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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 17
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Kulturpolitik
Selbstverantwortung junger Musiker fördern
Hans-Herwig Geyer, Präsident der Jeunesses Musicales, im Gespräch
mit der neuen musikzeitung
Mit einer Satzungsänderung, die für eine breitere demokratische
Basisarbeit im Verband und für eine intensive Beteiligung
insbesondere junger Verbandsmitglieder sorgen soll, geht das soeben
neu gewählte Präsidium der Jeunesses Musicales Deutschland
(JMD) in eine neue „Legislaturperiode“. Hans-Herwig
Geyer wurde von den Delegierten als Präsident bestätigt.
Andreas Kolb sprach mit ihm über die strategische Weichenstellung
der JMD in den nächsten drei Jahren.
neue musikzeitung: Bevor wir über die Zukunft des Verbandes
reden: Sie sind seit drei Jahren Vorsitzender der JMD und haben
seinerzeit eine Umstrukturierung der Vorstandsarbeit mit verantwortet.
Wie hat sich diese Arbeitsform bewährt – und welches
waren die Schwerpunkte in Ihrer ersten Amtszeit? Hans-Herwig Geyer: Wir haben im Jahr 2004 einen Geschäftsführenden
Vorstand etabliert, der in enger Abstimmung mit dem Generalsekretär
das Tagesgeschäft der JMD durchführt und Entscheidungen
für den Gesamtvorstand vorbereitet und vorantreibt. Dessen
Sitzungen können dadurch ausschließlich für strategische
Diskussionen, inhaltliche Weichenstellungen und wichtige Entscheidungen
genutzt werden. Dieses Zusammenspiel von effizientem Management
und Strategiekompetenz hat sich für unsere Zukunftsausrichtung
als sehr erfolgreich erwiesen.
So haben wir inzwischen eine Reihe von attraktiven Projekten für
unsere Mitgliedsorchester entwickelt. Diese sind exemplarisch sichtbar
an der Initiative „tutti pro“, die zahlreichen Patenschaften
unserer Mitgliedsorchester mit Berufsorchestern den Weg geebnet
hat. Wir haben der Musikalischen Bildungsstätte in Weikersheim
als Musikakademie mit einem kompetenten Fachleiter eine dynamische
Zukunftsperspektive gegeben und als „World Meeting Center“ international
neu positioniert. Wir haben das dringend notwendige Fundraising
verbessert und eine eigene Stiftung gegründet, die bereits
erste Früchte trägt. Neben diesen Fortschritten ging
und geht es aber auch stets um die zukunftsorientierte Stärkung
von Strukturen und Arbeitsweisen unseres Verbandes.
Das
neu gewählte JMD-Präsidium (von links nach rechts):
Sönke Lentz, Tobias Schröter, Barbara Haack,
Andreas Schultze-Florey, Claudia Klemkow-Lubda, Stefan
Piendl, Hans-Herwig Geyer, Konstanze Sander. Foto: JMD
nmz: Die neue Satzung sieht eine
größere Beteiligung
der persönlichen und korporativen Mitglieder an der Verbandsarbeit
vor. Wie sieht das konkret aus und was versprechen Sie sich davon? Geyer: Die Mitglieder der JMD sind Jugendorchester
und junge Musiker beziehungsweise engagierte Fördermitglieder. Sie alle sind
direkt im Bundesverband Mitglied. Mit der Abkehr vom bisher geübten
Delegiertenprinzip brauchen sie nicht mehr die Hürde einer
Landesversammlung und einer Wahl zum Delegierten zu nehmen, sondern
können direkt zu Mitgliederversammlungen kommen. Wir hoffen
damit, dass ehrenamtliches Engagement durch eine größere
Unmittelbarkeit besser zu mobilisieren und zu motivieren ist.
nmz: „Jugend in die Verantwortung“ haben Sie im Rahmen
der Bundesdelegiertenversammlung der JMD gefordert. Welche Erfahrungen
haben Sie mit der Einbindung junger Menschen bisher gemacht? Gibt
es Nachwuchsprobleme? Und was bedeutet Ihre Forderung für
die zukünftige Arbeit des Verbandes? Geyer: Einer der zentralen Werte der JMD ist es,
junge Musikerinnen und Musiker in ihrer Selbstverantwortung zu
fördern, das heißt
sich selbst stark zu machen für die Ausbildung, für eigene
Aktivitäten und Projekte in der Jugendorchesterarbeit. Wir
haben ein spezielles Seminar entwickelt, „Mitverantwortung
im Jugendorchester“, das sehr gut angenommen wird und junge
Menschen für Führungsaufgaben im Orchester fit macht.
Wir finden hierbei, aber auch in Projekten wie in unserem Deutschen
Jugendorchesterpreis, engagierte Musiker, die wir für die
Mitarbeit im Verband gewinnen können – sei es nun in
Arbeitsgemeinschaften oder in Gremien. Auch unsere Vorstandsentwicklung
ist für diese Zielrichtung ein Beispiel. Die JMD soll sich
mehr und mehr von einem Verband für junge Musiker zu einem
Verband von jungen Musikern entwickeln.
