Der Komponist Markus Hechtle über die Funktionen von Musikkritik
Den folgenden Vortrag hielt Markus Hechtle am 7. November 2007
zu Beginn der Arbeitstagung „Musikjournalismus und Neue Musik“,
veranstaltet vom Institut LernRadio der Hochschule für Musik
Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Musikrat und der
Gesellschaft für Neue Musik. Die Ergebnisse der Arbeitstagung
und dieser Vortrag werden veröffentlicht in: Peter Overbeck
(Hg.), „Musikjournalismus und Neue Musik“, Münster/Hamburg,
Lit-Verlag 2008 (Mediendialoge. Schriftenreihe des Instituts LernRadio
der Hochschule für Musik Karlsruhe, Bd. 2). Weitere Texte
zur Arbeitstagung finden Sie auf den folgenden Seiten 42 bis
44.
Was für eine Situation! Vor mir eine versammelte Schar von
aktuellen und zukünftigen Kritikerinnen und Kritikern, Radiomacherinnen
und Radiomachern, Journalistinnen und Journalisten, Musikwissenschaftlerinnen
und Musikwissenschaftlern, kurz, und um einmal ausschließlich
eine weibliche Form zu benutzen, vor mir: Die Kritik. Insofern:
Sehr geehrte Kritik, ich begrüße Sie und freue mich,
vor Ihnen sprechen zu dürfen!
Komponist
Markus Hechtle vor der Karlsruher Musikhochschule. Foto:
J. Radsack
Videos mit Markus Hechtle auf www.nmzmedia.de: „Ungesicherte
Töne –
Neue Musik in der Schule“ und „Aushalten und
Durchzittern von Zeit“
Was für eine Situation also! Vor mir die versammelte Kritik,
also Sie, hoch motiviert und wild entschlossen, in den nächsten
Tagen über ihr Metier, ihre Voraussetzungen, ihr Handwerk
und ihre Funktion nachzudenken, zu verhandeln, sich auszutauschen,
zu diskutieren und voneinander zu lernen.
Vor mir die Kritik, und wenn ich im Folgenden von Kritik spreche,
dann meine ich immer die öffentliche, denn die intime, persönliche
Kritik, von Freund zu Freund, von Komponist zu Komponist spielt
eine ganz andere Rolle und sei an dieser Stelle nicht beleuchtet.
Vor mir also die Kritik, vor Ihnen ein einzelner Komponist. Nichts
Ungewöhnliches eigentlich, würde der Komponist, also
ich, in Form von Musik sich äußern, in Form von Tönen,
Klängen und Geräuschen, in musikalischen Formen, die
er erfunden und gestaltet hat, um sie klingend einem Publikum,
also Ihnen, zu überantworten. So aber, wie ich heute vor Ihnen
stehe, sprechend, mit Worten und Begriffen operierend, trete ich
Ihnen mit den Mitteln Ihres Metiers gegenüber, freundlich
geladen, über die Beziehung zwischen Kunst und Kritik, also
auch über unsere Beziehung, über die Beziehung zwischen
mir, dem Komponisten, und Ihnen, der Kritik, nachzudenken.
Zugegeben: Die Situation könnte zu Vorhaltungen und Beschwerden
verleiten, könnte dazu verführen, das mitunter belastete
Verhältnis zwischen Kunst und Kritik emotional-anekdotisch
auszuschlachten, den großen Unterhaltungswert auszubeuten,
der öffentlicher Kunstkritik innewohnt, der in exponentiellem
Maße sich zu erhöhen scheint, nicht nur, indem die Demütigung
des Künstlers durch die Kritik zunimmt, sondern indem auch
die Bereitschaft des Künstlers wächst, sich durch die
Kritik demütigen zu lassen und diese Demütigung auch
noch einem möglichst breiten Publikum zur Schau zu stellen.
Wenn Sie auf Ähnliches in meinem Vortrag gehofft haben, muss
ich Sie allerdings enttäuschen. Denn obwohl jedem Künstler
Kränkung und Missachtung bekannt sind und sowohl ihr Verletzungspotential
als auch ihre nicht zu unterschätzenden ökonomischen
Konsequenzen verheerende Wirkung haben können, sollen sie
mein Thema heute nicht sein.
