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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 17
56. Jahrgang | November
Musikwirtschaft
Den Ideen von Pestalozzi und Nägeli verpflichtet
200 Jahre Musikhaus Hug in Zürich – ein Interview mit
Erika Hug
Das Musikhaus Hug und der Musikverlag Hug können dieses Jahr
auf eine 200-jährige Firmengeschichte zurückblicken.
Chefredakteur Andreas Kolb sprach mit der Geschäftsführerin,
Erika Hug, über eine Schweizer Erfolgsgeschichte.
neue musikzeitung: Frau Hug, wie kommunizieren Sie ihr Jubiläum,
was für zentrale Veranstaltungen wird es geben? Erika Hug: Wir haben uns mit unseren Fachleuten und Instrumentenproduzenten
mehr als 100 sehr spezielle und teilweise exklusive Jubiläumsangebote
ausgedacht, was für ein mittelständisches Unternehmen
in unserer Branche eine Leistung ist. Es gibt sieben „Gold-Angebote,
die in Inseraten mit der Geschichte vorgestellt werden. Einen Steinway-Flügel
Nr. 1, der so genannte Küchenflügel, den wir in drei
weltweit einzigartigen Unikaten reproduziert und mit einem modernen
Innenleben versehen haben. Ferner ein goldenes Selmer-Saxophon,
eine goldene Sankjo-Querflöte und eine aussergewöhnliche
reich ausgestatte Konzert-Harfe, von Salvi, die kostbarste Harfe,
die es gibt. In der Gründungszeit um 1807 war dieses Instrument
von enormer Bedeutung, weil vor allem auf der Harfe musiziert wurde
und nicht auf dem Piano, das noch nicht so verbreitet war. Die
rund 100 Jubiläumsangebote werden in einem Booklet zusammengefasst,
die dort in Haushalte verteilt werden, wo wir Filialen haben. Am
10. November haben wir unseren Jubiläumsfestabend, an dem
300 Leute eingeladen sind aus der Musikszene, Wirtschaft und Politik.
Außerdem wird es ein Jubiläumsfest für die Mitarbeiter,
Pensionierten und Auszubildenden am 13. April geben.
In
der Harfenabteilung im Stammhaus am Limmatquai: Erika Hug
mit ihrem Mann Eckart Harke-Hug. Foto: Musikhaus Hug
nmz: Welche Angebote haben Sie
konkret für den Kunden? Hug: Für den Kunden gibt es eine Jubiläums-Ausstellung,
die bei uns in Zürich im Tonhalle- Foyer startet und in unseren
Filialen fortgesetzt wird. Dazu wird es eine Jubiläumsfestschrift
des Musikwissenschafters Thomas Meyer geben, der damit auch 200
Jahre Zürcher, bzw. Schweizer Musikgeschichte schreibt. Es
gibt eine Ausstellung im Museum Bellerive, dem mein Vater 1962
die Hug’sche historische Instrumentensammlung geschenkt hat.
Die Ausstellung hat das Thema „Saiten, Tasten, Sounds“ und
zeigt neben historischen Instrumentn, zb. die Harfe Nägelis,
auch zeitgenössische Instrumente. Die Sektion Zürich
der Schweizerischen Musikforschenden Gesellschaft veranstaltet
im November ein Symposium zum Thema Nägeli/Hug. Im Rahmen
dieses Symposiums gibt es Stadtrundgänge und Vorträge,
in denen wir vorkommen und bei denen auch Thomas Meyer dabei ist.
nmz: Wie feiern die Mitarbeiter?
Hug: Es gibt das spezielle Mitarbeiter-Fest für alle 400 Mitarbeitenden
im April. Alle Mitarbeiter erhalten ein persönliches Jubiläumsgeschenk
und unsere 55 Lehrlinge laden wir zu einer Musikreise nach Paris
mit zwei Übernachtungen ein, in die „cité de
la musique“.
nmz: Seit der Übernahme des Musikgeschäftes durch den
Pfarrer Jakob Christoph Hug von Georg Nägeli im Jahre 1807
ist der Betrieb in Familienbesitz. Heute führen Sie die Geschäfte.
Wie sind Sie in das Unternehmen hineingewachsen? Hug: Ich habe Learning by Doing praktiziert, hatte
aber eine gute kaufmännische Grundausbildung an der Städtischen Handelsschule
und habe mich vorerst im Ausland bezüglich Sprachen weitergebildet.
Ich war in Cambridge, Perugia und Frankreich. Mein Problem war
immer, dass ich sehr vielfältige Interessen habe, meistens
jedoch in die künstlerische Richtung. Das könnte ich
von meinem Vater geerbt haben, der ausgebildeter Pianist war. Dies
ist sozusagen die eine Hälfte, die andere Hälfte ist
interessiert an Menschen, am Handel, an Organisation. Ich habe
mich ansschliessend in der Werbung weiter ausbilden lassen. Über
die Werbung bei uns habe ich mich über verschiedene Stationen
wie der Uebernahme der Verlagsleitung, Filialleitungen etc. hochgearbeitet
bis in die Geschäftsleitung.
nmz: Ihr Vater hat Sie nicht gedrängt die Firma zu übernehmen? Hug: Nein, überhaupt nicht. Er war eher der Meinung, für
Mädchen sei eine gute Ausbildung nicht so wichtig.
