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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 6
56. Jahrgang | Dez./Jan.
www.beckmesser.de
Hoch bezahlte Kreative
Zu den auffälligsten Veränderungen, die sich auf dem
Feld der Neuen Musik in den letzten Jahren vollzogen haben, gehört,
neben dem Vormarsch der Elektronik in Komposition und Interpretation,
die immer aufwändigere Werbung. Massendruck und Versand von
bunten Flyern und ganzen Festivalzeitungen, grafisch auffällige
Programmbücher und multimediale Internetauftritte gehören
inzwischen zur Tagesordnung bei einem Neue-Musik-Festival, das
etwas auf sich hält.
Das hat zweifellos seine Richtigkeit. Wenn mit der Losung „Neue
Musik raus aus der Nische!“ ernst gemacht werden soll, muss
die Nachricht von ihrer Existenz erst einmal verbreitet und das
Interesse der potenziellen Hörer geweckt werden. Und die Scharen
von Hochschulabsolventinnen und -absolventen, die mit einem Bachelor
in Kulturmanagement, Kommunikationswissenschaft oder Musikjournalismus
jährlich auf den Arbeitsmarkt gespült werden, wollen
ja auch irgendwie beschäftigt werden.
Der Markt der Neuen Musik expandiert. Er ist zwar extrem kapitalschwach,
doch kräftige Subventionen halten die großen und barmherzigen
Gaben die kleinen Veranstalter am Leben. Das hat den Nebeneffekt,
dass die Geldgeber ihr Logo angemessen, das heißt in öffentlichwirksamer
Weise präsentiert sehen wollen. Irgendein Zettel, hergestellt
mit Word im Format A4, tut es da nicht. Da müssen schon Quark
Express und Vierfarbendruck her. Zudem steigt mit wachsender Konkurrenz
die Notwendigkeit, sich in der Öffentlichkeit von anderen, ähnlichen
Unternehmungen zu unterscheiden. Die Veranstaltung muss, wie es
in der Werbesprache heißt, ein klares Erscheinungsbild besitzen,
wiedererkennbar sein und ihr Alleinstellungsmerkmal optimal kommunizieren.
Ein klarer Fall für die Werbeagentur.
In den Veranstalterbudgets hat damit eine tief greifende Umschichtung
stattgefunden, bedingt durch die Marktmechanismen, denen sich die
aus der Nische befreite Neue Musik ausgesetzt sieht. Von den Konten
der künstlerischen Leistungen fließen die Mittel ab
auf die Werbekonten. Ein Fünftel des Budgets für die
PR-Arbeit dürfte heutzutage schon ein Minimum darstellen.
Früher wurde an den Kulturinstitutionen zu Recht kritisiert,
dass ihr interner Verwaltungsaufwand im Vergleich zu den unmittelbaren
künstlerischen Produktionskosten
zu hoch sei. Die Verwaltungen wurden inzwischen verschlankt, das
heißt Personal entlassen. Was mit den frei werdenden Mitteln
passiert ist, wenn sie nicht einfach gestrichen wurden, wäre
eine Untersuchung wert. Vermutlich sind sie nicht in die Projektarbeit
geflossen, womit sich aus künstlerischer Sicht unter dem Strich
nicht viel geändert hätte. Was früher die Bürokratie
verschlang, schluckt heute die freie Werbewirtschaft – das
ganze Heer der Agenturen, Öffentlichkeitsarbeiter und Vermittler.
Die künstlerisch unproduktiven Ausgaben sind einfach outgesourct
worden. Doch „Werbung“ klingt besser als „feste
Personalkosten“, erzeugt Mehrwert und ist fortschrittlich.
Der Markt hat die Bürokratie abgelöst.
Natürlich wird auch in den neuen Verhältnissen eifrig
Kapital vernichtet. Nicht durch unproduktiv herumsitzende Verwaltungsangestellte,
sondern durch die vielen ebenso teuren wie überflüssigen
Informationen, deren Hauptzweck es ist, das Werbehonorar zu rechtfertigen,
indem für die „repräsentativen Informationsträger“ eine
möglichst große Reichweite ausgewiesen wird. Doch dabei
dürfte es sich um Wunschvorstellungen wie bei der Fernsehwerbung
handeln. Die meisten dieser Werbematerialien werden vom Empfänger
einfach in den Papierkorb geworfen oder in den Trash geklickt.
An den Honoraren der Künstler hat sich derweil nicht viel
geändert. Dass sie es sind, die den ganzen Betrieb überhaupt
erst ermöglichen, wird finanziell nicht honoriert. Die paar
tausend Euro Auftragshonorar, für die ein Komponist meist
monatelang arbeitet, verdient ein PR-Fachmann im Handumdrehen.
Die groteske Umkehrung der Werte zeigt sich auch in der anmaßenden
Bezeichnung „Kreative“, die die Werbebranche, beim
genauen Hinsehen ein Parasitengewerbe, sich selbst öffentlichkeitswirksam
zugelegt hat.
Dass sich Werbung gerne selbst feiert, ist bekannt, doch ungewöhnlich
ist, dass sie diesen eigennützigen Metadiskurs nun auch auf
dem Buckel der Neuen Musik führt. In der Werbemail eines Festivals
war neulich die stolze Rede von einem Preis, den es erhalten habe.
Es war aber kein Preis für ein besonders intelligentes Programm
oder eine außerordentliche Aufführung, sondern ein Preis
für die beste Festivalwerbung.