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Ausgabe 2007/12
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nmz 2007/12 | Seite 41-42
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Oper & Konzert

Den Platz freihalten für die Freiheit der Kunst

Der Komponist Markus Hechtle über die Funktionen von Musikkritik

Den folgenden Vortrag hielt Markus Hechtle am 7. November 2007 zu Beginn der Arbeitstagung „Musikjournalismus und Neue Musik“, veranstaltet vom Institut LernRadio der Hochschule für Musik Karlsruhe in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Musikrat und der Gesellschaft für Neue Musik. Die Ergebnisse der Arbeitstagung und dieser Vortrag werden veröffentlicht in: Peter Overbeck (Hg.), „Musikjournalismus und Neue Musik“, Münster/Hamburg, Lit-Verlag 2008 (Mediendialoge. Schriftenreihe des Instituts LernRadio der Hochschule für Musik Karlsruhe, Bd. 2). Weitere Texte zur Arbeitstagung finden Sie auf den folgenden Seiten 42 bis 44.

Was für eine Situation! Vor mir eine versammelte Schar von aktuellen und zukünftigen Kritikerinnen und Kritikern, Radiomacherinnen und Radiomachern, Journalistinnen und Journalisten, Musikwissenschaftlerinnen und Musikwissenschaftlern, kurz, und um einmal ausschließlich eine weibliche Form zu benutzen, vor mir: Die Kritik. Insofern: Sehr geehrte Kritik, ich begrüße Sie und freue mich, vor Ihnen sprechen zu dürfen!

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Komponist Markus Hechtle vor der Karlsruher Musikhochschule. Foto: J. Radsack

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Bild vergrößernKomponist Markus Hechtle vor der Karlsruher Musikhochschule. Foto: J. Radsack
Videos mit Markus Hechtle auf www.nmzmedia.de: „Ungesicherte Töne –
Neue Musik in der Schule“ und „Aushalten und Durchzittern von Zeit“

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Was für eine Situation also! Vor mir die versammelte Kritik, also Sie, hoch motiviert und wild entschlossen, in den nächsten Tagen über ihr Metier, ihre Voraussetzungen, ihr Handwerk und ihre Funktion nachzudenken, zu verhandeln, sich auszutauschen, zu diskutieren und voneinander zu lernen.

Vor mir die Kritik, und wenn ich im Folgenden von Kritik spreche, dann meine ich immer die öffentliche, denn die intime, persönliche Kritik, von Freund zu Freund, von Komponist zu Komponist spielt eine ganz andere Rolle und sei an dieser Stelle nicht beleuchtet.

Vor mir also die Kritik, vor Ihnen ein einzelner Komponist. Nichts Ungewöhnliches eigentlich, würde der Komponist, also ich, in Form von Musik sich äußern, in Form von Tönen, Klängen und Geräuschen, in musikalischen Formen, die er erfunden und gestaltet hat, um sie klingend einem Publikum, also Ihnen, zu überantworten. So aber, wie ich heute vor Ihnen stehe, sprechend, mit Worten und Begriffen operierend, trete ich Ihnen mit den Mitteln Ihres Metiers gegenüber, freundlich geladen, über die Beziehung zwischen Kunst und Kritik, also auch über unsere Beziehung, über die Beziehung zwischen mir, dem Komponisten, und Ihnen, der Kritik, nachzudenken.

Zugegeben: Die Situation könnte zu Vorhaltungen und Beschwerden verleiten, könnte dazu verführen, das mitunter belastete Verhältnis zwischen Kunst und Kritik emotional-anekdotisch auszuschlachten, den großen Unterhaltungswert auszubeuten, der öffentlicher Kunstkritik innewohnt, der in exponentiellem Maße sich zu erhöhen scheint, nicht nur, indem die Demütigung des Künstlers durch die Kritik zunimmt, sondern indem auch die Bereitschaft des Künstlers wächst, sich durch die Kritik demütigen zu lassen und diese Demütigung auch noch einem möglichst breiten Publikum zur Schau zu stellen.

