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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 44
56. Jahrgang | November
Bücher
Kultur boomt – tatsächlich?
Das Jahrbuch für Kulturpolitik 2007 mit einer Fülle
von Hinweisen und Ideen
Institut für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft
(Hrsg.), Jahrbuch für Kulturpolitik 2007: Europäische
Kulturpolitik, Klartext Verlag, Essen 2007, € 19,90
Europas Ursprung und seine Jahrtausende alte Geschichte ist geprägt
vom dialektischen Wechselspiel zwischen Kultur und Macht. „kultur.macht.europa“ lautete
denn auch das vieldeutige Motto des 4. Kulturpolitischen Bundeskongresses
am 7./8. Juni in Berlin, wieder veranstaltet von der Kulturpolitischen
Gesellschaft e.V. und der Bundeszentrale für politische Bildung
in Verbindung mit der Friedrich-Ebert-Stiftung. Ähnlich einem
Silben-Scrabble lassen sich die drei Begriffe in beliebiger Folge
sinnvoll kombinieren und je nachdem deuten. Wie dies in den ungezählten
Präsentationen und Beiträgen, in den Panels und vielfach
parallelen Foren des Kongresses geschah, wird die gegen Ende des
Jahres zu erwartende Dokumentation wiedergeben. Unmittelbar vor
der Eröffnung dieses mit rund 500 Teilnehmern bislang größten
kulturpolitischen Kongresses stellte Fritz Pleitgen, langjähriger
Intendant des WDR und nun Vorstand der Geschäftsleitung der
Europäischen Kulturhauptstadt „Ruhr 2010“ (die
noch nicht auf der gleichbezifferten Agenda erscheint), den stattlichen
Band 7 des Jahrbuchs für Kulturpolitik zum Thema „Europäische
Kulturpolitik“ vor. Herausgegeben wieder von Bernd Wagner
und Norbert Sievers, enthält der stattliche, inhaltlich strukturierte
und dadurch übersichtliche Band 40 Beiträge zumeist in
ihren Funktionen oder Arbeitsfeldern profilierter Autorinnen und
Autoren, dazu einen allein 100 Seiten umfassenden Anhang von Kulturstatistik,
Chronik, Literatur und Adressen von Institutionen, Gremien, Verbänden,
dazu eine Übersicht über Kunst und Kultur im Internet. „Kultur
boomt“, stellte Fritz Pleitgen euphorisch fest und erinnerte
daran, dass Kultur in den Bemühungen und Verlautbarungen zur
(Ver-)Einigung in Europa jahrzehntelang überhaupt keine Rolle
gespielt hat, erst 1992 mit den Verträgen von Maastricht ins
Bild gerückt wurde und nun – Indiz sei die „Berliner
Erklärung“ der EU-Staatschefs im März 2007 – wirklich
im Kommen sei: „Plötzlich stellen alle fest, dass Kultur
im Zentrum Europas steht.“
„
Europäische Kulturpolitik – mein Gott, was soll das
denn sein?“ fragt hingegen Gottfried Wagner, Direktor der
immerhin bereits 1954 gegründeten Europäischen Kulturstiftung
in Amsterdam, um in seinem Beitrag ernüchternd festzustellen: „Eine
Kultur-Großkonferenz jagt die andere ... Allerdings noch
(?) ohne Folgen: Das Kulturbudget der europäischen Institutionen
ist noch immer so schmal wie der Inhalt des Klingelbeutels nach
der Sonntagspredigt.“ (S. 60). Politisches Gestalten aber
bedarf – gleich ob in der Landwirtschaft, in der Industrie,
im Gesundheitswesen oder in der Kultur – überzeugender
Konzepte und tatkräftiger Persönlichkeiten ebenso wie
ausreichender Investitionen. An allen diesen Ressourcen mangelt
es vorläufig, jedenfalls was Europäische Kulturpolitik
betrifft. Niemand bei klarem, kultiviertem Verstand mag sich zwar
so etwas wie Kulturglobalisierung auch nur im europäischen
Rahmen vorstellen, mehr noch als uns ohnehin widerfährt; um
jedoch die Vielfalt europäischer Kultur, im historischen wie
im aktuellen Wechselspiel von Konvergenz und Divergenz, als Reichtum
erfahrbar zu machen und zu schützen, sind überall in
Europa Offenheit, Sensibilität und Kooperation unerlässlich.
Das Jahrbuch für Kulturpolitik 2007 bietet zu diesem reizvoll
schillernden Fragen- und Problemkomplex – allerdings lediglich
aus deutscher Perspektive – Ideen, Informationen, Anregungen,
Hinweise sowie Übersichten in Fülle und angenehmer Nüchternheit.