Bei der Arbeitstagung „Musikjournalismus & Neue Musik“ in
Karlsruhe wurde auch ein Workshop Konzert-Kritik unter der Anleitung
des Autors durchgeführt. Am Abend fand ein Konzert mit neuen
Werken aus der Kompositionsklasse von Wolfgang Rihm statt und die
angehenden Journalisten sollten darüber eine Kritik von circa
2.000 bis 2.500 Zeichen schreiben.
In mehrfacher Hinsicht waren dies harte Bedingungen. Der Zeitdruck
(der Text sollte wie unter Profi-Bedingungen um 9 Uhr am nächsten
Morgen vorliegen) wäre ebenso zu nennen wie die komplexen
Fragestellungen, die eine Konzert-Kritik mit sieben kurzen, noch
nie gehörten Arbeiten (hinzu kam als Ergänzung noch Georg
Kreislers „Musikkritiker“, der ebenfalls in einigen
Kritiken zu Überlegungen anregte) beinhaltet: zur Frage des
Textaufbaus, denn man kann schon aus Platzgründen nicht alle
Werke gleichermaßen kritisch beschreiben, trat das Problem,
dass es der Kritik von Neuer Musik immer noch ganz allgemein an
gängigem Fachvokabular mangelt. Dazu kam, dass die Kompositionen
sich selbst noch weitgehend im Arbeits- beziehungsweise Experimentierstadium
befanden, also nicht immer eine klare und eindeutige Kontur vorwiesen.
Von 15 Teilnehmern, die sich eingetragen hatten, lieferten immerhin
13 am nächsten Tag ihre Kritiken ab (ein Autor musste in der
Mitte abbrechen). Wie zu erwarten traten diverse Probleme zutage.
Das betraf weniger die kritische Einschätzung der Stücke
(der Kritiker ist hier frei, sollte freilich mit seinen Begründungen
nicht allzu sehr daneben liegen), sondern Unklarheiten in der Formulierung
und Wortwahl, im Aufbau, in der Fokussierung der Kritik. Diese
Defizite wurden in einer Präsentation am nächsten Tag
angesprochen und die Debatte darüber versuchte zu vermitteln,
worauf in einer Kritik dieser Art – bei allen Freiräumen,
die der Kritiker hat – geachtet werden sollte. Hier kam es
wohl zu den schönsten vertiefenden Erkenntnissen. Musikkritik
ist ein ständiger Fortentwicklungsprozess hin auf die eigene
Klarheit des Kritikers, was er den Lesern über das Konzert
fundamental mitteilen möchte. Diese Klarheit kann man von
jungen Autoren natürlich noch nicht erwarten, dennoch hatten
mehrere Kritiken ein sehr ansprechendes Niveau. Wir veröffentlichen
hier (mit einigen Korrekturen, wobei auch einige „stilistische
Eigenheiten“ stehen gelassen wurden) drei der eingereichten
Arbeiten.
Reinhard Schulz
Wenn die Kritiker in der Überzahl sind
Musikjournalismus und Neue Musik: Konzertkritik Nummer eins
Die Musiker werden sich ihren Teil gedacht haben: Anstelle
der regulären Stuhlreihen sind im Zuschauerraum lange Tischreihen
aufgestellt, auf denen sich nicht, wie für Galadinner üblich,
Sekt und Häppchen stapeln. Stattdessen liegen da Blöcke,
Kladden, einzelne Blätter. An den Tischen sitzen Musikkritiker.
Nicht versteckt und vereinzelt, sondern ausschließlich.
Ausgerechnet also derjenige unberechenbare Anteil des Publikums,
von dessen Unmusikalität Wohl und Wehe der ganzen Musikerzunft
abhängt, wie schon Georg Kreisler wusste. Dieses Schreibtischkonzert
gehörte zum Programm der dreitägigen Arbeitstagung „Musik-journalismus
und Neue Musik“, veranstaltet vom Institut LernRadio der
Hochschule für Musik Karlsruhe. Auf dem Programm: aktuelle
Werke der Kompositionsklasse von Wolfgang Rihm. Zu hören bekam
dieses seltsame Publikum ein hochgradig spannendes, vielfältiges
Programm. Es nahm teil an einer Auseinandersetzung, die sich gerade über
die sehr unterschiedlichen Niveaus nachvollziehbar vermittelte.