Wenn Sie auf Ähnliches in meinem Vortrag gehofft haben, muss ich Sie allerdings enttäuschen. Denn obwohl jedem Künstler Kränkung und Missachtung bekannt sind und sowohl ihr Verletzungspotential als auch ihre nicht zu unterschätzenden ökonomischen Konsequenzen verheerende Wirkung haben können, sollen sie mein Thema heute nicht sein.

Kunst braucht Kritik

So lautet der Titel meines Vortrages. Ich darf Ihnen aber verraten, dass der Titel mir in den Mund gelegt wurde, er stammt nicht von mir und: Er ist falsch. Stellen Sie sich vor, und jetzt müssen die Männer ihre Phantasie in besonderem Maße bemühen, stellen Sie sich vor, Sie erwarten ein Kind. Sie tragen es aus, schleppen es monatelang in sich herum, setzen sich damit auseinander, verzichten auf Vieles, hören auf Anraten Ihres Arztes möglicherweise sogar mit dem Rauchen und Trinken auf. Ihr Leben ist ganz auf die Geburt Ihres Kindes ausgerichtet, auf sein Zur-Welt-Kommen. Dann ist es da, Arzt und Krankenschwester, Verwandte und Freunde besichtigen das Kind und nach kurzer Zeit hören Sie: „Der Kopf ist zu groß, die Beine sind zu kurz, die Proportionen stimmen nicht, die Haare sind zu blond, zu schwarz, zu dünn, die Augen viel zu ausdruckslos, die Nase zu platt, die Ohren zu klein und was für ein trauriger Mund, und diese nahezu nicht vorhandenen Lippen, so gewöhnlich, so wenig innovativ!“ Kurz: Das Balg ist nicht nur hässlich, sondern sieht wie Millionen andere Bälger vor ihm aus.

Was für eine Enttäuschung, denken Sie im ersten Moment, während Sie den nahenden Heulkrampf zu unterdrücken versuchen, im zweiten Moment erinnern Sie sich daran, dass Sie Ihr Kind eigentlich ganz schön fanden und im dritten Moment wird Ihnen klar, dass es in jedem Fall Ihr Kind ist und sowieso Ihr Kind bleiben wird und dass Sie sich mit Ihrem Kind ganz unabhängig von seiner Beurteilung durch andere auseinandersetzen müssen. Natürlich hätten Sie sich gewünscht, dass die anderen Ihr Kind schön finden, es über alle Maßen loben, Ihnen schmeichelnd gegenüber treten und das Gefühl geben, etwas ganz besonderes in die Welt gesetzt zu haben (wie es übrigens ja auch meist geschieht, ob geheuchelt oder nicht, sei dahin gestellt). Aber ganz unabhängig davon, ob Ihrem Kind Adjektive wie schön, gelungen, herausragend, unvergleichlich, oder eben hässlich, missraten, langweilig, gewöhnlich zugewiesen werden, es bleibt Ihr Kind, ein Kind, von dem Sie sich nicht ohne weiteres abwenden können.

Es gehört zur Aufgabe, und nun möchte ich diesen Vergleich, der natürlich in den meisten Punkten vollkommen unzureichend und ungeeignet ist, verlassen und zum Thema zurückkehren, es gehört also zur Arbeit des Künstlers dazu, möglichst unbeeindruckt von der Wahrnehmung seiner Werke, den Weg, den er zu gehen sich vorgenommen hat, nicht aus den Augen zu verlieren. Übrigens auch dann nicht, und das scheint mir fast noch schwerer zu sein, wenn er hoch gelobt, geliebt, verehrt, gefördert, oder gar zur Ikone erhoben werden sollte. Kunst braucht daher keine Kritik.

Kunst braucht keine Kritik

Als Künstler ist es geradezu unsere Pflicht, „Ich“ zu sagen. Das wurzelt primär nicht in Eigenliebe und Selbstsucht, wie uns immer wieder unterstellt wird, sondern in der Verantwortung, die wir übernehmen müssen. Nur indem der Künstler „Ich“ sagt, kann er möglicherweise Perspektiven entwickeln, die irgendwo ins Offene führen. Die Bereitschaft, den Blick dorthin zu richten, wo andere nicht hinsehen wollen oder können, ist dabei Voraussetzung jeder künstlerischen Arbeit. In der Hinsicht auf das Gähnende der Welt, das Abgründige, die Leerstellen unserer Existenz sind wir auf uns selbst zurückgeworfen. Die Entscheidungen, die wir dabei treffen müssen, müssen wir alleine treffen. Entgegen der häufigen Annahme ist das oft kein Spaß, aber es gibt keine Alternative dazu. Auch deshalb kann öffentliche Kritik den Kern künstlerischer Arbeit selten treffen, weil das Schlimmste bereits hinter uns liegt, wenn die Musik erklingt.

