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Ausgabe 2007/11
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nmz 2007/11 | Seite 42
56. Jahrgang | November
Rezensionen-CD

Vom Schattendasein eines großen Werkes

Der Dirigent Andreas Spering über Joseph Haydns erstes Oratorium „Il ritorno di Tobia“ und seine CD-Einspielung

„Besonders glühten seine Chöre von einem Feuer, das sonst nur Händel zu eigen war…“, schrieb die Wiener Realzeitung vom 6. April 1775 in ihrer Rezension zu den beiden Erstaufführungen eines Haydn-Oratoriums in Wien. Wohlgemerkt: Die Rede war nicht etwa von der „Schöpfung“ oder den „Jahreszeiten“. Zu dieser Zeit nämlich hatte Haydn seine beiden Reisen nach London noch gar nicht angetreten, wo er bekanntlich anlässlich eines Händel-Gedenkfestes in der Westminster Abbey die Aufführung von dessen „Messias“ mit 885 Mitwirkenden begeistert erlebte. Dieses Ereignis wiederum rief ja seinen Wunsch auf den Plan, ein ebensolches Werk zu schaffen, ein Oratorium dieser Tragweite! Bis dahin jedoch sollten noch fast 20 Jahre ins Land gehen. Das Werk, mit dem Joseph Haydn jedoch bereits im April 1775 einen wahrhaft großen Pub-likumserfolg erzielte, war sein erstes in dieser Gattung: das Oratorium „Il ritorno di Tobia“. Er griff dafür noch auf jene Form zurück, wie sie zu dieser Zeit in Italien und darüber hinaus bis nach Wien verbreitet war: zweiteiliger Aufbau mit 34 Sätzen, circa 3 Stunden Dauer, ausgeprägte Rezitative für die Schilderung des Handlungsverlaufs und ausladende Arien – Haydn hatte die Form für seinen „Tobias“ sehr genau studiert und dennoch versucht, den statischen Ablauf aufzubrechen. Dass das Stück keine zehn Jahre später wieder in Vergessenheit geriet, ist mit dem sich wandelndem Geschmack des Publikums erklärbar – man war der gleichförmigen Abfolge von Rezitativ und Arie sowie seiner Länge überdrüssig. Dass dieser Zustand nahezu 200 Jahre anhalten sollte, ist kaum zu glauben, zumal Haydn 1784 seinen „Tobia“ einer Bearbeitung unterzog. Dieser Tage nun erscheint das Stück in seiner Urfassung auf CD. Der Kölner Dirigent Andreas Spering nahm sich seiner an. Zusammen mit seiner Capella Augustina und dem Vokalensemble Köln ging er, begleitet von einem sehr agilen Solistenensemble, ins Studio. Die nmz traf sich mit Andreas Spering, um mit ihm sowohl über das Stück als auch über die Chancen und zugleich Tücken musikalischen Zeitgeschmacks zu sprechen.

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Bild vergrößernLeidenschaftlicher Haydn-Dirigent: Andreas Spering. Foto: Jörg Hejkal

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neue musikzeitung: Herr Spering, war ein Vergleich von Haydn und Händel, wie er hier vorgenommen wurde, seinerzeit opportun? Immerhin lagen Händels große Oratorien 30 Jahre zurück …
Andreas Spering: Er ist schon sehr erstaunlich, weil die allgemeine Händel-Rezeption in Deutschland ja doch später losging. Im damalig verbreiteten Oratorienstil gab es keine Chöre von vergleichbarer Pracht und polyphoner Durchdringung, wie sie vor allem die beiden Schlusschöre des ersten und zweiten Teils charakterisieren. Das war ein Stil, der Haydn gegeben war – er hatte sich ja schon sehr früh mit kontrapunktischen Techniken beschäftigt. Bemerkenswert an diesem Vergleich ist auch, dass die beiden – vielleicht besten – Chöre dieses Stückes ja erst für die Wiederaufführung dieses Stückes 1784 dazu kamen – die kannte der Rezensent der Wiener Realzeitung also noch gar nicht!