Dabei sollte nicht vergessen werden, dass es notwendig ist und
Mut erfordert, Unfertiges oder kompositorische Fragestellungen
zu präsentieren, ebenso, wie sich diese Rezension als Produkt
der Arbeitstagung darbietet.
Gewinnbringende Fragestellungen boten beispielsweise die Kompositionen „Antwort
ohne Antwort“ für Trompete und Klaviernachklang von
Dohun Lee und „Strombahnen“ für E-Gitarre und
Elektronik von Matthias Ockert. Experimentierte Lee mit der Klangwirkung
schmerzhaft lauter Trompetenstöße direkt in einen geöffneten
Konzertflügel bei gedrücktem Pedal, vollzog sich das
Gespräch in „Strombahnen“ zwischen Maschine und
Gitarre, wobei es der persönlichen Neigung überlassen
blieb, „Gespräche“ im eigentlichen Sinne oder
bloße Äußerungen von Effekten zu hören.
In „Antwort ohne Antwort“ bestand der klangliche Reiz
weniger in den kaum hörbaren Flügel-Resonanzen, sondern
in der Auswirkung auf den Trompetenton, der durch die extreme Lautstärke
eine fordernde Aggressivität erhielt, die geradezu körperlich
spürbar war. Daneben kamen Werke zu Gehör, deren Tiefendimension
schwerlich mit wenigen Worten abgehandelt werden kann. Dazu gehört „Pandämonium“ (Birke
J. Bertelsmeier), in dem – mitreißend interpretiert – das
Klangspektrum von Harfe und Geige um ein Vielfaches erweitert wurde.
Ebenso „SI“ von Wang Jue, das als einziges Stück
des Abends mittels theatralischer Elemente aus der gewohnten Kammermusik-Präsentation
ausbrach, um völlig neue Wahrnehmungsebenen zu ermöglichen.
Jue ist auch der einzige Komponist, in dessen Kompositionen Stille
ein wesentliches Element bildet – ein nicht neues, aber viel
zu selten gewagtes Mittel. Ein etwas schiefes Bild bot sich zum
Schluss des Konzertes: Unter befreitem Gelächter wurde außerhalb
des Programms Georg Kreislers Musikkritiker-Satire wahrgenommen,
gewiss mitreißend dargeboten von Viktor Plumettaz. Aber der
tosende Schlussapplaus hat sicherlich nicht nur ihm gegolten, sondern
auch den Komponisten und Interpreten, die man gerne noch einmal
auf der Bühne gesehen hätte.
Cornelia Schmitz
Cornelia Schmitz ist Studentin der Musik- und Theaterwissenschaften
in Berlin.
Lust machen auf die Ideen der Neuen Musik
Musikjournalismus und Neue Musik: Konzertkritik Nummer zwei
Es fällt nicht leicht, die Vielfalt eines Konzerts von
Kompositionsschülern, wie es sich am Donnerstag im Karlsruher
Schloss Gottesaue im Rahmen einer musikjournalistischen Tagung
darbot, ästhetisch ansprechend unter einem Dach zu vereinen.
Die Gestaltung des Programms zeigte indes, dass wenig-
stens durch die Anordnung und Auswahl der Besetzungen ein sinnvolles
dramaturgisches Gerüst beabsichtigt war.
Das Sextett für Oboe und Streicher von Eui-Hong Park sowie
Vito urajs „Reflections“ für Holzbläser,
Streicher und Cembalo bildeten so den Rahmen für die fünf
kleiner besetzten übrigen Werke. Während Park in stimmungsvoller
und inniger Art einen Hang zu neuromantischen Tönen zeigte,
spielte bei uraj mehr die mathematische Beschaffenheit
des Materials eine Rolle, hörbar in komplexen Rhythmen und
oft nur vorbeihuschenden Tontrauben. Das souveräne Dirigat
Eva Fodors und die barocke Aufstellung des intensiv musizierenden
Ensembles erwiesen sich da als wesentliche Garanten für
Zusammenhalt und Wirkung der „Reflections“. Im Sinne
einer kritischen Reflektion näherte sich auch Birke J. Bertelsmeiers
grellböses „Pandämonium“ für Violine
und Harfe kurz vor der Konzertpause dem Kosmos der Kammermusik,
um auf eindrucksvoll gnadenlose, Instrument und Musiker bis zum äußersten
reizende Weise mit dem biederen Image der Besetzung abzurechnen.
Im zweiten Teil gab sich Luke Styles Streichtrio versöhnlicher
mit traditionellen Gattungsmerkmalen, was besonders ohrenfällig
wurde durch die kunstvolle Verarbeitung motivischer Bausteine
und vor allem das plastische Dialogisieren von Violine, Viola
und Cello.