nmz: In Zeiten der Globalisierung
muss es einem internationalen Musikverband auf der einen Seite
darum gehen, die Völkerverständigung
und Begegnung zu befördern, auf der anderen Seite auch die
kulturelle Vielfalt in der Welt zu bewahren. In welchem Spannungs-
und Aufgabenfeld sieht sich hier die JMD? Geyer: Ich sehe hier überhaupt kein Spannungsfeld. Das inzwischen
durch die JMD auch in Deutschland weithin bekannt gewordene Beispiel
Venezuela – ein Land, in dem man mit Musikausbildung ganz
anders umgeht als bei uns – zeigt sehr gut, dass kulturelle
Identität nur in einer völkerverständigenden Begegnung
wirksam wird. Als „World Meeting Center“ unseres Weltverbandes
werden wir an diesem Ziel weiterarbeiten, so etwa schon im nächsten
Jahr mit der Einladung des arabisch-jüdischen Jugendorchesters
der JM Israel oder der geplanten Unterstützung eines Musikbildungsprojekts
in Kenia. Seit neuestem arbeiten wir auch eng mit dem Zentrum für
Weltmusik der Universität Hildesheim zusammen. Musik als Mittel
der Völkerverständigung ist nicht allein wichtig im internationalen
Netzwerk, sondern auch in einer multikulturellen Gesellschaft im
eigenen Land.
nmz: Musikpädagogische Arbeit auf hohem Niveau für angehende
junge Musiker gehört zu den Schwerpunkten der JMD. Wie sehen
Sie hier die Anforderungen an eine hochschulergänzende Aus-
und Fortbildung? Was kann die JMD dabei leisten? Geyer: Die JMD war schon immer dafür bekannt, dass sie innovativ
und kreativ die traditionellen Angebote der Musikausbildungsinstitute
ergänzen konnte. Immer noch sind die Probespieltrainings,
der Internationale Opernkurs oder der Internationale Kammermusikkurs
Schloss Weikersheim hervorragend nachgefragte Ausnahmeangebote.
Ich denke, dass unser Kursprinzip mit seiner hohen Intensität
der Auseinandersetzung mit der Materie, mit dem besonderen spiritus
loci von Weikersheim und vor allem in der Zusammenarbeit mit erstklassigen
Dozenten wie zum Beispiel dem Artemis Quartett auch künftig
besonders wertvolle Beiträge leistet. Ziel der JMD bleibt
es auch hier, neue, „unerhörte“ Zugänge zur
Musik aufzuzeigen, die letztlich mehr Lebendigkeit und Authentizität
bewirken.
nmz: Dadurch, dass Studiengebühren projektgebundene Mittel
sind, werden Musikhochschulen in Zukunft stärker als Konkurrenz
zum Angebot der Jeunesses Musicales auftreten. Was für Maßnahmen
will die Jeunesses dagegen ergreifen? Geyer: In der Tat zieht der Staat mit den Studiengebühren
freie Finanzkraft der Studierenden ab, die nicht mehr für
Kurse zum Beispiel der JMD zur Verfügung steht. Und in der
Tat bieten staatliche Hochschulen mit diesem Geld vermehrt Kurse
selbst an. Ein „Dagegen“ ist aber nicht die angemessene
Denkrichtung, sondern intelligente Formen der Kooperation und des
Marketing. Für beides sind wir offen. Je näher wir mit
unseren Zielgruppen selbst kommunizieren können, desto eher
sehen wir deren Bedürfnisse, desto mehr können wir ihnen
als JMD die Chance geben, ihre Angebote selbst zu kreieren: „Kurse
on Demand“ könnte man ein solches Konzept nennen.
nmz: Zur vielbeschworenen Krise
der klassischen Musik: Wo sucht und wo findet die Jeunesses strategische
Partner, mit denen gemeinsam
sie über die Bildungsarbeit hinaus kulturpolitisch tätig
wird? Geyer: Dass es eine Krise der Klassischen Musik
gäbe, sehe
ich so pauschal nicht. Krisen sehe ich eher auf anderen Gebieten
wie den Auswirkungen des Sozialverhaltens, der Konsumgewohnheiten,
der neuen Medienpotenziale sowie der veränderten Formen des
Engagements. Künftig müssen die Akteure im Musikleben
mehr kooperieren, um sich nicht gegenseitig zu behindern, sondern
echte Mehrwerte zu erzielen. Wir streben dies auch stets unter
dem Dach des Deutschen Musikrats an, in dem wir für noch mehr
Synergien eintreten. Ein Beispiel ist das „netzwerk junge
ohren“, das wir gemeinsam mit der Deutschen Orchestervereinigung,
der Phonoakademie und anderen Musikverbänden gegründet
haben. Es wird dazu beitragen, jungen Menschen Musik frisch und
interessant zu vermitteln, ohne sie zur Ware oder zum bloßen
fun-event herabzuwürdigen.
nmz: Welche Vision haben Sie heute
von der Jeunesses im Jahre 2020? Geyer: Unser Name wird unser Programm bleiben:
Die JMD wird der musikalischen Jugend eine Organisationsform und
zeitgemäße
Mitwirkungsmöglichkeiten anbieten. Unsere Mitglieder werden
auch im Jahr 2020 aktiv und innovativ das Musikleben in Deutschland
in besonderer Weise bereichern, vor allem dort, wo Musikvermittlung
im besten Sinne Menschen berührt.
Wir werden unsere öffentliche Förderung, die wir auch
künftig verdienen, weiter stabilisiert und ausgebaut haben.
Wir werden eine neue Qualität des privaten Förderengagements
erreicht haben, vom Community-Sponsoring bis zu privaten Zuwendungen
in unsere Stiftung. Im internationalen Bereich werden wir das weltweite
Netzwerk der JMI für einen regen Austausch junger Musiker über
alle Grenzen hinweg erschlossen haben. Der Name Jeunesses Musicales
wird also auch künftig ein Synonym für Engagement und
Sympathie im Musikleben unseres Landes sein.