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nmz-archiv
nmz 2007/11 | Seite 25
56. Jahrgang | November
Verbandspolitik
Es steht längst nicht alles im Internet
Musikbibliotheken heute: Susanne Hein über den Wandel einer
unverzichtbaren Institution
Bundespräsident Horst Köhler
hat anlässlich der
Wiedereröffnung der Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar
ein „regelrechtes Bibliothekssterben“ in manchen Regionen
Deutschlands beklagt und eine politische Kurskorrektur gefordert.
Bibliotheken seien „weder ein Luxus, auf den wir verzichten
könnten, noch eine Last, die wir aus der Vergangenheit mitschleppen:
Sie sind ein Pfund, mit dem wir wuchern müssen“. Susanne
Fließ sprach mit Susanne Hein, Leiterin der Musikbibliothek
der Zentral- und Landesbibliothek Berlin und Präsidentin der
Ländergruppe der IAML.
neue musikzeitung: Der Bundespräsident spricht Ihnen sicherlich
aus der Seele, aber zunächst vorab: Bibliothek ist nicht gleich
Bibliothek. Welche Profile gibt es denn da grundsätzlich? Susanne Hein: Musikbibliotheken in Deutschland
sind in der Tat sehr unterschiedlich profiliert: Da gibt es Musikabteilungen
in
Stadtbüchereien, es gibt die Musikhochschulbibliotheken, die
Musikabteilungen an Universitäts- und Landesbibliotheken,
dann die drei größten Musikbibliotheken in Deutschland:
diejenigen der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz
Berlin und der Bayerischen Staatsbibliothek München sowie
das Deutsche Musikarchiv Berlin. Erwähnt werden müssen
auch Notenarchive von Orchestern und Opernhäusern sowie verwandte
Einrichtungen wie Archive der öffentlichen Hand oder privat
finanzierte Archive, schließlich benachbarte Institutionen
wie Schallarchive.
Susanne
Hein, Präsidentin der Ländergruppe der IAML.
Foto: Susann Eichstädt
nmz: Nun sind Sie in einer vergleichsweise
komfortablen Situation, kleinere Bibliotheken kämpfen sicherlich weit mehr ums Überleben
als die Landesbibliotheken wie die in Berlin. Hein: Die Etatfrage stellt sich bereits bei Neuerwerbungen.
Landesbibliotheken, wie auch die in Berlin, erhalten automatisch
ein Pflichtexemplar
aller Neuerscheinungen in ihrem Bundesland. Das hängt mit
der Aufgabe der Bibliothek zusammen, die Geschichte ihres Landes
zu dokumentieren. Darüber hinaus möchten wir nicht nur
den Mainstream bedienen, sondern auch abseitigere Dinge anbieten.
Auch die Klientel einer Bibliothek entscheidet über die Anschaffung
neuer Titel und natürlich der Erwerbungsetat, der zur Verfügung
steht. Ich formuliere die Lage vielleicht so: Es gibt in Deutschland
eine deutliche Aufteilung, die wissenschaftlichen Universitäts-
und Staatsbibliotheken auf der einen Seite, auf der anderen die
meist kleineren und oft finanziell schlechter gestellten Stadtbibliotheken.
nmz: Sind die Musikbibliotheken
Deutschlands Mitglied eines internationalen Verbandes? Hein: Ja, und zwar sind sie sowohl auf internationaler
wie auch auf nationaler Ebene organisiert in der „International
Association of Music Libraries, Archives and Documentation Centres“ (IAML).
Seit 2003 bin ich Präsidentin der Deutschen Ländergruppe
der IAML, dem einzigen musikbibliothekarischen Zusammenschluss
in Deutschland, und leite gemeinsam mit drei Kollegen die Ländergruppe:
mit Vize-Präsidentin
Dr. Barbara Wiermann, Bibliothek der Hochschule für Musik
und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ in Leipzig,
dem Sekretär Thomas Kalk, Musikbibliothek der Stadtbüchereien
Düsseldorf und der Schatzmeisterin Petra Wagenknecht von der
Bibliothek der Universität der Künste Berlin. Die Ländergruppe
der IAML ist Mitglied im Deutschen Musikrat.
