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nmz
2007/11 | Seite 11
56. Jahrgang | November
Praxis: Konzertvermittlung
Arbeitsbündnisse im eigenen Haus
Zur Entwicklung von Kinderkonzerten in innovativen Arbeitsprozessen · Von
Barbara Tacchini
Knappe Probenzeit, geringes Budget, mangelnde Wertschätzung:
Trotz der viel diskutierten und allgemein verbreiteten Überzeugung,
welch wichtige Funktion der Konzertpädagogik in der Orchesterlandschaft
zukommt, trotz „Junge-Ohren-Preis“ und intensiven Bemühungen
um Qualitätssicherung seitens der DOV fristen viele Kinderkonzerte
noch immer ein Aschenputtel-Dasein, aus dem sie sich nur schwer
befreien.
„Wasserspiele“ mit
dem Staatsopernorchester Hannover. Foto: Staatsoper
Bei den zahlreichen Einzelinitiativen sind nach wie vor diejenigen
Vermittlungsformen in der Mehrzahl, die die konventionelle Konzertform
als solche im Kern weitgehend unangetastet lassen – trotz
originellen Vermittlungsideen wie etwa Moderation durch Schulkinder
oder Visualisierungen in Form von Projektionen oder Beiprogrammen
wie von Orchestermusikern durchgeführte Schulworkshops. Theatralische
oder szenische Vermittlungsformen und prozesshafte Entwicklung
von Konzertprogrammen in der direkten künstlerischen Begegnung
zwischen Orchestermusikern und Kindern oder Jugendlichen bleiben
Leuchttürme in einer bunten Insellandschaft. Nur wenige Orchester
beschäftigen ausgebildete Konzertpädagogen, die Konzeption
von Kinder- und Jugendkonzerten samt Beiprogramm liegt zumeist
in den Händen der Konzertdramaturgen. Sponsorensuche auf der
einen Seite, Findung von Kooperationspartnern auf der anderen Seite
werden als Lösungen empfohlen. In ihrem Artikel in der nmz
vom März 2007 plädiert Barbara Stiller unter anderem
für den Mut zur Gründung von Arbeitsbündnissen zwischen
Orchestern und Schulen beziehungsweise Musikschulen, um das Know-how
der verschiedenen Partner für die Gestaltungsprozesse zu addieren.
Stiller fundiert diese Forderung auf der Tatsache, dass es Konzertpädagogen
(beziehungsweise -dramaturgen), die über sämtliche für
die Musikvermittlung notwendigen Qualifikationen verfügen,
schlicht und einfach nicht gibt und deshalb die Orchestermusiker
auf Pädagogen in Schulen und Musikschulen zugehen sollten.
Dass durch solche Bündnisse spannende und wertvolle konzertpädagogische
Projekte initiiert werden können, sei außer Zweifel
gestellt. Dabei scheint mir jedoch – gerade für Berufsorchester,
die einem Theater angegliedert sind – ein wichtiger Schritt
ausgelassen worden zu sein, der allenthalben vernachlässigt
wird: das Arbeitsbündnis im eigenen Haus.
Vermittlung ist Teamarbeit
Reiche Erfahrungen im musikpädagogischen Bereich sollte der
idealtypische Konzertpädagoge mitbringen, die rhetorischen
Fähigkeiten eines Moderators, umfassende Werkkenntnis, er
sollte Konzertvorbereitungsworkshops durchführen, auf Bündnispartner
zugehen, Sponsorengelder einholen und nicht zuletzt sogar selbst
aktiv musizieren können. Der Konzertpädagoge – ein
Allround-Genie. Kein Wunder, wenn sich manche Orchester für
die Fremdvergabe von Kinderkonzerten entscheiden und Konzertprogramme
samt Moderatoren und/oder Schauspielern als Fertigprodukte einkaufen.
Gerade aber für die Opernorchester, deren Häuser über
eine musiktheaterpädagogische Abteilung verfügen, böten
sich andere Möglichkeiten: Setzen sich ein verantwortlicher
Dramaturg, ein Musiktheaterpädagoge, ein Dirigent, ein Orchesterdirektor
und ein oder mehrere Orchestermusiker zusammen, so sind mit Sicherheit
nahezu alle oben aufgelisteten Qualifikationen gebündelt.
Möglicherweise wünscht man sich noch einen Schauspieler
zur szenischen Moderation, und ganz neue Spielmöglichkeiten
ergeben sich, wenn sich ein Bühnenbildner zur Arbeitsgruppe
gesellt. Erst dieses interne Arbeitsbündnis schafft die nötige
Basis für weitere Netzwerke nach außen und ermöglicht,
dass auf längere Sicht neue Strukturen geschaffen werden können,
um innovative Vermittlungskonzepte auf hohem Niveau zu entwickeln.
