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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 47
56. Jahrgang | November
Bücher
Angstvolle Schaulust: die Katastrophe als Thema in der Musik
Wenn es auf der Bühne blitzt und donnert: Katastrophenerfahrungen
in Kunst, Musik und Theater
Jürgen Schläder/Regina Wohlfarth (Hrsg.): AngstBilderSchauLust.
Katastrophenerfahrungen in Kunst, Musik und Theater, Henschel
Verlag, Berlin 2007, 272 S., Abb., € 29,90,
ISBN 978-3-89487-573-2
Georg Philipp Telemanns „Donner-Ode“ aus dem Jahr 1756
muss auf die Zeitgenossen eine außerordentliche Wirkung gehabt
haben. Einem Bericht aus dem Jahr 1771 zufolge geschah dies, „weil
es diesem großen Musicus glückte, den Schall des Donners
dabey so natürlich auszudrücken, dass in Hamburg ein
Weib in eine Ohnmacht sank, weil sie glaubte, es habe in dieser
Kirche eingeschlagen.“ Der Münchner Musikwissenschaftler
Hartmut Schick zitiert diese Geschichte in einem Beitrag über
musikalische Darstellung von Naturkatastrophen im 18. und 19. Jahrhundert;
er und sein Kollege Wolfgang Rathert hatten sich vor zwei Jahren
an einer Ringvorlesung der Münchner Universität zum Thema „Katastrophenerfahrungen
in Kunst, Musik und Theater“ beteiligt; Rathert hatte sich
dabei mit der Musik des 20. Jahrhunderts beschäftigt. Die
Schilderung von Katastrophen hat in der Kunst eine bis in die Antike
zurückreichende Tradition; die Unterscheidung des Aristoteles
von Katastrophe und Katharsis – von Schrecken und Reinigung – hat
die abendländische Kunst lange bestimmt. Und doch gibt es,
wie dieser anregende, sehr informationsreiche Band zeigt, zwischen
den einzelnen Gattungen Unterschiede.
Anders als Literatur und
bildende Kunst hatte die Musik im 18. Jahrhundert fast immer mythologische
Themen oder theologische Fragen als Grundlage für Katastrophenschilderungen
genommen und diese wie Zweikämpfe oder Schlachtenschilderungen
behandelt. Die pure Darstellung des Chaos war ihr zuwider. Ein
Musiktheoretiker schrieb 1754: Falls die Musik die „Wuth
eines Rasenden“ nachahme, dann nicht mit Unsinn: „sie
wird ihn allemal vernünftig und ein wenig regelmäßig
rasen lassen.“ Die musikalischen Mittel bleiben bis weit
ins 19. Jahrhundert gleich: permanente Tonwiederholungen, punktierte
Rhythmen, rasende auf- und abstürzende Tonleiterläufe,
langes Verharren auf einem einzigen Klang, Splitting der Bassmelodien.
Eine erste großartige Naturschilderung sehen die Autoren
wie im Gewittersatz von Beethovens Pastoralsymphonie zuvor schon
beim Biberacher Kapellmeister Johann Heinrich Knecht („Le
Portrait musicale de la nature“, 1785). Mit Berlioz wird
dann diese Tradition genau auf den Kopf gestellt; nun geht es wirklich
um Naturkatastrophen, um Blitz, Donner und zerstörerische
Naturgewalten. Das 20. Jahrhundert, ohnehin mehr und mehr als Katastrophe
empfunden, wird dann zur Folie der musikalischen Darstellung. Die ästhetische
Krise wird zur existenziellen Erfahrung. Schon Ravels „La
Valse“, so Rathert, war nicht nur eine Apotheose des Wiener
Walzers, sondern eine Allegorie des kulturellen Untergangs. Adorno
hielt jene Künstler für die authentischsten unserer Zeit, „in
deren Werken das äußerste Grauen nachzittert“.
Rathert nennt dafür Bernd Alois Zimmermanns „Requiem
für einen jungen Dichter“, Luigi Nonos „Prometeo“,
Wolfgang Rihms Kantate „Europa nach den letzten Kriegen“ und
vor allem Schönbergs „Ein Überlebender aus Warschau“,
1947 unmittelbar unter dem Eindruck der Kriegskatastrophe komponiert.
Musik folgt jetzt nicht mehr eigenen ästhetischen Gesetzen,
sondern steht ganz im Dienst der im Wort gegebenen Aussage.