Nichts ist der Kunst fremder als Erprobung, Test, Übung, Etüde, Kunst ist immer Ernstfall, ist stets Frage, ist ständig Suche. Sie muss deshalb nicht humorlos, bierernst, oder scherzfrei sein und moralinsaure Miene zum leichten Spiel machen. Aber die Ergebnisse, auf die wir durch die Arbeit stoßen und die wir dann einer Öffentlichkeit überantworten, haben meist gute Gründe und sind daher zunächst irreversibel.

Lassen Sie mich ein einfaches Beispiel machen: Wenn ich während der Arbeit zu dem Schluss kommen sollte, einen Text als Klavierlied vertonen zu müssen, dann kann mich die Kritik, „er war sich nicht zu blöde, heute noch ein Klavierlied zu schreiben“ zwar ärgern, das Zentrum meiner Entscheidung aber nicht im mindesten tangieren, denn die-se Entscheidung habe ich ja bereits aus guten Gründen getroffen. Lautet die Kritik aber „Toll, er hat sich getraut, gegen den Trend der Zeit ein Klavierlied zu schreiben“, dann kann mich die-se Kritik auch nicht treffen, denn ich habe die Entscheidung, ein Klavierlied zu schreiben, aus inhaltlichen Gründen getroffen und nicht im mindesten, um gegen den Trend der Zeit mich zu wenden. Als Künstler haben wir die Orte, die die Kritik meistens erst nach uns betritt, längst schon wieder verlassen. Manchmal ist der Platz noch warm, und solchermaßen vorgewärmt stürzt sich die Kritik mit athletischer Geste auf die bereits Abwesenden.

Auch die beiden grob zu unterscheidenden Künstlernaturen tragen dazu bei: Sowohl der sich selbst ungebrochen gegenüberstehende Künstler als auch der sich selbst gebrochen wahrnehmende können von der Kritik nicht wirklich affiziert werden. Jener nicht, weil sein Selbstbild nahezu unbeschädigt ist und er daher durch Lob nur bestätigt und durch Kritik nur vorübergehend in seiner Eitelkeit verletzt werden kann, dieser nicht, da seine eigenen Zweifel und Selbstanfechtungen niemals durch Stimmen von außen übertönt werden könnten, die lobend-ermutigende Stimme kann nicht anhaltend zu ihm dringen, da die zweifelnd-kritische längst sich eingenistet hat als dunkle, zerstörerische Kraft, die stärker wirkt als jede öffentliche Kritik es zu leisten im Stande wäre. Kunst braucht deshalb keine Kritik.

Diese Aussage basiert aber nicht etwa auf Arroganz Ihnen oder Gleichgültigkeit Ihrem Urteil gegenüber. Hier möchte ich keinesfalls missverstanden werden! Selbstverständlich kann die Meinung der Kritik interessant und anregend sein, sie kann nachdenklich machen und auf Aspekte verweisen, die sich außerhalb des eigenen Gesichtsfelds befinden. Die gelungene Kritik, gleichgültig ob der guten oder schlechten zugerechnet, kann ein Glücksfall von Kommunikation bedeuten, nicht nur, wenn der Künstler sich erkannt oder gestellt fühlt, sondern auch wenn sich die Kritik zutiefst auf das Werk eingelassen hat, wenn ihre Gedankengänge sogar weit über es hinaus zu weisen vermögen.