Kunst braucht Kritik
So lautet der Titel meines Vortrages. Ich darf Ihnen aber verraten,
dass der Titel mir in den Mund gelegt wurde, er stammt nicht von
mir und: Er ist falsch. Stellen Sie sich vor, und jetzt müssen
die Männer ihre Phantasie in besonderem Maße bemühen,
stellen Sie sich vor, Sie erwarten ein Kind. Sie tragen es aus,
schleppen es monatelang in sich herum, setzen sich damit auseinander,
verzichten auf Vieles, hören auf Anraten Ihres Arztes möglicherweise
sogar mit dem Rauchen und Trinken auf. Ihr Leben ist ganz auf die
Geburt Ihres Kindes ausgerichtet, auf sein Zur-Welt-Kommen. Dann
ist es da, Arzt und Krankenschwester, Verwandte und Freunde besichtigen
das Kind und nach kurzer Zeit hören Sie: „Der Kopf ist
zu groß, die Beine sind zu kurz, die Proportionen stimmen
nicht, die Haare sind zu blond, zu schwarz, zu dünn, die Augen
viel zu ausdruckslos, die Nase zu platt, die Ohren zu klein und
was für ein trauriger Mund, und diese nahezu nicht vorhandenen
Lippen, so gewöhnlich, so wenig innovativ!“ Kurz: Das
Balg ist nicht nur hässlich, sondern sieht wie Millionen andere
Bälger vor ihm aus.
Was für eine Enttäuschung, denken Sie im ersten Moment,
während Sie den nahenden Heulkrampf zu unterdrücken versuchen,
im zweiten Moment erinnern Sie sich daran, dass Sie Ihr Kind eigentlich
ganz schön fanden und im dritten Moment wird Ihnen klar, dass
es in jedem Fall Ihr Kind ist und sowieso Ihr Kind bleiben wird
und dass Sie sich mit Ihrem Kind ganz unabhängig von seiner
Beurteilung durch andere auseinandersetzen müssen. Natürlich
hätten Sie sich gewünscht, dass die anderen Ihr Kind
schön finden, es über alle Maßen loben, Ihnen schmeichelnd
gegenüber treten und das Gefühl geben, etwas ganz besonderes
in die Welt gesetzt zu haben (wie es übrigens ja auch meist
geschieht, ob geheuchelt oder nicht, sei dahin gestellt). Aber
ganz unabhängig davon, ob Ihrem Kind Adjektive wie schön,
gelungen, herausragend, unvergleichlich, oder eben hässlich,
missraten, langweilig, gewöhnlich zugewiesen werden, es bleibt
Ihr Kind, ein Kind, von dem Sie sich nicht ohne weiteres abwenden
können.
Es gehört zur Aufgabe, und nun möchte ich diesen Vergleich,
der natürlich in den meisten Punkten vollkommen unzureichend
und ungeeignet ist, verlassen und zum Thema zurückkehren,
es gehört also zur Arbeit des Künstlers dazu, möglichst
unbeeindruckt von der Wahrnehmung seiner Werke, den Weg, den er
zu gehen sich vorgenommen hat, nicht aus den Augen zu verlieren. Übrigens
auch dann nicht, und das scheint mir fast noch schwerer zu sein,
wenn er hoch gelobt, geliebt, verehrt, gefördert, oder gar
zur Ikone erhoben werden sollte. Kunst braucht daher keine Kritik.
Kunst braucht keine Kritik
Als Künstler ist es geradezu unsere Pflicht, „Ich“ zu
sagen. Das wurzelt primär nicht in Eigenliebe und Selbstsucht,
wie uns immer wieder unterstellt wird, sondern in der Verantwortung,
die wir übernehmen müssen. Nur indem der Künstler „Ich“ sagt,
kann er möglicherweise Perspektiven entwickeln, die irgendwo
ins Offene führen. Die Bereitschaft, den Blick dorthin zu
richten, wo andere nicht hinsehen wollen oder können, ist
dabei Voraussetzung jeder künstlerischen Arbeit. In der Hinsicht
auf das Gähnende der Welt, das Abgründige, die Leerstellen
unserer Existenz sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Die
Entscheidungen, die wir dabei treffen müssen, müssen
wir alleine treffen. Entgegen der häufigen Annahme ist das
oft kein Spaß, aber es gibt keine Alternative dazu. Auch
deshalb kann öffentliche Kritik den Kern künstlerischer
Arbeit selten treffen, weil das Schlimmste bereits hinter uns liegt,
wenn die Musik erklingt.
