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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 11
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Forum
Schule der Zukunft durch Bewusstseinswandel
Leserbrief zu Theo Geißlers Leitartikel „Hauptsache
Musik“, VDS-Beilage nmz 11/07, Seite 1
Ich lese/höre seit langer Zeit – meist mit größter
Empathie – Ihre kritisch-engagierten Kommentare zum Kultur-,
Musikstandort Deutschland. Bezüglich Ihrer Kolumne (Hauptfach
Musik) in oben genannter nmz-Ausgabe möchte ich mir aber doch
ein paar kritische Anmerkungen erlauben. In meiner Tätigkeit
als Musiklehrer/Seminarleiter an einem Regensburger Gymnasium,
als Dozent an der Uni Regensburg im Mupäd-Bereich und schließlich
auch noch als aktiver Musiker und Komponist beschäftige ich
mich zwangsläufig fortwährend mit genau den von Ihnen
angesprochenen Aspekten.
„
... im Stich gelassen von Hochschulen und Unis, deren Curricula
noch fest im Zeitgeist des vergangenen Jahrhunderts ... sinnlos
gehetzt, ausgebrannt.“ Für mich steckt hierin ein Widerspruch
in sich: Welchen – hinsichtlich musikpädagogischer Belange
relevanten – Zeitgeist hätten denn die acht Jahre des
neuen Jahrhunderts hervorgebracht, für den es sich lohnen
würde, das Ausbildungsprofil einer Fakultät oder auch
die eigene pädagogische Position als ästhetisch offener
und neugierig gebliebener Schulmusiker grundlegend zu ändern?
Man möge sich das „Curriculum“ der Schulmusikerausbildung
beispielsweise an der Uni Regensburg anschauen, um zu sehen, dass
nicht primär die Ausbildungsplattform mit Ihrem
Angebot das Problem darstellt. Vielmehr sind es die späteren
Arbeitsbedingungen in Kombination mit den gesellschaftlichen Erwartungen
oder besser Nicht-Erwartungen an das Schulfach Musik.
Dieses Fach
wird immer weniger mit der von Ihnen angesprochenen Herzensbildung
und immer mehr mit dem Zwangskorsett der leistungs-
und input-orientierten Lernfabrik verknüpft. Seit G8 akkumuliert
diese Situation. Trotz der strangulierenden Wirkung gibt es an
vielen Schulen immer noch/immer neue engagierte und im musikalischen
Jetzt lebende Schulmusikerinnen, die genau den von Ihnen formulierten
Prämissen entsprechen könnten, wenn sie nur dürften.
Stundenkürzungen im Wahlbereich und Verweigerung von Schülern/Eltern, über
das Pflichtmaß hinaus an der Schule zu „leben“ sind
hier zwei Gesichter derselben Sache. Letzteres ist auch bedingt
durch den Überlebenskampf der Musikschulen, die zumindest
teilweise ihr Heil in der Abwertung des Musiklebens an allgemeinbildenden
Schulen suchen ... und eigene Angebote qualitativ darüber
ansiedeln, zum Teil mit dem banalen Argument: „Was nix kostet,
taugt auch nix.“
„
... gesundes Selbstbewusstsein, fußend auf solider eigener
Bildung ...“ Sie haben ja so recht! Das Problem ist nur,
dass auch die heutigen Lehramtsanwärter schon mit ganz anderen
Erwartungen, Ansprüchen an sich selbst und oft auch geringerem
Neugierdepotential die Ausbildung beginnen und beenden. Unser Schulsystem
(was muss ich, was kann ich lassen ...) leistet hier ganze Arbeit.
Als Dozent kommt man sich manchmal endlos hilflos vor, wenn Orfeo,
Beethovens Erste, Don Giovanni, Wozzeck, So what, Steely Dan und
Lachenmanns „Mädchen ...“ gleichermaßen
ratlose Mienen hervorrufen und vor allem die Frage aufwerfen: Brauchen
wir das alles in der Schule... Dieses Problem hängt nicht
primär mit dem Ausbildungsangebot zusammen... leider, denn
dann könnte man es ändern!
Und zu guter Letzt noch eine Anmerkung zum Projekt mit Markus
Hechtle: Es ist verständlich, dass Sie sich von den Ergebnissen begeistern
lassen, enttäuschend aber, dass Sie in derartigen Projekten
die Schule der Zukunft vermuten wollen. Diese ließe sich
nur verwirklichen, wenn auf Hechtle Henze, Widmann, Eggert, Riessler,
Brönner, Rattle ... folgen. Dies ist, wie wir wissen, eine
Utopie, vor allem deshalb, weil die Situation ja auch auf andere
Fächer übertragen werden müsste...
Lassen Sie aber Sting ein Schuljahr lang 29 Stunden Klassenunterricht
machen, wird er bald nicht mehr Resonanz als jeder andere charismatische
und kompetente Schulmusiker erzeugen ... vorausgesetzt, er kann
noch aufrecht gehen ... vom vermuteten Verschleiß vieler
anderer Workshopstars mal ganz abgesehen. Die Methoden und Inhalte
dieser „Stars“ sind bekannt und könnten durch
kompetente und engagierte Lehrer Alltag werden, vorausgesetzt,
die Zeiträume dafür würden auch zum Alltag. Ich
weiß aus eigener Erfahrung, wie unterschiedlich man als Fortbildungsreferent
und als Klassenlehrer wahrgenommen wird, es genügt oft gar
schon die Vertretungsstunde in einer unbekannten Klasse ...
Die Schule der Zukunft kann meiner Meinung nach nur durch grundlegenden
Bewusstseinswandel in Sachen Kultur entstehen. Davon aber sind
wir weit entfernt.
Florian Heigenhauser, Regensburg
Komponist Markus Hechtle in der Schule auf www.nmzmedia.de