Leider aber – und ich meine durchaus zum Leid des Künstlers! – wird die Kritik niemals wirkliche Relevanz für die künstlerische Arbeit selbst erlangen können. Denn Musik liefert sich aus und verausgabt sich in Hingabe, in einer erotischen Beziehung zur Welt, in einer umfassenden Form von Kommunikation. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass deshalb die Wehrhaftigkeit der Kunst in der Verteidigung ihrer Schwäche, in der Aufrechterhaltung ihrer Schutzlosigkeit, in der emphatischen Darstellung ihrer Angreifbarkeit liegt. Die Gefahr von Verletzung, Kränkung und Demütigung darf den Künstler nicht zu einer Relativierung seines Angebots an die Welt verleiten, darf ihn nicht zu Absicherung, Wappnung, oder Rüstung verführen. Dass dieses Unterfangen sein vielmaliges Scheitern bereits in sich trägt, ist der Schwäche des Menschen geschuldet, ändert aber nichts an seiner Notwendigkeit.

Kunst braucht keine Kritik. Im Gegensatz zur Demokratie ist sie nicht auf Kontrolle angewiesen. Kunst gedeiht auch so, auch im Diskurs mit anderer Kunst, auch im Diskurs mit Kollegen und Publikum. Kunst muss sich auf von der Kritik autonomen Pfaden entwickeln. Ihr Weg ist unbeirrbar, weil ungesichert und frei. Auf den Pfaden der Kunst begegnet die Kunst anderer Kunst auf Augenhöhe. In diesem Sinne verstehe ich übrigens auch den Titel der Veranstaltung mit Wolfgang Rihm und Hans-Klaus Jungheinrich. Nur: wenn die wahre Kritik von Kunst aber nur Kunst sein kann, bitte ich Sie von Herzen, deshalb nicht mit dem Komponieren anzufangen. So ist das bestimmt nicht gemeint!

Kunst braucht also keine Kritik. Was aber macht der Kritiker, wenn ihn die Kunst nicht braucht und wenn er nicht Künstler werden soll? Es wäre ein geradezu skurriler Auftakt für eine Tagung, auf der ja die Funktion der Kritik hochgehalten, diskutiert und beleuchtet werden soll, wenn mein Vortrag hier enden würde. Und Sie ahnen es bereits: auch dieser Satz ist falsch, wie alle Dinge hat auch dieser Satz mindestens zwei Seiten. Warum braucht Kunst nun doch Kritik?

Kunst braucht doch Kritik

Die Kunst braucht Sie, die Kritik, als Platzhalter. Das mag zunächst profan und wenig attraktiv klingen. Wer will schon gerne nur Platzhalter sein für etwas anderes, für jemanden anderes? Und trotzdem: wenn Sie, die Kritik, nicht bereit sind, Platzhalter zu sein, wenn Sie nicht bereit sind, für etwas oder jemanden anderes einstehen zu wollen, dann haben Sie mit Sicherheit Ihren Beruf verfehlt.

Ich kann mir vorstellen, dass einige von Ihnen bereits vor Minuten als ich von der Verantwortung des Künstlers sprach, von der Notwendigkeit seiner Autonomie, insgeheim die Augen verdrehten und den pathetischen Unterton meiner Gedanken belächelten. Ich kann Sie warnen: jetzt wird‘s noch viel pathetischer! Denn für wen oder was halten Sie eigentlich Platz? Sie halten Platz für nichts weniger als die Freiheit der Kunst, die Freiheit des Gedankens, die Freiheit der Meinungsäußerung. Durch Ihre Arbeit wird die Arbeit des Künstlers im gesellschaftlichen Kontext überhaupt erst möglich!

Der Freiraum, in dem Kunst stattfinden kann, erhält sich nämlich nicht von selbst, er neigt dazu zu schrumpfen, sich nach und nach zu schließen, wenn dem nicht kontinuierlich entgegengewirkt wird. Warum das so ist, können wir hier nicht erörtern, aber selbst in demokratischen Kulturnationen, denen wir uns zweifelsohne zurechnen, ist das Kräfteverhältnis innerhalb der Gesellschaft instabil und muss permanent neu taxiert und balanciert werden. Der Umschlag in eine Gesellschaft im freien Fall, das heißt in eine Gesellschaft, die dem scheinbar ökonomisch Nutzlosen nicht nur keine Aufmerksamkeit, sondern auch keine Wertschätzung mehr entgegenbringt, ist kein Bedrohungszenario versponnener, paranoider Verschwörungstheoretiker, sondern eine reelle Gefahr, die möglicherweise der inneren Logik des demokratischen Kapitalismus entspringt.

