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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 34
56. Jahrgang | November
Deutscher Kulturrat
Umkämpft: der Arbeitsmarkt Kultur
Kongress des Deutschen Kulturrates im Jahr der Geisteswissenschaften · Von
Stefanie Ernst
Vom 26. bin 27. September 2007 fand in der Französischen Friedrichstadtkirche
in Berlin der Kongress des Deutschen Kulturrates „Kultur
als Arbeitsfeld und Arbeitsmarkt für Geisteswissenschaftler“ statt.
Unter den 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern befanden sich erfreulicher
Weise besonders viele junge Akademiker und Studierende. Vier thematische
Schwerpunkte standen im Zentrum der Veranstaltung: klassische Einsatzfelder
der Geisteswissenschaftler, Chancen und Tücken freiberuflicher
Arbeit, Erwachsenenbildung und Qualifizierung sowie Berufschancen
von Absolventen bestimmter geisteswissenschaftlicher Fächer.
Eröffnet wurde der Kongress von der Bundesbildungsministerin
Annette Schavan, die in ihrer Rede den hohen Nutzen der Geisteswissenschaften
für die Gesellschaft unterstrich. Geisteswissenschaftler,
so Schavan, müssen sich keineswegs hinter Ingenieuren oder
Absolventen anderer technischer- oder naturwissenschaftlicher Studiengänge
verstecken. Vielmehr sollten sie ihre Stärken, die vor allem
im Bereich der sprachlichen und interkulturellen Kompetenz zu finden
sind, selbstsicher vortragen.
Im ersten Teil der Tagung wurden die klassischen Beschäftigungsfelder
für Geisteswissenschaftler angesprochen. Hartmut Dorgerloh,
Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und
Gärten Berlin-Brandenburg, erläuterte am Beispiel der
Sanierung des Schlosses Schönhausen, wie komplex diese Arbeit
ist. Eine hohe Sozialkompetenz, sprachliches Ausdrucksvermögen,
eine abgeschlossene Promotion sowie ausgezeichnete kommunikative
Fähigkeiten sind ebenso gefragt wie Konfliktfähigkeit
und Lösungs- und Kostenorientierung. Weiterhin problematisierte
Dorgerloh, dass befristete Projektförderungen den Wissenstransfer
erschweren, da die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Abschluss
eines Projektes – notgedrungen – anderweitig beschäftigt
sind. Ähnliche Maßstäbe an die Kompetenzen der
Mitarbeiter legt auch Simone Eick als Direktorin des Deutschen
Auswandererhauses Bremerhaven an. Sie illustrierte, vor welchen
Herausforderungen, aber auch Chancen Museen in der Provinz stehen.
Die Arbeit in einem Museum, das privatwirtschaftlich geführt
wird, unterscheidet sich insofern von öffentlich geförderten
Institutionen, da hier eine noch stärkere Ziel- und Besucherorientierung
vorliegt.
Zu Beginn des zweiten Themenbereichs, dessen Schwerpunkt auf
der freiberuflichen Tätigkeit lag, sprach Olaf Zimmermann über
den Arbeitsmarkt Kulturwirtschaft. Der Geschäftsführer
des Deutschen Kulturrates veranschaulichte in seiner Rede alle
Facetten dieser boomenden Branche. Zwar spiele dort eine Promotion
eine eher untergeordnete Rolle, so Zimmermann, jedoch werde den
dort Tätigen ein langer Atem und ein nicht unerhebliches Maß an
Risikobereitschaft abverlangt. Wie der Alltag von Freiberuflern
aussieht, darüber gab die freiberuflich tätige Journalistin
Tamara Tischendorf eindrucksvoll Auskunft. So sehen sich in Deutschland
etwa 25.000 freie Journalisten mit einer unsicheren Auftragslage
und einer oftmals nicht adäquaten Entlohnung konfrontiert.
Freiberufliches Arbeiten ist extrem abwechselungsreich, so ihr
Fazit, man muss dieser besonderen Art des Broterwerbs jedoch gewachsen
sein. Zum Abschluss dieses Themenschwerpunktes beschrieb Beate
Schreiber, selbst studierte Historikerin und Germanistin, die Arbeit
des von ihr mit gegründeten Historischen Forschungsinstituts
Facts & Files Berlin. Sie recherchiert im Auftrag Dritter in
Archiven, verfasst wissenschaftliche Gutachten, übernimmt
das Drehbuchlektorat geschichtlicher Fernsehbeiträge und vieles
mehr. Die Zukunftschancen in diesem Marktsegment sieht Beate Schreiber
als sehr positiv an, da durch die immer größer werdende
Wissensflut gesichertes Wissen immer attraktiver werde.