Nichts ist der Kunst fremder als Erprobung, Test, Übung, Etüde,
Kunst ist immer Ernstfall, ist stets Frage, ist ständig Suche.
Sie muss deshalb nicht humorlos, bierernst, oder scherzfrei sein
und moralinsaure Miene zum leichten Spiel machen. Aber die Ergebnisse,
auf die wir durch die Arbeit stoßen und die wir dann einer Öffentlichkeit überantworten,
haben meist gute Gründe und sind daher zunächst irreversibel.
Lassen Sie mich ein einfaches Beispiel machen: Wenn ich während
der Arbeit zu dem Schluss kommen sollte, einen Text als Klavierlied
vertonen zu müssen, dann kann mich die Kritik, „er war
sich nicht zu blöde, heute noch ein Klavierlied zu schreiben“ zwar ärgern,
das Zentrum meiner Entscheidung aber nicht im mindesten tangieren,
denn die-se Entscheidung habe ich ja bereits aus guten Gründen
getroffen. Lautet die Kritik aber „Toll, er hat sich getraut,
gegen den Trend der Zeit ein Klavierlied zu schreiben“, dann
kann mich die-se Kritik auch nicht treffen, denn ich habe die Entscheidung,
ein Klavierlied zu schreiben, aus inhaltlichen Gründen getroffen
und nicht im mindesten, um gegen den Trend der Zeit mich zu wenden.
Als Künstler haben wir die Orte, die die Kritik meistens erst
nach uns betritt, längst schon wieder verlassen. Manchmal
ist der Platz noch warm, und solchermaßen vorgewärmt
stürzt sich die Kritik mit athletischer Geste auf die bereits
Abwesenden.
Auch die beiden grob zu unterscheidenden Künstlernaturen tragen
dazu bei: Sowohl der sich selbst ungebrochen gegenüberstehende
Künstler als auch der sich selbst gebrochen wahrnehmende können
von der Kritik nicht wirklich affiziert werden. Jener nicht, weil
sein Selbstbild nahezu unbeschädigt ist und er daher durch
Lob nur bestätigt und durch Kritik nur vorübergehend
in seiner Eitelkeit verletzt werden kann, dieser nicht, da seine
eigenen Zweifel und Selbstanfechtungen niemals durch Stimmen von
außen übertönt werden könnten, die lobend-ermutigende
Stimme kann nicht anhaltend zu ihm dringen, da die zweifelnd-kritische
längst sich eingenistet hat als dunkle, zerstörerische
Kraft, die stärker wirkt als jede öffentliche Kritik
es zu leisten im Stande wäre. Kunst braucht deshalb keine
Kritik.
Diese Aussage basiert aber nicht etwa auf Arroganz Ihnen oder
Gleichgültigkeit
Ihrem Urteil gegenüber. Hier möchte ich keinesfalls missverstanden
werden! Selbstverständlich kann die Meinung der Kritik interessant
und anregend sein, sie kann nachdenklich machen und auf Aspekte
verweisen, die sich außerhalb des eigenen Gesichtsfelds befinden.
Die gelungene Kritik, gleichgültig ob der guten oder schlechten
zugerechnet, kann ein Glücksfall von Kommunikation bedeuten,
nicht nur, wenn der Künstler sich erkannt oder gestellt fühlt,
sondern auch wenn sich die Kritik zutiefst auf das Werk eingelassen
hat, wenn ihre Gedankengänge sogar weit über es hinaus
zu weisen vermögen.
Leider aber – und ich meine durchaus zum Leid des Künstlers! – wird
die Kritik niemals wirkliche Relevanz für die künstlerische
Arbeit selbst erlangen können. Denn Musik liefert sich aus
und verausgabt sich in Hingabe, in einer erotischen Beziehung zur
Welt, in einer umfassenden Form von Kommunikation. Ich bin zutiefst
davon überzeugt, dass deshalb die Wehrhaftigkeit der Kunst
in der Verteidigung ihrer Schwäche, in der Aufrechterhaltung
ihrer Schutzlosigkeit, in der emphatischen Darstellung ihrer Angreifbarkeit
liegt. Die Gefahr von Verletzung, Kränkung und Demütigung
darf den Künstler nicht zu einer Relativierung seines Angebots
an die Welt verleiten, darf ihn nicht zu Absicherung, Wappnung,
oder Rüstung verführen. Dass dieses Unterfangen sein
vielmaliges Scheitern bereits in sich trägt, ist der Schwäche
des Menschen geschuldet, ändert aber nichts an seiner Notwendigkeit.
