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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 16
56. Jahrgang | November
Musikwirtschaft
Kleinere Kultureinrichtungen als Wirtschaftsfaktor
Das Dresdner Institut für Orientierungswissen beweist Effektivität
mit aktueller Studie
Kleine und mittelgroße öffentlich geförderte Kultureinrichtungen
sind für ein breites Spektrum der kulturellen Angebote unverzichtbar,
weil sie sich um Projekte und künstlerische Richtungen kümmern,
die von kommerziellen Veranstaltern nicht ohne Weiteres realisiert
werden können. Ein Vorurteil ist jedoch, dass der durch diese
Kleinkultureinrichtungen erzielte kulturelle Nutzen teuer – nämlich
mittels der jeweiligen öffentlichen Förderungen – erkauft
sei.
Eine Studie des Dresdner Instituts für Orientierungswissen
zeigt, dass gerade diese kleinen und mittleren Kultureinrichtungen
sehr große wirtschaftliche Effekte erzielen. Das Institut
befragte 2005 insgesamt 37 Dresdner Kultureinrichtungen. Es konnte
nun mit dieser Studie zeigen, dass kulturelle Arbeit „harte“ wirtschaftliche
Effekte hat, dass also die Subvention von Kultur eine ausgesprochen
rentable Investition ist. Zum anderen konnte es nachweisen, dass
dies nicht nur auf die großen Häuser, sondern eben in
besonderem Maße auch auf die kleineren Kultureinrichtungen
zutrifft. Von daher, so der Philosoph und Leiter des Institutes
sowie auch der Studie Dr. Helmut Gebauer, „sollte man auch
kommunale Kulturförderung, die 2006 in Dresden etwa 60 Millionen
Euro betrug und sich 2005 etwa auf gleichem Niveau bewegte, als
Investition mit nachweisbaren wirtschaftlichen Effekten ansehen.“
Betrachtet wurden für die Studie vier Indikatoren: Wertschöpfungs-,
Einkommens-, Investitions- und Beschäftigungswirkungen.
Die Einkommenswirkungen in ihrer volkswirtschaftlichen Verflechtung,
also der Beitrag zum Bruttosozialprodukt Dresdens, lag Gebauer
zufolge bei etwa 105 Millionen Euro, wobei 37 Millionen Euro über
externe Wirkungen im Hotel- und Gastronomiegewerbe und deren Lieferanten
und so weiter entstanden. Die Beschäftigungswirkungen in diesen
externen Sektoren, die mehr oder minder kapitalintensiv produzieren,
lagen bei über 1500 vollwertigen Arbeitsplätzen. Da die
Schätzungen, so Gebauer, konservativ durchgeführt wurden,
und einige plausible Effekte nicht quantifiziert werden konnten,
liegen die Wirkungen vermutlich noch weit höher. „Bezüglich
der Einkommenswirkungen ist dann von mehr als 150 Millionen Euro
auszugehen“, sagt Gebauer. „Wer würde nicht gern
in eine Aktie investieren, die in einem Jahr um fast 300 Prozent
steigt?“, fragt Gebauer angesichts der Konstellation von
einem Budget des Dresdner Kulturamtes 2005 von etwa 60 Millionen
Euro und der Einkommenswirkung von mehr als 150 Millionen Euro.
Damit ist klar: Die Rendite der kommunalen Kultursubventionen
ist beachtlich und kann sich mit Wirkungen der direkten Wirtschaftsförderung
in anderen Sektoren durchaus messen. Dies liegt besonders an den
enormen externen Effekten: Das Gast- und Gastronomiegewerbe profitiert
in seinen Umsätzen beispielsweise mit mindestens 25 Cent aus
jedem ausgegebenen Euro eines durchschnittlichen Kulturbesuchers.
Die Ursachen für diese großen wirtschaftlichen Effekte
liegen in der Spezifik dieses kulturellen Feldes. Ehrenamtliche
Tätigkeit und die zum Teil extreme Selbstausbeutung der Beschäftigten
und Künstler sind für viele kleinere Kultureinrichtungen
die eigentliche Existenzgrundlage und tragen natürlich erheblich
zur Kostensenkung bei. Ein solches Engagement ist häufig auch
unerlässlich, um einen qualitativ hohen Kulturbetrieb aufrecht
zu erhalten. Die Existenz der Kultureinrichtungen, insbesondere
getragen durch ehrenamtliche und unterbezahlte Leistungen, lösen
also Folgeeffekte aus, die weit höher sind als der Arbeitsaufwand
der Betreffenden, denn ein Großteil der Arbeitsplätze
und Einkommenswirkungen wird im Hotel- und Gastronomiegewerbe sowie
in andere Branchen erzeugt. Die kleineren und mittleren Kultureinrichtungen
selbst profitieren jedoch leider nicht von dieser Rendite. Und
weder in den genannten Gewerben noch in der Haushaltspolitik wird
das wirklich wahrgenommen.