Warum kulturelle Bildung als Schlüsselkompetenz der Kulturgesellschaft
angesehen werden muss, erläuterte Karl Ermert zu Beginn des
zweiten Themenschwerpunktes. Der Direktor der Bundesakademie für
kulturelle Bildung Wolfenbüttel stellte den Anwesenden die
Fülle der Möglichkeiten der Arbeitsplatzsuche im Bereich
der kulturellen Bildung vor. Einen speziellen Ausbildungsweg, um
in diesem Bereich tätig zu werden, gäbe es jedoch nicht.
Anschließend sprach Peter Reifenberg, Direktor des Erbacher
Hofes, über die Aufgabe und das Selbstverständnis der
katholischen Akademien. Sie begreifen sich als lebendige Kulturstationen,
als Orte der dialogischen Präsenz und der offenen Auseinandersetzung
mit der Gesellschaft, in denen Geisteswissenschaftler in hoher
Zahl vertreten sind. Die dort tätigen Wissenschaftler zeichne
aus, dass sie sich ständig weiterbilden und in der Lage sind,
sowohl auf hohem fachlichem Niveau Texte zu schreiben, als auch
ihre Anliegen für jedermann verständlich in Worte und
in Sprache zu kleiden.
Welche Anforderungen und Erwartungen an Stellen in der Kulturwirtschaft
gestellt werden, erläuterte Karin Drda-Kühn zu Beginn
des zweiten Konferenztages. Über das von ihr betreute Serviceportal
www.vertikult.de können unter anderem Jobangebote und -gesuche
im Kulturbereich abgerufen werden. Einen Stellenzuwachs gebe es
in den Bereichen Kulturtourismus, Wissenschaftsmanagement und Medien.
Zu beobachten sei allerdings, dass die Anforderungen bei Bedarf
und Nachfrage stark auseinanderdriften. Aufbauend auf den allgemeiner
gehaltenen Thesen über die Berufschancen der Geisteswissenschaftler
ging Roland Kanz, Lehrstuhlinhaber am Kunstgeschichtlichen Institut
der Universität Bonn, auf die Chancen und Probleme der Kunsthistoriker
ein. Verdrängungswettbewerbe auf dem Markt sowie die drohende
Pauperisierung der Akademiker sieht er als drängende Themen
unserer Zeit. Nicht zuletzt der Bologna-Prozess habe durch einen
damit verbundenen ungeheuren bürokratischen Aufwand zur Folge,
dass die Lehre und die Ausbildung dahinter zurückstehen. Als
Vertreter des größten geisteswissenschaftlichen Faches
der Germanistik sprach Ingo H. Warnke von der Universität
Bayreuth über den in den letzten Jahrzehnten von statten gegangenen
Prestigeverlust des Faches bei gleich bleibender fachlicher Qualifikation.
Germanisten seien, so Warnke, in erster Linie Spezialisten. Als
solche bringen sie Textkompetenz, Variationskompetenz, Analytische
Kompetenz, Strukturbewusstsein, Befähigungen komplexer Informationserschließung
sowie ein historisches Bewusstsein mit. Ihre Karrieren verlaufen über
verschlungene Wege, enden zum Teil – und das kann ein wenig
beruhigen – auch in Führungspositionen, wie Studien
belegen.
Einblicke in ein sehr begehrtes, aber nicht minder hart umkämpftes
Berufsfeld gab der Hörfunkdirektor des WDR Wolfgang Schmitz.
Auch hier sprechen die Zahlen für sich: Auf zehn ausgeschriebene
Rundfunkvolontariate kommen 700 Bewerbungen. 85% der Programmvolontäre
der letzten fünf Jahre haben ein geisteswissenschaftliches
Studium absolviert. Germanisten, Historiker, Kulturwissenschaftler
prägen folglich das Programm des Westdeutschen Rundfunks.
Ohne eine studienbegleitend gesammelte Praxiserfahrung im Bereich
der Medien seien Volontariate jedoch längst nicht mehr zu
bekommen.
Abschließend fasste Stephan Schaede, Theologischer Referent
und Arbeitsbereichsleiter „Religion und Kultur“ an
der FEST Heidelberg, die Veranstaltung in äußerst brillanter
und pointierter Art und Weise zusammen. Er entließ die Teilnehmer
mit dem eindringlichen Appell, sich zusammenzuschließen und
Bündnisse einzugehen. Es liege nun an den kommenden Generationen
politische Unterstützung einzufordern.