nmz: Als Laie nimmt man die Verbandsarbeit
der IAML kaum wahr. Welche Themen werden im Verband diskutiert? Hein: Unsere Themen und Probleme sind für die breite Öffentlichkeit
wohl eher schwer vermittelbar. Die Pressearbeit richtet sich in
wenigen Fällen an die Öffentlichkeit, zum Beispiel damals
anlässlich des Brandes der Herzogin Anna Amalia Bibliothek
haben wir Pressemitteilungen verschickt, um auf unsere Spendenaktion
aufmerksam zu machen. Im Moment arbeite ich daran, die Notenkataloge
verschiedener Musikbibliotheken unter einer Oberfläche zusammenzufassen.
Wenn dieses Projekt fertig ist, werden wir sicherlich die Öffentlichkeit
informieren. Wir führen eine sehr aktive Mailingliste und
informieren in unserer Fachzeitschrift „Forum Musikbibliothek“.
Innerhalb des Verbandes ist der Austausch sehr lebhaft. Das beginnt
mit den Tagungen, die inzwischen von rund 150 Spezialisten aus
den verschiedenen Musikbibliotheken besucht werden. Sie finden
einmal im Jahr an wechselnden Orten statt, dort werden Vorträge
gehalten und Erfahrungen ausgetauscht.
Die Erfahrung zeigt, dass wir gemeinsam sehr viel ausrichten können.
So trat der Verband 2004 massiv und auch für die Öffentlichkeit
spürbar auf den Plan, als die Gefahr bestand, dass einzelne
Titel aus der Musikbibliothek Peters Leipzig – womöglich
ins Ausland – verkauft würden. Aufgrund unserer Intervention
stellte die Kulturstaatsministerin die Sammlung unter Kulturgut-Schutz.
Ein weiteres Thema sind die Ausbildungsstudiengänge zum Musikbibliothekar:
Die Anforderungen an die Studenten und die Inhalte des Studiums
sind anspruchsvoller geworden, wir haben ernsthafte Nachwuchssorgen
und was gibt es in solcher Situation Besseres als einen Verband,
der als Sprachrohr für alle betroffenen Institutionen Kontaktpartner
für die Hochschulen ist?
nmz: Wie würden Sie die Ausbildungssituation an den Hochschulen
beschreiben? Hein: Wir stellen fest, dass die Hochschulen,
was die technischen Anforderungen an den Beruf betrifft, auf der
Höhe der Zeit
sind, wenn nicht sogar schon weiter. Woran es mitunter hapert,
sind die praktischen Repertoirekenntnisse der Absolventen. Bibliotheken
haben inzwischen sehr viel Beratungsfunktion, da muss man schnell
mit einem Köchel-Verzeichnis umgehen können, wenn ein
Nutzer vor einem steht und ein Stück vorsingt. In den musikbibliothekarischen
Ausbildungsgängen werden diese Kenntnisse natürlich vermittelt.
Außerdem sind viele Musikbibliothekare auch Musikwissenschaftler
und die meisten spielen ein Instrument.
nmz: Über welche Medien finden Beratungen statt und wie sehen
Antworten praktisch aus? Hein: Eine große Menge an Anfragen erreicht uns auf elektronischem
Weg und es kommt inzwischen für die Bibliothekare eher darauf
an, zu wissen, wo man etwas findet, als die Titel im Bestand zu
haben. Nehmen Sie beispielsweise die Schubert-Impromptus: Die fünf
Exemplare unseres Bestands sind sehr häufig ausgeliehen. Daher
schicken wir unseren Kunden auch mal einen Link beispielsweise
zu „freehandmusic.com“. Zwar muss man für den
Download bezahlen, aber er ist legal und der Nutzer hat die Noten
sofort.
nmz: Die Bibliotheken erörtern die Digitalisierung mit Blick
auf die Zukunft ebenso wie in die Vergangenheit. Wie ist da der
aktuelle Diskussionsstand? Hein: Solange Noten im Handel sind, ist die Digitalisierung
eine urheberrechtliche Frage und noch nicht unsere Aufgabe. Die
Frage
stellt sich jedoch bei älteren Drucken und Manu-skripten.