Von den Solowerken hatten „Antwort ohne Antwort“ des
Südkoreaners Dohun Lee und Matthias Ockerts „Strombahnen“ die
Gemeinsamkeit, jeweils eines „Anderen“ zu bedürfen – im
ersten Fall die Auffächerung einer wabern-den Trompetenlinie
durch das Spiel in den geöffneten Flügel hinein, im
letzteren durch elektroakustische Mittel, die ein geräuschvolles
Wechselspiel zwischen E-Gitarre und Technik erzeugten. Beide
Werke blieben freilich seltsam effektbetont, zumal wenn man sie
mit „Si“ des Chinesen Wang Jue vergleicht. Diese
Musik für Violoncello, meditativ im Gestus und nur mit wenigen,
gezupften Tönen auskommend, reichte über eine bloße
Imitation des chinesischen Volksinstruments „Gu-Qin“ weit
hinaus. Denn hier in der Interpretation von Wolfgang Sellner
konnten die Zuhörer für einen Moment den gängigen
Gewohnheiten eines westeuropäisch geprägten Konzertwesens
entfliehen und ganz die Wirkung der Töne – fast mehr
noch: der Pausen! – miterleben, kraft derer Sellner musikalisch
den Raum aufspannte. In „Si“ spiegelte sich so im
Kleinen die Idee des Ganzen, nämlich mit wenigen, wohldurchdachten
Impulsen ein breites Spektrum dessen aufzuzeigen, was Musik sein
kann. Ein spannendes Erlebnis, das Lust macht auf Ideen der Neuen
Musik – auch und gerade fernab des gewohnten Konzertgerüsts.
Felix Werthschulte
Felix Werthschulte studiert im 5. Semester Musikwissenschaft
(B.A.) an der
TU Dresden.
Bohrgeräusche, Echos und böse Geister
Musikjournalismus und Neue Musik: Konzertkritik Nummer drei
Bohrgeräusche, diffuses Echo und böse Geister aus der
Mythologie: Das Konzert anlässlich der Tagung „Musikjournalismus
und Neue Musik“ in der Musikhochschule Karlsruhe gab Einblicke
in die Arbeit und Experimentierfreudigkeit der Kompositionsschüler
Wolfgang Rihms. Sieben junge Musikschöpfer präsentierten
sieben ganz junge Werke, die den Tagungsteilnehmern zahlreiche
Facetten der Neuen Musik vor Augen und Ohren führten.
Eröffnet wurde der Konzertabend von Eui-Hong Parks „Sextett“,
der Vertonung eines Bibelzitats. Im Stück „SI“,
was sowohl „Tod“ als auch „Gedanke“ bedeutet,
ließ der Komponist Wang Jue ein Violoncello den Klang des
alten chinesischen Instruments „Gu-Qin“ nachahmen.
Dazu wurde der gesamte Raum abgedunkelt, sodass nur die Notenständerlampe
den Solocellisten wie ein Spot beleuchtete. Verbunden mit einer
andauernden Stille, in der der Cellist regungslos und das Publikum
mit wachsender Spannung auf den ersten erklingenden Ton warteten,
ergab sich eine beinahe meditative Stimmung. Ein einzelnes gezupftes
G eröffnete nach einer Weile eine Reihe weiterer, sich teilweise
wiederholender Einzeltöne. Wie bei einem Windspiel, das von
einem leichten Hauch zum Klingen gebracht wird, floss die Musik
dahin, ohne auf einen Spannungsaufbau hinzuzielen. Die Assoziation
eines fernöstlichen Gartens schwang mit jedem neuen Ton, jedem
neuen Glissando mit. Die Klänge umkreisten sich selbst und
schienen kein Ende zu nehmen. Dohun Lees Stück dagegen war
mit drei Minuten Aufführungsdauer das kürzeste der dargebotenen
Werke. Der Titel „Antwort ohne Antwort“ bezog sich
auf den griechischen Mythos von Echo und Narziss, der im Wasser
nur sein eigenes Spiegelbild erkennt und vom Kontakt zu anderen
Lebewesen abgeschnitten ist. Die fortwährenden Rufe des Narziss
gab ein Trompeter wieder, der in den Resonanzkörper eines
Flügels blies und so ein Echo erzeugte. Die Pianistin hatte
dabei die einzige Aufgabe, das Pedal durchzutreten. Dadurch wurde
der diffuse, verschwommene und klagende Widerhall erst möglich,
mit beeindruckender Wirkung. Mythologie stand auch im Zentrum des „Pandämonium“ von
Birke Bertelsmeier. Sie komponierte das Stück für Harfe
und Geige mit der Intention, klangliche Möglichkeiten außerhalb
der klischeehaften Besetzungsvorstellung zu demonstrieren. Nach
scharf angerissenen Pizzicati bis zur Gänsehaut-Grenze, gespenstischem
Sul Ponticello der Violine und nachschnarrenden Harfensaiten, die
eher an Bohrmaschinen und Autohupen als an ein „himmlisches
Instrument“ erinnerten, war von weihnachtlichen oder engelsgleichen
Assoziationen tatsächlich nichts mehr geblieben. In der zweiten
Konzerthälfte ließen die Künstler Matthias Ockert,
Luke Styles und Vito uraj ihre Kompositionen „Strombahnen“, „Trio“ und „Reflections“ folgen.
