Die blasphemische Popgemeinde von MTV traf sich Allerheiligen
zum jährlichen Incentive der „Europe Music Awards“ in
München. Grund: Selbstbeweihräucherung. Die Gewerbesteuer
vor Augen, erklärte der Münchner OB Ude den Feiertag
für abgeschafft, das Event zur geschlossenen Veranstaltung
und damit zum Kegelabend der Musikbranche. Nun, Dramatik ist
anders. Bedenklich dagegen: Die Publikumauswahl des Senders für
die Kameraplätze vor der Bühne. Per Casting!
Sie lesen richtig. Erst forderte MTV sein minderjähriges Auditorium
auf, im online-Voting die elterliche Flatrate zu versenken. Dann
aber müssen die Wähler wie die Hündchen bei IKEA
draußen bleiben. Gnadenlos designt sich MTV sein Publikum:
Jung, telegen und senderkompatibel. Und brüllen muss es wollen.
Nicht aus Überzeugung, sondern nach Aufforderung. Motto des
Castings: Wer schreit ist drin. Es gilt den weltweiten Sponsoren
Glaubwürdigkeit bei der Zielgruppe vorzugaukeln. Dass es tatsächlich
noch so stumpfe Gesellen gibt, die auf Zuruf die Arme nach oben
reißen und schreien, ist die eigentliche Überraschung.
Man stelle sich vor, diese Art der Gesichtskontrolle macht Schule.
Sie wollen mit Mutti am strengen Türsteher vorbei in den Musikantenstadl?
Kein Problem. Sie sollten aber möglichst auf Krücken
kommen und debil sabbern. Besser noch: Im Rollstuhl vorfahren.
Mehr als eine Flasche Underberg während der Show darf es dagegen
nicht sein. Sie sind es dem Sender nämlich schuldig, beim
abschließenden Einmarsch der Volksmusikhelden aufzuspringen
und charakterfest mitzuklatschen. Und vergessen Sie nicht: Altdeutsches
Liedgut ist auf Senderbefehl jederzeit vorzuweisen. Anspruchsloser
wird es bei Johannes B. Kerner. Heucheln Sie beim Bewerbungsgespräch
Betroffenheit und Halbwissen vor. Ein akkurat gefönter Mittelscheitel,
eine aufgebügelte Sozialpädagogen-Jeans und ein Cord-Sakko
mit abgewetzten Ellenbogen erhöhen die Einlasschancen erheblich.
Seien Sie allzeit bereit zu flennen, seien Sie politisch korrekt
und lassen Sie zwischen Ihnen und ihrer City-Hostess aus dem Club „Elite“ ein
behagliches Ehepaar postieren. Big Schwiegermutter is watching
Kerner.
Verleugnerisch wird es, wenn Sie Ihre Sprösslinge zum Publikums-Casting
für „Popstars“ oder „DSDS“ schicken
möchten. Hinderlich: Fließendes Deutsch. Hilfreich:
Gebrochenes Deutsch im MTV-Dialekt sowie Verbalinjurien. Ihre Kinder
sollten den Schneid haben, Jurymitglieder schon mal als „Schlampen“, „Vollspacken“ oder „verkackte
Sonderschulpiraten“ zu beschimpfen. Wichtig: Im Bewerbungsbogen
unbedingt Hauptschule als Schulabschluss angeben und unter Berufswunsch „Pilot
oder mindestens Arzt“ eintragen. Beherzigen Sie diese Anweisungen
und der Satz „Heute nur für Stammgäste“ wird
Ihnen nie mehr begegnen.