Eine erwünschte Zumutung weniger: bedauerlicherweise
Zum letzten Festivalprogramm von Manfred Reichert und seinem
Ensemble 13 in Karlsruhe
Schon allein der Titel erregte Aufmerksamkeit: „Zum letzten
Mal Ensemble 13/Manfred Reichert“ prophezeite das Programm,
so dass klar wurde: Eins hängt mit dem anderen zusammen, getrennt
voneinander können Manfred Reichert und das 1973 von ihm ins
Leben gerufene und geleitete Karlsruher Ensemble 13 nicht existieren.
Beim
Abschied: Manfred Reichert und das Ensemble 13. Foto: ONUK
Was hat zu Reicherts Entscheidung geführt? Zunächst nichts
Spektakuläres: Reichert zieht sich mit 65 Jahren einfach etwas
aus dem beruflichen Leben zurück. Das ist normal für
den Professor für Neue Musik an der Johannes Gutenberg-Universität
in Mainz, keineswegs aber für den beharrlichen und engagierten „Zumuter“,
wie ihn der Karlsruher Kulturbürgermeister Ullrich Eidenmüller
anlässlich seiner Verabschiedung nannte. Reichert entwarf
durch lange Jahre eigenwillige Festprogramme Neuer Musik, machte
Morton Feldman oder Giacinto Scelsi zum Thema, „komponierte“ Werkprogramme
und reagierte 2004 mit „Jetzt wohin? Eine Reise nach Concord“ auf
politische und gesellschaftliche Strömungen, in diesem Fall
auf den kulturellen Dialog zwischen den Vereinigten Staaten und
Europa.
1981 startete Reichert, damals noch Rundfunkredakteur, die Festivalreihe
in Karlsruhe mit der ersten „Wintermusik“. Die „Musik
auf dem 49.“ schloss sich wenig später an, der Name
ein Hinweis auf die geographische Lage Karlsruhes auf dem 49. Breitengrad.
Schon Anfang der 80er-Jahren traf Reichert den Kulturreferent der
Stadt, Michael Heck, der sich für die experimentellen Versuchsanordnungen
Neuer Musik begeisterte und fortan das Ensemble unterstützte.
Auf dieser Grundlage konnte Reichert schon bald Träume von
einem „Musik Center Karlsruhe“ hegen, die sich später
zum Zentrum für Kunst- und Medientechnologie, dem ZKM verdichten
sollten. 1985 wurde Reichert der erste Projektgruppenleiter des
ZKM. Gemeinsam mit dem ersten früh verstorbenen Leiter Heinrich
Klotz gehört er zu dessen Gründungsvätern.
Seit dem Einzug in den Hallenbau 1997 war das ZKM die Wirkungsstätte
des Ensemble 13 unter Manfred Reichert. Nun geht er also, gemeinsam
mit dem Ermöglicher Michael Heck, der das Kulturreferat Ende
des Jahres abgibt, und Ullrich Eidenmüller, der im März
2008 aufhören wird.
Die letzte „Wintermusik“ des Ensemble 13, so Reicherts
Wunsch, sollte „ohne Lamentieren“ vonstattengehen,
das Programm eines in der bewährten Art ohne besonderes Abschiedsspektakel
sein. Aber er selbst sorgte dafür, dass dies zumindest am
ersten der drei Abende nicht gelang. Beim Rückblick auf über
25 Uraufführungen, darunter viele Werke des Freundes und musikalischen
Wegbegleiters Wolfgang Rihm, übermannte Reichert die Wehmut.
Das erste Programm behielt noch eine Konzertform bei. Reichert
hatte Rihms verhaltene Walzer für Klavier vierhändig
im Wechsel gegen Schuberts fein ziselierte Deutsche Tänze
gesetzt. Gegen Ende der Uraufführung von Rihms „verabschiedendem
Walzer für Manfred Reichert“ setzte der Widmungsträger
seine Abdankung ins Bild und verließ die Bühne.
Anders die beiden folgenden Abende, an denen sich die Szenen ausschließlich
im Kopf abspielten: Gemeinsam mit Hans-Christian von Dadelsen hatte
Reichert unter dem Titel „Von der Wirklichkeit hinter den
Grenzen“ collageartig Musik des 20. Jahrhunderts in kurzen,
zum Teil elektronisch verfremdeten und zugespielten Ausschnitten
kombiniert, solchermaßen rein imaginäre Bilder erzeugt
und gleichzeitig noch einmal seine Arbeit in der Karlsruher Musikszene
beleuchtet.
Reichert hat keinen Nachfolger für seine Festivalprojekte.
Sein Ensemble 13, die ganzen Jahre hindurch ein freies, von keiner
Institution unterstütztes und von ihm und den Musikern gemeinsam
getragenes Projekt, löst sich nach seinem Weggang auf. Karlsruhe
ist um eine Zumutung ärmer geworden.