Die Bereitschaft und Lust zum Dialog zwischen allen Beteiligten
ist Voraussetzung, das gegenseitige Vertrauen das Fundament. Möglicherweise
werden in solchen Projektgruppen zunächst einmal Zusammenstöße
unvermeidbar sein, gerade wenn Ideen im Raum sind, die auf szenische
Aktionen der Musiker oder auf gemeinsame Entwicklungsprozesse zwischen
Musikern, Komponisten und Jugendlichen setzen. Da werden Ängste
und Unsicherheiten geweckt: „Kann ich das?“, lautet
die eine Frage. „Muss ich das? Steht das in meinem Vertrag?“,
die andere. Oft ist nicht mehr auszumachen, welche Argumentation
an erster Stelle steht.
Natürlich sind die Reaktionen von Orchestermusikern nicht
unverständlich. Denn manch schöne Idee ist nach dem Tarifvertrag
zulagenpflichtig, seien es szenische Aktionen, Kostümierung
oder kammermusikalische und solistische Einlagen, doch den Verantwortlichen
fehlt das Geld, und so bittet man um Nachsicht, den Kindern zuliebe.
Für Besprechungen wiederum sieht der Tarifvertrag keine Orchesterdienste
vor. Zuweilen geht es aber auch um unausgesprochene Konventionen
des Orchesteralltags, Gewohnheitsrechte, auf die man sich nicht
mehr verlassen kann, wenn sich die Reihenfolge der geprobten Stücke
in einer Orchesteralleinprobe plötzlich nach dem Schauspieler
und nicht nach der Einteilung der beschäftigen Musiker richtet,
wenn Fahrtwege zu Schulen in Kauf genommen werden müssen oder
Kollegen ihre Dienste in kürzeren Kinderkonzerten und -workshops
absolvieren statt mit mehrstündigen Opernwerken.
Doch längerfristig kann es nicht die Lösung sein, dass
Konzertpädagogen und -dramaturgen freie Musiker statt ihr
Orchester für ihre konzertpädagogischen Projektideen
engagieren oder Orchestermusiker die Jugendarbeit als Nische definieren,
wo ihnen endlich mal niemand reinredet. Zuviel wertvolles Potenzial
geht dabei verloren und man tritt auf der Stelle, statt sich gemeinsam
auf den Weg zu begeben und – sei es auch in der Reibung aneinander – gemeinsam
zu wachsen.
In meiner Funktion als Konzertdramaturgin an der Staatsoper Hannover
und seit Sommer 2006 als Dramaturgin und Leiterin der Jungen Oper
der Staatsoper Stuttgart verfolge ich in Kinder- und Jugendkonzerten
ein Konzept, in dem Musik, Szene und Bild ineinander greifen. Dabei
sollen die außermusikalischen Komponenten nie zur bloßen
Unterhaltung verkommen und vom eigentlichen Erleben der Musik ablenken,
sondern immer auf fantasievolle Weise dem Fokussieren der Hörkonzentration
und dem Hörverständnis und -genuss dienen. Die Konzerte
werden teilweise durch Schulworkshops der Orchestermusiker oder
Kompositionsworkshops mit einzelnen Schulklassen flankiert, deren
Prozess auf die Entwicklung des Konzertprojekts Einfluss nimmt
und deren Ergebnisse, von Kindern und/oder Orchestermusikern präsentiert,
Teil des Konzerts sind.
Ideale Arbeitsbündnisse im obigen Sinne ließen sich
für die Konzeption von Kinderkonzerten in kleineren Besetzungen
realisieren, so zum Beispiel für die Reihen der sogenannten „Sitzkissenkonzerte“,
in denen jeweils vier bis sechs Musiker selbst mit Worten, bewusst
sparsamem Rollenspiel, Gesten und Musik Geschichten für Vorschulkinder
erzählen und dabei in Dialog zu den kleinen Zuhörern
treten, die ihrerseits in kreativen Gestaltungsprozessen sowie
beim Mitsingen und -spielen beteiligt sind. In gemeinsamer Vorarbeit
werden Ideen musikalischer und szenischer Art zusammengetragen
und umgesetzt.