Das sei besonders deswegen bedauernswert, weil die kulturellen
Nutznießer von Subventionen für kleinere Kulturveranstalter überwiegend
die Bevölkerung des Dresdner Einzugsgebietes ist – im
Gegensatz zur Hoch-Kultur und deren großen Häusern,
wo mit den Finanzzuwendungen in erheblichem Maße den gut
betuchten Touristen der Zutritt zu „Semperoper & Co.“ erleichtert
wird.
„Eines ist sicher“, betont Dr. Helmut Gebauer: „Im Unterschied
zum Besuch von Eventkultur setzt der Besuch von Kulturveranstaltungen
insbesondere der kleineren Einrichtungen kulturelle Bildung voraus.“ In
kulturelle Bildung müsse Gebauer zufolge erheblich mehr investiert
werden. „In Dresden wird in einem viel zu starken Maße
der Mythos, Kulturstadt zu sein, zelebriert, anstatt wirkliche
Kultur zu leben – von moderner Kultur ganz zu schweigen.“
Dabei werden – auch das ist ein Ergebnis der Studie – gerade
den kleinen und mittleren Kulturveranstalter systematisch Steine
in den Weg gelegt.
So verschwindet im Falle vieler Dresdner Kulturveranstalter etwa
die knappe Hälfte der Fördersumme wieder in anderen Haushalten
und geht für Steuern und andere Abgaben drauf – kommt
also gerade nicht den Künstlern und deren Projekten zugute.
Da kommt es vor, dass die erfolgreiche Sponsorenakquise mancher Einrichtungen
im Nachhinein vom Finanzamt
als wirtschaftliche Einnahmen bewertet und plötzlich rückwirkend
mit 16 Prozent (statt mit 7 Prozent) versteuert werden soll.
Die Ausländersteuer, gestützt durch ein Urteil des
Europäischen Gerichtshofes, muss unabhängig davon bezahlt
werden, ob die Künstler ihre Einnahmen in ihrem Herkunftsland
noch einmal versteuern müssen. Für alle auftretenden
Künstler sind Abgaben an die Künstlersozialkasse zu
entrichten, völlig unabhängig davon, ob sie in der
KSK sind oder nicht – auch für ausländische Künstler,
auch für Musikstudenten.
Richtig schwer wiegen die Abgaben an die GEMA, zumal, so Gebauer,
die wenigsten
Künstler – die Veranstalter schon gar nicht – eine Gegenleistung
erhalten. Der Jazzclub Neue Tonne Dresden berichtet von Fällen, dass Musiker
für die Aufführung von eigenen Werken in der Dresdner „Tonne“ auch
nach drei Jahren von der GEMA dafür überhaupt kein Geld gesehen haben
oder, nach mehreren Nachfragen, gerade mal zwölf Euro, obwohl der Jazzclub
in allen Fällen die GEMA-Gebühren in vollem Umfang abgeführt hatte.
Kein Wunder, wenn solche kleinen und mittleren Kultureinrichtungen – unter
der Finanzlast stöhnend – auch als kräftig angezapfte Geldquellen
für das Sozialsystem oder als Unterhaltshilfe für eine Bürokratie
gesehen werden können.
Das sei, so Gebauer, zwar nicht de jure so, aber de facto. Die
entsprechenden Urteile, so der Philosoph, zielen zwar darauf, gleiche
Bedingungen für alle
Künstler herzustellen und nicht zum Beispiel deutsche Künstler gegenüber
ausländischen zu benachteiligen. Ähnlich ist die Argumentation im Umgang
mit den Abgaben an die KSK. Aber: „Die kleineren Kultureinrichtungen können
dies nicht – wie zum Beispiel kommerzielle Veranstalter oder die großen
Einrichtungen – über erhöhte Preise an den Zuschauer beziehungsweise
Besucher weiter geben.
Entweder der kleine Veranstalter streicht durch den finanziellen
Druck einige eigentlich geplanten Veranstaltungen, so dass weniger
Künstler als andernfalls
möglich auftreten können, oder aber er drückt die Gage. Verlierer
sind in jedem Falle jene, in deren Interesse Recht gesprochen und scheinbar Gerechtigkeit
hergestellt wurde: die Künstler, insbesondere jene in den Bereichen, die
die kleineren Kultureinrichtungen ausfüllen.“ Gebauer: „Die
leben nicht selten an der Armutsgrenze, egal, ob sie aus Dresden oder Sizilien
kommen.“
Dass mit den kleinen und mittleren öffentlich geförderten Kultureinrichtungen
gerade jene „geschröpft“ werden, die überwiegend ehrenamtlich
oder stark unterbezahlt arbeiten und deren wirtschaftliche „Rendite“ der
Gebauer-Studie zufolge verblüffend groß ist, ist weder kulturpolitisch
noch wirtschaftlich und erst recht nicht moralisch vertretbar.