Eine Überraschung nach Abschluss des Konzerts war die Darbietung
einer Pa-rodie von Georg Kreisler auf den Musikkritiker, nach
zwei Stunden Neuer Musik ein humorvoller Ausgleich.
Antonia Bruns
Antonia Bruns studiert im 1. Semester „Musikjournalismus
für Rundfunk und Multimedia“ (B.A.) beim LernRadio
der Musikhochschule Karlsruhe.
kommentar
Die Tagung aus Sicht einer Teilnehmerin
Als ich den Velte-Saal betrete, der als unser Kammermusiksaal
eigentlich stets mit akkuraten Stuhlreihen versehen ist, ergibt
sich ein
anderes Bild als gewohnt: In Grüppchen sitzen die Fachleute
um Tische und unterhalten sich angeregt. Dass die anwesenden
Komponisten, Journalisten und Musikwissenschaftler nicht immer
einer Meinung sind, wird mir bereits in den Eröffnungsreden
klar: Es geht um die Fragen „Braucht Kunst Kritik?“ und „Braucht
Kritik Kunst?“. Hier halten sich die schaffende und die
kritisierende Zunft gegenseitig den Spiegel vor. Es sprechen:
Markus Hechtle, Komponist, sowie Dr. Lydia Jeschke (Musikjournalistin,
SWR) und Gerhard R. Koch (Musikkritiker, FAZ).
Obwohl Hechtle in seiner Rede relativ klar erläutert, dass
Künstler unabhängig von Kritik sein sollten, sind bei
der Tagung insgesamt erstaunlich viele Komponisten anwesend – allen
voran Wolfgang Rihm mit seiner Kompositionsklasse. In diversen
Gesprächen und Diskussionsrunden stellt dieser sein rhetorisches
Geschick unter Beweis, berichtet unter anderem, eine negative Kritik
inspiriere ihn häufig mehr als eine wohlwollende, ebenso wie
er durch gute Werke anderer Künstler dazulerne und in dem
Sinne die Kunst als Kritik an der Kunst erfahre.
Am Donnerstag Abend präsentierten sieben Kompositionsschüler
Rihms dem kritikfreudigen Publikum Stücke aus der „laufenden
Produktion“. Trotz des nachmittäglichen Workshops
mit Dr. Reinhard Schulz (nmz) zum Thema „Konzertkritik“ bin
ich nicht wirklich darauf vorbereitet, was es heißt, eine
Kritik zu schreiben. Wenn ich gleichzeitig schreibe, kann ich
gar nicht mehr richtig zuhören: Obwohl ich als Frau selbstverständlich
multitaskingfähig bin, unterbricht jeder Griff zum Kugelschreiber
die Musik in meinem Kopf. Nachher allerdings bin ich dankbar
für
meine gekrakelten Notizen wie „vielschichtiger Klangcharakter“ oder „fragile
Intimität“. Die größte Hilfe leisten mir
allerdings die Komponisten selber, die mir nach dem Konzert bei
einem Glas Bier milde gestimmt (fast) sämtliche Kompositionskonzepte
verraten.
Fazit: Kunst braucht vielleicht keine Kritik, aber Künstler
und Kritiker können sich unter Umständen ganz gut verstehen!
Annette Börger
Annette Börger studiert im 3. Semester „Musikjournalismus
für Rundfunk und Multimedia“ (B.A.) beim LernRadio
der Musikhochschule Karlsruhe.