In Deutschland haben wir darüber hinaus eine ganz besondere Verantwortung. Es ist noch nicht lange her, dass wir systematisch Millionen von Menschen ermordet, gedemütigt, geknechtet haben in einem bis dato nie gekannten Ausmaß. Wir haben Bücher verbrannt, Kunstwerke vernichtet, geistige Freiheit mit Füßen getreten. Wir haben durch unsere Untaten in beispielloser Weise ein Menschenbild nicht nur diskreditiert und beschädigt, sondern in seinen Grundfesten erschüttert, ein Menschenbild, das über Jahrhunderte unser Denken und unsere Kunstgeschichte geprägt hat. Wir sind verantwortlich für ein Trauma, das im Gegensatz zu den objektiven Taten, noch nicht annähernd aufgeklärt, geschweige denn bewältigt wurde, vielleicht nie bewältigt werden kann. Auch vor diesem Hintergrund muss sich Kritik in Deutschland beweisen, als Platzhalter beweisen.

Indem Sie, die Kritik, das tragische Wissen innerhalb der Gesellschaft verteidigen, indem Sie Haltung, Contenance bewahren gegenüber dem gefräßigen Defätismus einer kunstfeindlichen Unterhaltungsindustrie, indem Sie ohne elitäre Attitüde in die Gesellschaft hineinwirken, hineinrufen, indem Sie gelassen aber bestimmt Position beziehen, indem Sie Ihre Wertschätzung gegenüber den kreativen Kräften öffentlich kund tun, halten Sie der Kunst den Platz, den sie zu ihrer funktionslosen Entfaltung so dringend benötigt.

Ich bitte Sie deshalb: Verlieren Sie diese Berufung niemals aus den Augen, verlieren Sie nie aus den Augen, dass Ihre wesentlichste Aufgabe es ist, Räume frei zu halten, Platz einzuräumen, Perspektiven zu ermöglichen. Verlieren Sie nie aus den Augen, dass Sie die Anwälte der Kunst, die Verteidiger der Freiheit sind.

Wir Künstler müssen unsere Schwäche mühsam aufrechterhalten, Sie müssen unsere Schwachheit mühsam verteidigen. Wir sind deshalb notwendig auf Sie angewiesen, wir vertrauen Ihnen und wir erwarten Ihre Standfestigkeit, wenn es darauf ankommt, Ihre Loyalität in einem übergeordneten Zusammenhang, Ihre Unerschütterlichkeit, Ihre leidenschaftliche Platzhalterei in der ernstesten Dimension, die es geben kann. Sie sind Freihalter, keine Lückenbüßer!

Vor diesem Hintergrund werden Ihre Entscheidungen, sei es als Kritikerin oder Kritiker, als Radiomacherin oder Radiomacher, als Wissenschaftlerin oder als Wissenschaftler, eben bei all dem, was Ihre spezifischen Aufgabenfelder von Ihnen fordern, eine andere Färbung erhalten. Nur vor diesem Hintergrund können Sie das tun, was Sie für notwendig halten, und nur vor diesem Hintergrund müssen Sie Ihre Entscheidungen rechtfertigen. Seien Sie vor diesem Hintergrund also frei und ungebunden, misstrauen Sie dem, was als gültige Meinung behauptet wird, seien Sie zornig und zärtlich, mitfühlend und unbarmherzig, sagen Sie „Ich“, wenn Sie sich meinen und sagen Sie „Wir“, wenn Sie für andere einstehen können, seien Sie mutig und vorsichtig, zurückhaltend und aufdringlich, seien Sie rücksichtslos gegenüber sich selbst, wohlwollend gegenüber anderen, fördern und verhindern Sie, seien Sie verantwortungsvoll und begeisterungsfähig, lassen Sie sich verzaubern und beeindrucken, bleiben Sie unbeeindruckt, seien Sie hart und weich, neugierig und konservativ, moralisch und sentimental, feinfühlig und unberechenbar, gehen Sie Ihre eigenen Wege, führen Sie den Diskurs, stellen Sie sich zur Diskussion und: Glauben Sie mir kein Wort!

Markus Hechtle

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