nmz: Nun ähnelt ja der Aufbau des „Tobia“ in seiner Struktur sehr der Opera Seria: Sinfonia, Eingangschor, Wechsel von Rezitativ und Arie. Zudem der Gebrauch der italienischen Sprache. Auch der Stoff ist, abgesehen von seiner religiösen Thematik, von einer sehr starken Dramatik. Obendrein finden sich in der Partitur konkrete szenische Anweisungen. Haben Sie sich das Stück bei der Erarbeitung mehr als eine Oper erschlossen?
Spering: Ja, absolut. Wobei meine Herangehensweise an diese Art von Musik immer eine theatralisch geprägte ist. Der klassische Stil insgesamt lebt meiner Ansicht nach immer von der dramatischen Situation. Das ist auch bei einem Streichquartett letztlich nicht anders: wenn man die Themen quasi wie Figuren versteht, die dann miteinander in Konflikt geraten, der irgendwann aufgelöst wird.

nmz: Lassen Sie uns noch bei den Rezitativen bleiben. Ganz im Unterschied zu seiner „Schöpfung“ zum Beispiel, wo Haydn gerade bei diesem Baustein vielfältigste Formen erfand, beschränkt er sich hier im Wesentlichen auf zwei Formen: das Accompagnato, also das  vom ganzen Orchester begleitete und das Secco-Rezitativ, bei dem nur der Generalbass begleitet. Wirkte hier die italienische Oratorienform einschränkend? Verwunderlich nur, dass Haydn sich davon einschränken ließ …
Spering: Diese Frage führt uns gleich zur Frage der Fassung. Ich habe lange mit den Leuten vom Haydn-Institut in Köln zusammengesessen. Der kritische Bericht zu dessen Edition des „Tobia“ ist leider noch nicht erschienen. Aber es gibt eine Menge Material dazu, aus dem man ganz zweifelsfrei die Fassung der Uraufführung von 1775 rekonstruieren kann. Für die 1784er-Fassung hat Haydn in den Rezitativen viel geändert – nichts an der Länge und nichts an der eigentlichen musikalischen Fraktur. Aber er hat große Passagen der durchkomponierten Accompagnato-Rezitative als Seccos gestaltet, wahrscheinlich um eine größere Farbigkeit zu bekommen. Ich habe mich aber entschieden, diese Form nicht zu übernehmen, auch wenn das Ganze dadurch vielleicht noch ein bisschen spannender geworden wäre. Außerdem ließ sich nicht ganz zweifelsfrei zuordnen, ob diese Veränderungen tatsächlich auf Haydn zurückgehen. Es ist nur wahrscheinlich. Sicher kann man nur bei der 1775er-Fassung sein, deswegen habe ich die sozusagen als „Reine Lehre“ gemacht. Die einzige Änderung ist, dass ich sie um zwei Chöre aus der 1784er-Fassung ergänzt habe.

Ich habe gerade Haydns Oper „L‘Isola Disabitata“ (1779) gemacht. Bei der trat das Problem in ähnlicher Form auf: Es gibt einen einzigen Secco-Akkord in der ganzen zweistündigen Oper, alle anderen Rezitative sind Accompagnatos! Für Haydn hatte der Text zuviel dramatisches Gewicht. Deswegen hatte er ihn vollständig auskomponiert. Beim „Tobia“ muss er genauso empfunden haben.

nmz: Haydn war seinerzeit für eine Wiederaufführung angehalten worden, sein Stück zu überarbeiten und vor allem zu kürzen! Aber Sie beharren auf der Urfassung, die eben auch um etliches länger ist – warum?
Spering: Für eine Konzertaufführung würde ich darüber tatsächlich nachdenken. Aber wir haben hier die Möglichkeit gehabt, die erste Einspielung dieses Stücks auf historischen Instrumenten vorzunehmen. Und da wollte ich dann tatsächlich jede Note darstellen können. Man hat Haydn damals tatsächlich die Pistole auf die Brust gesetzt: Wir würden das Stück ja noch mal aufführen, aber nur wenn es nicht mehr so lang ist. Interessanterweise betrafen die ganzen Kürzungen in der 1784er-Fassung nur die Arien, von denen manche meines Erachtens dadurch an Substanz verloren haben. Wenn wir Längen empfinden, dann vor allem in den Rezitativen. Da jedoch hat Haydn nicht gekürzt.