Kunst braucht keine Kritik. Im Gegensatz zur Demokratie ist sie
nicht auf Kontrolle angewiesen. Kunst gedeiht auch so, auch im
Diskurs mit anderer Kunst, auch im Diskurs mit Kollegen und Publikum.
Kunst muss sich auf von der Kritik autonomen Pfaden entwickeln.
Ihr Weg ist unbeirrbar, weil ungesichert und frei. Auf den Pfaden
der Kunst begegnet die Kunst anderer Kunst auf Augenhöhe.
In diesem Sinne verstehe ich übrigens auch den Titel der Veranstaltung
mit Wolfgang Rihm und Hans-Klaus Jungheinrich. Nur: wenn die wahre
Kritik von Kunst aber nur Kunst sein kann, bitte ich Sie von Herzen,
deshalb nicht mit dem Komponieren anzufangen. So ist das bestimmt
nicht gemeint!
Kunst braucht also keine Kritik. Was aber macht der Kritiker,
wenn ihn die Kunst nicht braucht und wenn er nicht Künstler werden
soll? Es wäre ein geradezu skurriler Auftakt für eine
Tagung, auf der ja die Funktion der Kritik hochgehalten, diskutiert
und beleuchtet werden soll, wenn mein Vortrag hier enden würde.
Und Sie ahnen es bereits: auch dieser Satz ist falsch, wie alle
Dinge hat auch dieser Satz mindestens zwei Seiten. Warum braucht
Kunst nun doch Kritik?
Kunst braucht doch Kritik
Die Kunst braucht Sie, die Kritik, als Platzhalter. Das mag zunächst
profan und wenig attraktiv klingen. Wer will schon gerne nur Platzhalter
sein für etwas anderes, für jemanden anderes? Und trotzdem:
wenn Sie, die Kritik, nicht bereit sind, Platzhalter zu sein, wenn
Sie nicht bereit sind, für etwas oder jemanden anderes einstehen
zu wollen, dann haben Sie mit Sicherheit Ihren Beruf verfehlt.
Ich kann mir vorstellen, dass einige von Ihnen bereits vor Minuten
als ich von der Verantwortung des Künstlers sprach, von der
Notwendigkeit seiner Autonomie, insgeheim die Augen verdrehten
und den pathetischen Unterton meiner Gedanken belächelten.
Ich kann Sie warnen: jetzt wird‘s noch viel pathetischer!
Denn für wen oder was halten Sie eigentlich Platz? Sie halten
Platz für nichts weniger als die Freiheit der Kunst, die Freiheit
des Gedankens, die Freiheit der Meinungsäußerung. Durch
Ihre Arbeit wird die Arbeit des Künstlers im gesellschaftlichen
Kontext überhaupt erst möglich!
Der Freiraum, in dem Kunst stattfinden kann, erhält sich nämlich
nicht von selbst, er neigt dazu zu schrumpfen, sich nach und nach
zu schließen, wenn dem nicht kontinuierlich entgegengewirkt
wird. Warum das so ist, können wir hier nicht erörtern,
aber selbst in demokratischen Kulturnationen, denen wir uns zweifelsohne
zurechnen, ist das Kräfteverhältnis innerhalb der Gesellschaft
instabil und muss permanent neu taxiert und balanciert werden.
Der Umschlag in eine Gesellschaft im freien Fall, das heißt
in eine Gesellschaft, die dem scheinbar ökonomisch Nutzlosen
nicht nur keine Aufmerksamkeit, sondern auch keine Wertschätzung
mehr entgegenbringt, ist kein Bedrohungszenario versponnener, paranoider
Verschwörungstheoretiker, sondern eine reelle Gefahr, die
möglicherweise der inneren Logik des demokratischen Kapitalismus
entspringt.
