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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 45
56. Jahrgang | November
Noten
In Debussys Klangwelt
Neue Urtextausgaben bei Bärenreiter
Claude Debussy (1862–1918): Deux Arabesques pour le Piano, Bärenreiter, Kassel 2007, BA 8768 (Urtext), Hrsg.: Regina
Back, Fingersätze Frederik Palme –
Suite bergamasque, Kassel 2007, BA 8769 (Urtext), Hrsg.: Regina
Back, Fingersätze Frederik Palme.
Der Verlag Bärenreiter und die Herausgeberin Regina Back überraschen
mit zwei Neueditionen der Klavierwerke Deux Arabesques und Suite
bergamasque von Claude Debussy. Nach der wirklich fesselnden Lektüre
von Texten, Noten und kritischem Kommentar weiß man entschieden
mehr von Debussys subtiler Klavierwelt. Die Edition bringt erstmals
Klarheit, soweit möglich, über die bei Debussy oft vorhanden
Verwicklungen vom Schritt der Entstehung bis zu den verschiedenen
Drucklegungen, einschließlich verschiedener Revisionen mit
allen Irrtümern und Fehlern. Beide Publikationen bieten grundsätzliche
Erläuterungen zu Titel- und Satzüberschriften, Ästhetik
und Aufführungspraxis, Pedalgebrauch, Tempo und Phrasierung,
Fingersatz, Artikulation, Ausdruck und Dynamik.
Debussy versah seinen filigranen Klaviersatz mit genauen Vortragszeichen
und Spielanweisungen, deren Ausführung strikt zu beachten
ist. Er hatte klare Vorstellungen von seinem Klang-ideal, so unbestimmt
und schwebend es auch manchmal anmuten mag. Aufschlussreich sind
in dieser Hinsicht die schriftlichen Äußerungen Debussys
und die eigenen Tonaufnahmen auf Welte-Mignon Klavierrollen aus
dem Jahre 1912, die mittlerweile auf CD zu hören sind. Beide
Arabesquen entstanden um 1890/91 und die Suite bergamasque 1890.
Sie bilden den Auftakt zum Klavierwerk neben den gleichzeitigen
Stücken Reverie, Ballade, Danse, Valse romantique und Nocturne,
vom Danse bohémienne abgesehen, der 1880 komponiert wurde.
Die Arabesquen wurden als erstes Klavierwerk Debussys 1891 gedruckt,
jedoch kaum beachtet. Erst die skandalträchtige Uraufführung
seiner Oper Pelléas et Mélisande 1902 machte Debussy über
Nacht berühmt. Ein Separat-Nachdruck im Supplément
musical des Figaro, der Nachdruck der Erstausgabe 1904 und der
revidierte und korrigierte Neustich 1912, auf den die vorliegende
Edition zurückgeht, verbreiterten die Werke rasch weltweit.
Bis zu Debussys Tod 1918 verkauften sich immense 222.000 Ausgaben.
Bis heute hält die Beliebtheit der Werke an. Sie eignen sich
vorzüglich als Hinführung zu Debussys Klangwelt. Neue
ornamentale Strukturen, federnde Rhythmik, diatonische und pentatonische
Harmonik und die gleitenden Modulationen verweisen bereits hier
auf den späteren reifen Personalstil Debussys. Besonders Anfänger
werden den charmanten und kecken Spielablauf, das leicht exotische
Flair besonders der ersten Arabesque und die angenehme pianistische
Ausführung schätzen.
Die Suite bergamasque erschien erst 1905 in ihrer endgültigen
Form mit den vier Sätzen Prélude, Menuet, Clair de
lune und Passepied. Eine besonders verworrene Publikationsgeschichte
verhinderte eine frühe Veröffentlichung. Beispielsweise
sollte das unheimliche Rhythmusstück Masques und die grandiose
L’isle joyeuse noch 1904 miteinbezogen werden. Beide wurden
schließlich doch separat gedruckt. Debussy, der mittlerweile
neue kompositorische Standpunkte einnahm, überarbeitete sein
Suite gründlich. Trotzdem wies der Erstdruck viele Stichfehler
und Veränderungen auf. Debussys Anteil an diesen Revisionen
und auch in den Folgeauflagen und Neustichen bleibt ungewiss. Die
jetzige Neuedition benützt deshalb den von Debussy vorbereiteten
Erstdruck von 1905 als Hauptquelle. Sämtliche Unklarheiten
und offensichtliche Fehler der vorausgehenden Ausgaben sind geklärt.
Die Bezeichnung „bergamasque“ geht möglicherweise
auf den alten Volkstanz Bergamasque zurück, der aus dem italienischen
Bergamo stammt. Ebenso denkbar ist der Einfluss des symbolistischen
Gedichts von Verlaine „Clair de lune“, in dem von „masques
et bergamasques“ die Rede ist. Debussy greift, was die einzelnen
Titel betrifft, auf die Tradition der barocken französischen
Cembalo-Suite zurück, mit Ausnahme von Clair de lune. Dieses
impressionistische Juwel kam ebenfalls schnell zu Weltruhm. Das
Klanggebilde ist farbig diatonisch, klar überschaubar und
bei aller Konventionalität sehr stimmungsreich bei mittelschweren
Spielanforderungen.