nmz: Eine Frage, die gerade im Zusammenhang mit der Aufführung von Haydns Musik von so großer Bedeutung ist, ist jene nach der Gestaltung der Tempi. Das Metronom wurde erst gut 40 Jahre später erfunden und Tempobezeichnungen wie Adagio, Allegro oder Presto konnten und wurden immer abhängig vom Empfinden des Interpreten angewendet. Nach welchen Kriterien sind Sie bei der Disposition des Stückes vorgegangen?
Spering: Zum einen spielt die Erfahrung eine große Rolle, dass man weiß, ein Andante hatte um 1770 bei Haydn und bei Mozart etwa die und die Faktur. Natürlich ist auch die Kenntnis der musikalischen und theoretischen Quellen unerlässlich. Im Zweifelsfall, um es mit Carl Philipp Emanuel Bach zu sagen, entscheidet der gute Geschmack. Irgendwann kommt der Punkt, wo man sich nicht mehr hinter Quellen verschanzen kann und will. Da muss man dann Farbe bekennen: Das ist jetzt mein Tempo! Aber ich gehe in diesen Fragen nie ausschließlich „aus dem Bauch heraus“ vor.

nmz: Nun ist ja die Erarbeitung einer solchen Aufnahme mit einem enormen Aufwand verbunden. Jetzt, wo alles „im Kasten“ ist – war’s das dann? Optimal wären doch Live-Aufführungen ...
Spering: Das würde mich natürlich freuen. Mein Anliegen ist es ja, dieses Stück wieder in das öffentliche Bewusstsein zurückzuführen. Es ist doch merkwürdig. Einerseits wurden gerade in der Alten Musik Unmengen an Material zutage gefördert. Und dann ist da andererseits ein abendfüllendes Werk von einem der zehn Großmeister der Musikgeschichte, das ein Schattendasein führt!

nmz: Nun leiten Sie seit zehn Jahren das Brühler Festival und haben es mittlerweile zu einem veritablen   Haydn-Festival  umgebaut – noch ein Festival mehr in Deutschland?
Spering: Es gibt in Deutschland allein drei Händel-Festivals: Göttingen, Karlsruhe und Halle. Nicht, dass wir uns missverstehen – ich bin großer Händel-Fan. Es gibt außerdem Festivals für Mozart, für Bach, für Beet-hoven, für Wagner und so weiter. Für Joseph Haydn gibt es nur das Festival in Schloss Eszterházy, in Deutschland nichts, und im übrigen Europa auch nicht. Joseph Haydn ist, um es auf den Punkt zu bringen, ein immer wieder neu zu entdeckender Komponist, dessen Werk gepflegt und gespielt werden muss. Das ist unser Anliegen in Brühl.

nmz: Mit wem außer dem Haydn-Institut sind Sie denn über Ihr Haydn-Festival im Gespräch?
Spering: Wir wollen langfristig sicherlich auch mit Eisenstadt kooperieren und uns dann natürlich auch mit anderen Festivals kurzschließen. Wir sind gerade in Vorbereitung des Festivals 2009. In diesem Jahr, das ja das Haydn-Jahr ist, wird dieser Komponist sicher von vielen gespielt – was sehr schön ist. Aber wie das leider immer bei diesem Gedenk-Rummel ist – 2010 wird alles vorbei sein. Aber wir werden da natürlich weitermachen – mit Joseph Haydn.

Das Gespräch führte Thomas Otto

Diskografische Angaben

Joseph Haydn (1732–1809), Il ritorno di Tobia, Hob. XXI/1, Oratorium in zwei Teilen. Andreas Spering, Vokal-ensemble Köln, Capella Augustina, Roberta Invernizzi, Sophie Karthäuser (beide Sopran), Ann Hallenberg (Alt), Anders J. Dahlin (Tenor), Nikay Borchev (Bass)
NAXOS, 3 CDs, CD-Nr. 8.570300-02,
Spieldauer 2 Std. 49 Min.

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