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VdM
nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 27
56. Jahrgang | November
Verband deutscher Musikschulen
Jugend in der Alten Oper
Julia Fischer und die Deutsche Streicherphilharmonie begeistern
in Frankfurt
Die Alte Oper Frankfurt startete am 14. September in die neue
Saison. Unter dem Motto „Auftakt 2007” präsentiert sie „Musik
unserer Zeit“, „Künstler im Profil“, „Berühmte
Orchester und Dirigenten“ und, unter der Überschrift „Jugendliche
Musizierfreude“, drei außergewöhnliche Orchester
aus Venezuela und Deutschland.
Hierzu gehört auch Deutschlands jüngstes Auswahlorchester,
die Deutsche Streicherphilharmonie, die eingeladen wurde, den Anfang
zu gestalten. Seit das Deutsche Musikschulorchester diesen neuen
Namen trägt, kann es sich vor Einladungen kaum noch retten,
sicherlich ein Zeichen des Zeitgeistes, der nach schicker Verpackung
verlangt. Denn qualitätsmäßig hat sich nicht gar
so viel verändert, einfach, weil es kaum noch besser geht.
Es bleibt ein Verdienst des Verbandes deutscher Musikschulen
(VdM), dass er nach der Wende das nationale Jugendorchester der
DDR unverändert
in seine Trägerschaft übernommen hat. So wird das Orchester
nach wie vor aus den sechzig besten Streichern im Alter von 11
bis 19 Jahren an – inzwischen natürlich auch westdeutschen – Musikschulen
gebildet und vom Bundesjugendministerium seit 1991 gefördert.
Als Dozenten für die einzelnen Stimmgruppen sind von Beginn
an Mitglieder des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin (RSB) tätig.
Gerade ihnen ist dieser besondere Streicherklang des Ensembles
zu verdanken.
Michael Sanderling als Chefdirigent vermittelt den jungen Spielerinnen
und Spielern eine spannungsgeladene Musizierfreude, die professionelle
Orchester, gehindert durch ihre Routine, nicht mehr aufzubringen
imstande sind. Beste Voraussetzungen also, um Bizets Carmen-Suite
in einer Bearbeitung von Rodion Schtschedrin zum Erlebnis werden
zu lassen. Und es wurde ein Erlebnis! Wenn es in seiner Intensität
nicht ganz an die inzwischen legendäre Aufführung im
Januar in der Kölner Philharmonie heranreichte, dann war das
der Architektur geschuldet, die die Zuhörer stärker vom
Orchester trennte, als es in der Kölner Philharmonie der Fall
ist.
„
Aqua“ des estnischen Komponisten Erkki-Sven Tüür
wurde gespielt von 32 Ehemaligen der Deutschen Streicherphilharmonie,
die heute in namhaften Orchestern von Berlin über Wien bis
New York spielen. Durch ihren Auftritt machten sie ihre Verbundenheit
mit dem heutigen Orchester deutlich und verwiesen eindrucksvoll
auf die Kontinuität, für die dieses Ensemble steht.
Bei Tschaikowskys Violinkonzert D-Dur Op. 35 vereinigten sich
die Ehemaligen mit den aktiven Orchestermitgliedern und der Violinistin
Julia Fischer, Deutschlands jüngster Professorin. Ihr temperamentvolles
Spiel begleitete das Orchester mit der ihm eigenen Begeisterung,
so dass ein berührender musikalischer Dialog entstand, den
das Publikum mit so viel Beifall aufnahm, dass Julia Fischer gleich
zwei Zugaben abgefordert wurden, Paganinis Capriccio Nr. 2 und
der dritte Satz aus der Sonate Nr. 3 von Johann Sebastian Bach.
Bleibt noch anzumerken, dass bei Tschaikowskys Violinkonzert
Bläser
der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die Deutsche
Streicherphilharmonie verstärkten und junge Musiker aus der
Region Hannover als Schlagzeug-Solisten das Orchester adäquat
begleiteten.
Damit ist der Chronistenpflicht Genüge getan; der Bericht
wäre aber sehr unvollständig, würde er nicht wenigstens
ein Streiflicht auf den kulturpolitischen Hintergrund werfen. Die
Deutsche Streicherphilharmonie ist nicht nur eine Sensation als
Deutschlands jüngstes Auswahlorchester, sie ist nicht nur
ein Aushängeschild für die Kompetenz der im VdM zusammengeschlossenen
Musikschulen, sie ist auch eine bildungs- und kulturpolitische
Mahnung. Gerade erst hat die jüngste OECD-Studie einmal mehr
belegt, dass es in Deutschland mit der Bildung nicht zum Besten
steht, dass die Förderung zu sehr Kindern aus begüterten
Familien vorbehalten bleibt. Unwillkürlich kommen da die Musikschulgebühren
in den Sinn, gerade auch die Kosten für die musikalische Früherziehung,
die mit ihrer Vermittlung der für das Lernen so unabdingbar
notwendigen Schlüsselqualifikationen (Wahrnehmungsfähigkeit,
Fantasie, Konzentration, Durchhaltevermögen et cetera) so
wichtig für die menschliche Entwicklung ist. Wäre es
denn so aberwitzig, wenn nicht nur die Betreuung (Krippenplätze)
sondern auch die musikalische Früherziehung kostenfrei wäre?
Immerhin hat die Bundesrepu-blik Deutschland die UN-Kinderrechtskonvention
unterschrieben, mit der jedem Kind ein Recht auf Bildung zuerkannt
wird.
Wie segensreich sich eine Förderung von Anfang an auswirken
kann, dafür stehen die Mitglieder der Deutschen Streicherphilharmonie.
Damit dies auch im öffentlichen Bewusstsein wirkt, müsste
das Orchester vielleicht öfter einmal im Deutschen Bundestag
spielen, nicht nur zur Eröffnung des Plenarsaals.