Aktiv beteiligte Musiker
Zu intensivem, spartenübergreifendem künstlerischem Austausch
führte die Zusammenarbeit mit den Schlagzeuggruppen sowohl
in Hannover als auch in Stuttgart. Gemeinsam mit Dramaturgin und
Bühnenbildnerin erarbeiteten die Musiker eine Konzertform,
die mit choreographischen Elementen alle Sinne anspricht und sich
an Zuschauer aller Altersgruppen richtet. Eine Wohnung, eine verlassene
Baustelle, ein Baucontainer unter einem Himmel voller Fahrräder
boten den Raum für virtuose und poetische Schlagzeugstücke,
in denen die Musiker ausgehend von den Bedingungen des Musizierens
und weit darüber hinaus szenisch agierten. Zu den Musikern
stießen je nach Konzept auch Künstler anderer Sparten
wie sechs Tänzer des Balletts der Staatsoper Hannover oder
ein Bühnenpoet aus der Stuttgarter Slam Poetry-Szene. Die
Auswahl der teilweise selbst komponierten Stücke und Raum-
und Bewegungskonzept griffen dicht ineinander. Eine im Rahmen des
Orchesteralltags herausragende Besonderheit dieser Projekte war
und ist der intensive künstlerische Austausch zwischen sämtlichen
Mitwirkenden, die „demokratische“ Arbeitsweise, die
bei nicht immer idealen Probenbedingungen (Fehlen eines geeigneten
Probenraumes für die Schlagzeuger, Dienstauslastung) einen
Einsatz über die honorierte Zeit hinaus verlangte, gleichzeitig
aber höchste Identifikation der Musiker mit dem Projekt bewirkte.
Ein kleiner Wermutstropfen dabei bleibt, dass der hohe zeitliche
Einsatz der Orchestermusiker für solche Projekte nicht angemessen
honoriert werden konnte, da dies das vorgesehene Budget für
die Jugendkonzerte bei weitem gesprengt hätte.
Auch für die große Orchesterbesetzung entstanden bisher
sowohl in Hannover als auch in Stuttgart in Teamarbeit zwischen
Dramaturgin, Dirigent, Schauspieler, Bühnenbildner und Lehrer
inspirierende Konzertprogramme zum Zuhören und Mitmachen mit
Werken vom 18. bis zum 21. Jahrhundert. Nur selten waren auch Musiker
mit im Planungsteam, was ein Desiderat bleibt. Ein inspirierender
kreativer Pool bei der Vorbereitung der Kinderkonzerte waren jedoch
auch die Schulworkshops, deren Konzeption in gemeinsamer Arbeit
der Dramaturgin mit jeweiligen Ansprechpartnern aus dem Orchester
geschah. Hier entstanden Ideen, hier wurden Musikvorschläge
geäußert, hier konnten schauspielerisches Potenzial
oder Redebegabungen im entspannten Rahmen erkannt und erprobt werden.
Durch die Konzerte führte jeweils eine selbst verfasste Geschichte,
die möglichst explizit mit Musik, mit dem Orchester oder der
Konzertsituation als solche zu tun hat. Meist wurde ein Schauspieler
hinzugezogen. Die Hauptrolle in jedem Konzert aber spielte das
Orchester, wirkungsvoll präsentiert durch Tutti-Aktionen oder
auch Kostümelemente. Einzelne Musiker übernahmen zusätzlich
zu den musikalischen auch szenische Rollen. Im Kinderkonzert „Wasserspiele“ (Hannover)
begaben sich zwei schauspielerisch agierende Schulkinder gemeinsam
mit den Orchestermusikern auf die Jagd nach einem verschwundenen
Wassertropfen, der in den verschiedenen Konzertstücken sein
Unwesen trieb. Das Orchester brachte die Kinder mittels Musik ans
Meer, erzeugte im entscheidenden Augenblick einen Sturm und feierte
gemeinsam mit den Kindern des Kompositionsworkshops das Wassertropfenfest.
Zum Auftritt erschien das ganze Orchester in Regenkleidung, abgekämpft
und über die Überschwemmungen in der Stadt schimpfend,
nachdem die Kompositionsklasse zum Auftakt ein musikalisches Gewitter
präsentiert hatte. Neben Werken von Claude Debussy, Tan Dun
und anderen spielte das Staatsorchester auch weitere Uraufführungen
der Kinderkompositionen. Einzelne Sequenzen der Geschichte wurden
durch kurze Videoeinspielungen im Tagesschaucharakter erzählt.
Mit freiwilligen Orchestermusikern und Schulkindern waren die Clips
an unterschiedlichen Orten Hannovers gedreht worden. Zum großen
Spaß des Orchesters wirkte auch der Orchesterdirektor aktiv
mit.
Knappe Probenzeit, geringes Budget: Dies alles vermag plötzlich
in den Hintergrund zu treten, wenn alle Beteiligten sich gemeinsam
in ein und dieselbe Richtung bewegen und ihr Potenzial rückhaltlos
dem Projekt zur Verfügung stellen.
Die Bedingung: Alle Mitwirkenden müssen vom Sinn und Zweck
nicht nur des Kinderkonzerts, sondern auch des Arbeitsbündnisses
als solches überzeugt sein und Lust haben, sich aufeinander
und auf Neues einzulassen.