nmz: Sie sind nicht die erste Frau,
die bei Hug die Geschäfte
führt, Mitte des 19. Jahrhunderts leitete Susanna Hug-Wild
das Unternehmen. Sie führen heute ein Unternehmen mit immerhin
341 Mitarbeitern und 55 Auszubildenden. Hatten Sie – am Ende
des 20. Jahrhunderts – mit Vorurteilen und Widerständen
als Chefin zu kämpfen? Hug: Ich bin an der Aufgabe gewachsen. Nach dem
Motto: Was mich nicht umbringt, macht mich stark. Man kriegt besonders
am Anfang
viel Gegensteuerung.
nmz: Die Phase haben Sie jetzt lange hinter sich. Hug: Die währt ein Leben lang… als Unternehmerin muss
man kämpfen können.
Stagnierender Markt
nmz: Das Musikhaus Hug handelt
mit Noten, Instrumenten, Tonträgern,
Software, Hifi und TV. Sie sind offizielle Steinway-Vertretung
in der Schweiz, außerdem unterhalten Sie noch Instrumentenwerkstätten.
Ist so ein Vollsortiment eine gute Diversifizierung, oder nicht
eher eine Belastung? Man denke an rückläufige Verkaufszahlen
bei CD, bei hochwertigen Tasteninstrumenten oder im Verlag auch
an die langen Amortisationszeiträume von pädagogischer
Literatur oder das Schattendasein zeitgenössischer Musikeditionen.
Ist es wie in Deutschland heute? Hug: Mit Deutschland ist das schwierig zu vergleichen,
da in der Schweiz die Fachhandelsdichte viel größer ist. Ein Musikaliengeschäft
allein (nur Notenverkauf) hat in den letzten 30 Jahren fast niemals
die Chance gehabt davon zu leben, der Aufwand ist viel zu hoch.
Sie brauchen Instrumente und CDs. Der Schallplattenpreis hat sich
in den letzten Jahrzehnten fast verdoppelt. Das war eine Chance.
Wenn Sie alles anbieten, haben Sie immer eine Teil-Branche, die
funktioniert, wenn eine andere nicht so gut läuft. Die Schweiz
war lange an der Spitze der Pro-Kopf-Ausgaben für Musik und
Instrumente. Das gibt eine gewisse Basis. Die Schweiz legt Wert
auf gute Instrumente. Dennoch befinden wir uns in einem stagnierenden
bis rückläufigen Markt.
nmz: Was könnte man hingegen als Wachstumsmarkt bezeichnen?
Die Musikschulen? Der Instrumentenhandel? Hug: Europa ist im weltweiten Vergleich eher ein
rückläufiger
Markt insgesamt, wohingegen Asien und China deutlich wachsen. Japan
hatte nach dem Krieg eine der besten Musikausbildungen institutionalisiert – in
Europa wird dies teilweise sträflich vernachlässigt.
Kunde
Kind
nmz: Sie haben einen Kindermusikladen
gegründet. Warum? Hug: Unser Anliegen ist, dass bei möglichst vielen Kindern
die Basis für die Musi, das Musizieren gelegt wird. Wir haben
5.000 Instrumente ständig zum Verleihen herausgegeben, jedermann
kann bei uns ein Instrument leihen. Als Basisarbeit gibt es den
Kindermusikladen – in diesem sollen Kinder sich wohl fühlen,
dürfen alles anfassen und entdecken. Ferner bieten wir eine
Instrumenteneinzelberatung mit einem Musikpädagogen an, auch
Schulklassen kommen zur Besichtigung und Spielnachmittagen. Dadurch
bekommen sie eine Beziehung zu einem Instrument. Der Erfolg spricht
für sich!
nmz: Kann man sagen, dass die Arbeit mit Kindern seit den Anfängen
des Musikhauses Hug eine bedeutende Rolle spielt? Hug: Johann Heinrich Pestalozzi war entfernt verwandt mit meinem
Ur-Ur-Urgroßvater. Pestalozzi war der Meinung, jedes Kind
sollte eine gute (Musik-)Ausbildung bekommen. Das war die Revolution!
Volksschulen gab es in unserem Sinne noch gar nicht. Nägeli
hat dieses Anliegen von Pestalozzi umgesetzt mit Förderung
des Chorgesanges für weite Kreise. Nägeli gründete
das erste öffentliche Singinstitut in der Schweiz.
nmz: Ein Hug-Filialnetz überzieht die Schweiz flächendeckend.
Wäre es nicht an der Zeit, auch international tätig zu
werden? Lässt sich das Modell Hug übertragen? Hug: Schwierig. Frankreich gibt pro Kopf viel
weniger Geld für
Instrumente aus. Aber sie haben eine konsequentere Politik in der
Musikausbildung. Im Sommer finden in der Nähe unseres Ferienhauses
in Südfrankreich tausende von Konzerten statt – gratis!
Die Musik ist sehr präsent. In Deutschland ist alles etwas
verhalten. Mit einer Expansion z.B. in Deutschland sind wir bisher
eher zurückhaltend. Aber wir waren früher auch schon
in Leipzig, Süddeutschland und im Elsass ansässig. Vielleicht
muss man warten bis sich wirtschaftlich alles etwas erholt hat.