterbrechung mittlerweile wieder in Sollstärke.
Und zum ersten Mal durfte in diesem Sommer auch ein westliches
Orchester in jenem Land auftreten, in dem zuletzt vor über
30 Jahren Herbert von Karajan den deutschen Klang präsentiert
hatte. Das Osnabrücker Symphonieorchester unter Hermann Bäumer
musste dabei vertraglich zusichern, bei Beethoven, Brahms und Elgar
die islamischen Regeln einzuhalten. Doch der gedämpfte Ton
unterm Kopftuch war nicht das einzige Problem, mit dem die Musiker
zu kämpfen hatten, stets drohte die komplette Absage. Michael
Dreyer, Leiter des Osnabrücker Morgenland-Festivals und Organisator
des bislang größten deutschen Kulturimports in Richtung
Teheran sprach darüber im nmz-Interview.
neue musikzeitung: Ein westliches
Orchester konzertiert im Iran: Ist das Experiment gescheitert oder
gelungen? Michael Dreyer: Gelungen, alles in allem. Wir
haben das Konzert gespielt, auch wenn wir mit vielen Widrigkeiten
zu kämpfen
hatten. Das ist ein Anfang, auch dem sich aufbauen lässt.
nmz: Waren die Osnabrücker willkommene oder lediglich geduldete
Gäste? Dreyer: Man muss da unterscheiden zwischen der
iranischen Bevölkerung
und den Ministerien. Ich glaube, dass sich die iranischen Bevölkerung
sehr gefreut hat – ich bekomme das mit, weil ich viele Leute
kenne hier in Teheran, die sehr begeistert sind von diesem Projekt.
Auf der offiziellen Seite aber gibt es jede Menge Ängste,
ob das auch alles gut geht, und die Ängste sind bedeutend
stärker als die Freude darüber.
nmz: Die Reise des Orchesters war
ja dezidiert als eine musikalische und nicht als eine politische
geplant. Kann denn Kulturaustausch
im Iran unpolitisch sein? Dreyer: Er kann nicht gänzlich unpolitisch sein. Das einzige,
das wir machen können, ist: zu probieren, den politischen
Faktor so niedrig wie möglich zu halten. So haben wir auch
den Bundestagmitgliedern aus dem Bundesausschuss für auswärtige
Kulturpolitik, die uns begleiten wollten, eine Absage erteilt.
Denn wie kann ich erwarten, dass Teheran die Politik heraushält,
wenn ich Bundestagmitglieder mitbringe?
nmz: Wo fanden Sie im Iran die
größten Unterstützer
für Ihr Projekt und wo die größten Widerständler? Dreyer: Mitinitiator dieses ganzes Austauschs,
der ja bereits im vergangenen Jahr begonnen hat mit dem Deutschland-Besuch
des Teheran
Symphony Orchestra, ist auf jeden Fall dessen Dirigent Nader Mashayekhi.
Gegner? Nun, es gibt ultrakonservative Kreise im Iran, die solche
Projekte nicht gerne sehen.
Am Tag unseres Konzerts zum Beispiel war einer der höchsten
Feiertage im Iran, der Geburtstag des zwölften Imam. Da fragte
ein Teil der konservativen Presse hier, ob man ein solches Konzert
denn brauche und schrieb, es sei doch das Allerletzte, dass ausgerechnet
an diesem Feiertag Musik gemacht werde. Das sind jedoch sehr, sehr
kleine Kreise, soweit ich das einschätzen kann. Ich war zehn
Mal im Iran in den letzten Jahren und treffe dort natürlich
vorwiegend Intellektuelle, Künstler, sehr aufgeschlossene
Leute. Das größte Hindernis besteht jedenfalls darin,
dass nie ganz geklärt ist, ob Musik erlaubt ist oder nicht.
Ist Beethoven jene „westliche Musik“, die als verpönt
gilt? Sie finden nur schwer jemanden von der offiziellen Seite
in Teheran, der die Verantwortung für solch ein Projekt übernimmt.
Für das Gastspiel des Teheraner Orchesters im letzten Jahr
in Osnabrück mit Konzerten auch in der Berliner Staatsoper,
eine wirklich große Sache also, gibt es nicht ein Blatt Papier,
nicht den kleinsten Zettel, geschweige denn eine Unterschrift als
Zusicherung, dass das klappt. Buchen Sie mal in Deutschland für
30.000 Euro Flüge oder sammeln Sie Stiftungsgelder, wenn Sie
nichts in der Hand haben!
nmz: Von Anfang an stand ja auch
fest: Es soll nicht nur ein Konzert deutscher Musiker in Teheran
geben, sondern auch einen Austausch
mit ihren iranischen Kollegen in Form etwa von Workshops. Wie war
dieser Austausch geplant und wie sah er letztlich aus? Dreyer: Im letzten Jahr gab es viel spontanes
Miteinander zwischen den Teheraner und den Osnabrücker Musikern, so dass auch klar
war: Wir besuchen das Teheran Symphony Orchestra, ein Besuch von
Orchester zu Orchester sozusagen. Leider haben wir nun die Erfahrung
machen müssen, dass die Musiker sich sehr viel unfreier bewegen
als in Deutschland, dass viele offensichtlich Angst haben, mit
den deutschen Kollegen in Kontakt zu kommen. Es gab leider viel
weniger Kontakt, als wir das alle gerne gehabt hätten, das
ist eine große Enttäuschung bei mir und beim Orchester.