Hier ist noch viel zu tun und gar nicht viel passiert. Ob man es
jemals schaffen wird, alles zu digitalisieren, wage ich zu bezweifeln.
Die Bibliotheken haben den Gesamtbestand an Titeln ja noch nicht
mal vollständig online im Katalog.
nmz: Womit hängt das zusammen? Hein: Bücher sind da eindeutig im Vorteil. Bei Buchtiteln
wie „Psalmenstreit“ braucht man noch nicht mal den
Verfasser, um das Buch zu finden. Musiktitel dagegen heißen
oft Sinfonien oder Konzerte und existieren aufgrund verschiedener
Schreibweisen und Zählungen in mehreren Bezeichnungen. Da
Musik nicht übersetzt werden muss, kommen dann noch die ausländischen
Publikationen dazu. Beispielsweise existiert das Schumann-Klavierkonzert
unter der Bezeichnung „Concerto for piano and orchestra op.
54“, „Konzert für Klavier und Orchester“ oder „a-moll-Konzert“.
Wer also Kataloge nach klassischen Titeln befragt, der erleidet
Schiffbruch, es sei denn, er kennt unsere Katalogisierungsregeln.
Da wir diese Kenntnisse aber von unserer Klientel nicht verlangen
können, müssen wir die Arbeit an so genannten „Normdateien“ mit
verknüpften Verweisungen unbedingt fortsetzen, um eine zuverlässige
Recherche zu ermöglichen.
nmz: Sind Überlegungen zur Erstellung von Normdateien auch
Ergebnisse der Verbandsarbeit? Hein: Tatsächlich kann der Verband in dieser Hinsicht gar
nicht so viel ausrichten. Unser Thema ist eher die Vernetzung.
Denn federführend, was die Katalogisierungsstandards betrifft,
ist die Deutsche Nationalbibliothek mit ihrer Musikabteilung, dem
Deutschen Musikarchiv in Berlin. Dort erhält man automatisch
alle Titel, die in Deutschland erscheinen, als Pflichtexemplare.
Alles wird nach bestimmten Regeln katalogisiert und folglich verfügt
man dort über die meisten Daten. Es ist also sinnvoll, davon
ausgehend Qualitätsstandards festzulegen und sie zunächst
innerhalb des Verbandes für alle nutzbar zu machen, damit
sie anschließend den Bibliotheksnutzern zugute kommen.
nmz: Woran wird im Moment innerhalb
der Ländergruppe gearbeitet? Hein: In den städtischen Musikbiblio-theken gibt es derzeit Überlegungen
zur Verbesserung des Angebots für Kinder. In Stuttgart wurden
gerade separate Regale nur mit Kindernoten und Kinder-CDs aufgestellt.
Bisher waren diese zwischen den Noten und CDs für Erwachsene
einsortiert und höchstens durch eine Fahne mit dem Hinweis „Leicht
spielbar“ kenntlich gemacht. Jetzt wird die Literatur dezidiert
zusammengestellt und soll nicht nur den Pädagogen die Suche
erleichtern, sondern auch Kinder mit der Institution Bibliothek
vertraut machen.
Im Bereich der Rundfunk- und Orchesterbibliotheken haben wir erste
Kontakte mit dem Deutschen Musikverlegerverband und der DOV aufgenommen
hinsichtlich der Thematik Leihmaterial.
nmz: Hat die Bibliothek mit ihren
Printmedien und Tonträgern
im digitalen Zeitalter eine Zukunft? Hein: Ich glaube, dass die Zukunft des Bibliothekars
noch viel stärker in seiner Vermittlungstätigkeit liegen wird.
Es zeigt sich immer wieder, dass längst nicht alles im Internet
steht oder dass wir Bibliothekare die Fragen wesentlich gezielter
und schneller recherchieren können. Natürlich gibt es
zunehmend unkörperliche Musik, zum Beispiel in Gestalt von
Datenbanken mit Audiofiles oder Noten-Volltexten, für die
wir Lizenzen erwerben. Das ist eine Erweiterung des Angebots, ist
eine zusätzliche Ebene, die man als Bibliothekar kennen und
nutzen muss. Aber die Bibliothek wird sich nicht erübrigen.