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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 12
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Nachschlag
Frohe Botschaft
An Weihnachten ist alles wieder gut. So reden wir es uns jedenfalls
ein. Die Kinder sind lieb und singen gern die von der Mutter
angestimmten Lieder mit (obwohl sie im Geiste schon bei den neuen
Computerspielen sind), der größere Sohn bedankt sich
höflich für das Abo beim ansässigen Sinfonieorchester
(obwohl ihm ein iPhone lieber gewesen wäre, aber das muss
er sich nun halt vom geschenkten Geld selber besorgen). Frieden
wird für einige Stunden geschlossen und dann geht es wieder
durch die Tretmühlen des Alltags – bis zu den nächsten
Weihnachtstagen.
Kinder haben, und das ist ihr gutes Recht, ein ganz anderes Verständnis
von Kultur, als es die Elterngeneration wahrhaben möchte.
Was ist Beethoven gegen Kurt Cobain, was ein Schubert-Quartett
gegen einen Song der Ärzte? Mit Schuld an dieser Einseitigkeit
ist vornehmlich die ältere Generation. War es nicht so, dass
noch vor zwanzig Jahren immer wieder, bevorzugt in der Faschingszeit,
mal das schlechte Gewissen mahnte? Etwa so: Wir müssen etwas
für den Nachwuchs tun! Und die Antwort: Was hatten wir denn
letztes Jahr? Ach ja, Peter und der Wolf! – Nun gut, dann
machen wir diesmal Karneval der Tiere. Und in diese meist von der
Lüge über die zentrale Position der Kinder ummantelten
Veranstaltungen, die oft noch das Kindchenschema als besondere
Zuwendung kredenzten, schleppte man seine in Bluse, Rock oder Anzug
gequälten Jüngsten – also dem festlichen Akt angemessen.
Danach stellte sich das Gefühl von Pflichterfüllung,
gar von Übererfüllung ein, denn die Nachbarn mit ihren
zwei Kleinen habe man in dem pädagogisch besonders wertvollen
Konzert nicht gesehen.
Nun nähern wir uns ja wieder Weihnachten, wo bekanntlich alles
gut ist. Diesmal aber wirklich mit einer frohen Botschaft. Denn
das Pingpong-Schema zwischen Peter und dem Karneval hat in den
letzten Jahren Konkurrenz bekommen: Es ist eine, die die Kinder
wirklich ernst nimmt und ihnen nicht falsche kulturelle Welten
vorgaukelt (nichts gegen die beiden schönen Stücke, das Übel
ist die Ideenlosigkeit der Veranstalter). So hat zum Beispiel vor
knapp zwei Jahren der Komponist Klaus Lang mit „Der rote
Spiegel“ ein Stück für Kinder geschrieben, das
wirklich herausfordert. Und es wurde inzwischen in Innsbruck und
Wien wieder aufgenommen und wandert jetzt nach München. Ein
weiteres Beispiel sind die Education-Projekte der Berliner Philharmoniker
(Zukunft@BPhil), die die Oboistin und Komponistin Cathy Milliken
betreut. Auch hier: Kein Kindchenschema mehr, sondern ernsthafte
Auseinandersetzung, die die äußerste Kreativität
nicht zuletzt der betreuenden Kräfte verlangt. Kinder entwickeln
ihre Stücke selbst, sie erfinden Klänge zu Texten und
vergleichen sie mit dem dazu Erfundenen von Anton Webern, sie erfinden
Rhythmen und Bewegungen zu Musik von Varèse, Birtwistle
oder Heiner Goebbels. Die Neue Musik ist also keine Hemmschwelle,
sondern in ihrer (kindähnlich?) unvoreingenommenen Art bestes
Transportmittel. Und wenn sich diese Kinder unter dem Weihnachtsbaum
weigern, „Ihr Kinderlein kommet“ zu singen, dann wohl,
weil sie schon viel weiter sind.