In Deutschland haben wir darüber hinaus eine ganz besondere
Verantwortung. Es ist noch nicht lange her, dass wir systematisch
Millionen von Menschen ermordet, gedemütigt, geknechtet haben
in einem bis dato nie gekannten Ausmaß. Wir haben Bücher
verbrannt, Kunstwerke vernichtet, geistige Freiheit mit Füßen
getreten. Wir haben durch unsere Untaten in beispielloser Weise
ein Menschenbild nicht nur diskreditiert und beschädigt, sondern
in seinen Grundfesten erschüttert, ein Menschenbild, das über
Jahrhunderte unser Denken und unsere Kunstgeschichte geprägt
hat. Wir sind verantwortlich für ein Trauma, das im Gegensatz
zu den objektiven Taten, noch nicht annähernd aufgeklärt,
geschweige denn bewältigt wurde, vielleicht nie bewältigt
werden kann. Auch vor diesem Hintergrund muss sich Kritik in Deutschland
beweisen, als Platzhalter beweisen.
Indem Sie, die Kritik, das tragische Wissen innerhalb der Gesellschaft
verteidigen, indem Sie Haltung, Contenance bewahren gegenüber
dem gefräßigen Defätismus einer kunstfeindlichen
Unterhaltungsindustrie, indem Sie ohne elitäre Attitüde
in die Gesellschaft hineinwirken, hineinrufen, indem Sie gelassen
aber bestimmt Position beziehen, indem Sie Ihre Wertschätzung
gegenüber den kreativen Kräften öffentlich kund
tun, halten Sie der Kunst den Platz, den sie zu ihrer funktionslosen
Entfaltung so dringend benötigt.
Ich bitte Sie deshalb: Verlieren Sie diese Berufung niemals aus
den Augen, verlieren Sie nie aus den Augen, dass Ihre wesentlichste
Aufgabe es ist, Räume frei zu halten,
Platz einzuräumen, Perspektiven zu ermöglichen. Verlieren
Sie nie aus den Augen, dass Sie die Anwälte der Kunst, die
Verteidiger der Freiheit sind.
Wir Künstler müssen unsere Schwäche mühsam
aufrechterhalten, Sie müssen unsere Schwachheit mühsam
verteidigen. Wir sind deshalb notwendig auf Sie angewiesen, wir
vertrauen Ihnen und wir erwarten Ihre Standfestigkeit, wenn es
darauf ankommt, Ihre Loyalität in einem übergeordneten
Zusammenhang, Ihre Unerschütterlichkeit, Ihre leidenschaftliche
Platzhalterei in der ernstesten Dimension, die es geben kann. Sie
sind Freihalter, keine Lückenbüßer!
Vor diesem Hintergrund werden Ihre Entscheidungen, sei es als
Kritikerin oder Kritiker, als Radiomacherin oder Radiomacher, als
Wissenschaftlerin
oder als Wissenschaftler, eben bei all dem, was Ihre spezifischen
Aufgabenfelder von Ihnen fordern, eine andere Färbung erhalten.
Nur vor diesem Hintergrund können Sie das tun, was Sie für
notwendig halten, und nur vor diesem Hintergrund müssen Sie
Ihre Entscheidungen rechtfertigen. Seien Sie vor diesem Hintergrund
also frei und ungebunden, misstrauen Sie dem, was als gültige
Meinung behauptet wird, seien Sie zornig und zärtlich, mitfühlend
und unbarmherzig, sagen Sie „Ich“, wenn Sie sich meinen
und sagen Sie „Wir“, wenn Sie für andere einstehen
können, seien Sie mutig und vorsichtig, zurückhaltend
und aufdringlich, seien Sie rücksichtslos gegenüber sich
selbst, wohlwollend gegenüber anderen, fördern und verhindern
Sie, seien Sie verantwortungsvoll und begeisterungsfähig,
lassen Sie sich verzaubern und beeindrucken, bleiben Sie unbeeindruckt,
seien Sie hart und weich, neugierig und konservativ, moralisch
und sentimental, feinfühlig und unberechenbar, gehen Sie Ihre
eigenen Wege, führen Sie den Diskurs, stellen Sie sich zur
Diskussion und: Glauben Sie mir kein Wort!