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nmz-archiv
nmz 2007/12 | Seite 1
56. Jahrgang | Dez./Jan.
Leitartikel
Schrille Macht
Adventliche Redaktionssitzung: In Bayern die „staade“,
in Restdeutschland die besinnliche, friedvolle Zeit. Es mahnt die
mächtige Mitherausgeberin nachdrücklich, dieses Editorial
doch mal angemessen zu gestalten. Also sanft, positiv, frei von
Flüchen wider den Ökonomismus im Kulturbereich, wider
den grassierenden Schwachsinn eines von jeder moralischen Leine
gelassenen Kapitalismus. Stattdessen konstruktiv, mit ernsthaft
liebevoller Zuwendung für handelnde Persönlichkeiten
und Institutionen. Sanftmut – dein Name sei Geißler.
Gern.
Es läutet das Telefon. Matthias Pannes vom Verband deutscher
Musikschulen berichtet, dass in Berlin 18 Musikschullehrerinnen
und Musikschullehrer aus besonders widersinnigen, Schilda zur Ehre
gereichenden Gründen, gefeuert wurden. Da ist der Hochglanz-Verpackungsprofi
gefordert. Also: Jede Kommune ist im Grunde eine demokratisch strukturierte
Lerneinheit. Eine Labor- und Vorbereitungs-Unit für unser
Gemeinwesen der Zukunft. Und die Bundeshauptstadt geht da mit gutem
Beispiel voran. Denn wie lernt man? Durch Fehler natürlich.
Dass Klaus Wowereit als frischgebackener Kulturchef doch ein paar
Mal auf die heiße Herdplatte tatschen muss, bis es ihm nicht
mehr weh tut, beweist doch nur, dass er schon ziemlich abgebrüht
ist. Eine wichtige Charaktereigenschaft, will man heutzutage vorankommen.
Ä
hnlich Positives lässt sich vom GEMA-Vorstand berichten: Nachdem
der (in Sachen Tarifvertrag) die erste Runde im Prozess gegen ver.di
verloren hat, geht’s ab ins Revisionsverfahren. Das ist einfach
mutig. Aber man hat sich auch jede Menge zusätzliche Marketing-Kompetenz
ins Haus geholt. Sowas macht bei deutschen Richtern Eindruck. Und
wenn Bescheidenheit in der Sachkunde eine zentrale Tugend ist,
gelang mit Bettina Müller von der Burda-Stiftung als Unternehmenssprecherin
ein echter Glücksgriff: Im Aufsichtsrat befragt nach Komponisten
zeitgenössischer Musik, soll die Dame klug geschwiegen haben.
Still ist es auch um den Deutschen Musikrat geworden – ein
ausgesprochen gutes Zeichen. Nach jüngstem On-dit bemüht
sich Präsident Martin Maria Krüger dank seiner hervorragenden
Beziehungen zu einschlägigen chinesischen Provinz-Buchhaltern
höchstpersönlich um die Beseitigung der chaotischen Zustände,
die im Ambiente deutscher Musikhochschul-Repräsentanz in Peking
aufgetreten sein sollen. Dafür gibt’s sicher bald einen
Ehren-Professor. Der restliche Rat ist mit Gratulationsschreiben
und vertieftem Nachdenken über Strukturreformen derartig ausgelastet,
dass er sich um seine wesentliche Beteiligung an der maßgeblichen
Zukunftsstruktur unseres Musiklebens, der „Initiative Musik“ zur
Zeit verständlicherweise kaum kümmern kann. Das ist auch
nicht nötig. Denn in einer spektakulären Marketing-Aktion
wollen die drei Initiativ-Aktivisten Steffen Kampeter, Dieter Gorny
und Carsten Schneider als „Heilige Drei Könige“ der
Kreativindustrie in einem Schaufenster des Berliner Lafayette-Kaufhauses
nach jüngsten Gerüchten Sympathiewerbung für die „Initiative“ betreiben.
Unter dem Motto: Tanz ums goldene Kalb. Stille, friedliche Vor-Weihnachten
wünscht Ihr
Theo Geißler
Ergänzungen
Kulturausschuss Berlin-Mitte gegen Musikschul-Lehrer-Kündigungen
04. Dec @ 17:05:18
(nmz - thg) Gegen die radikalen Kürzungen an der Musikschule
Berlin-Mitte (die nmz und das KIZ berichteten) hat sich in seiner
gestrigen Sitzung der Fachausschuss für Bildung und Kultur
des Bezirks Berlin-Mitte gewandt. Mit einem Stimmenpatt von sechs
zu sechs Stimmen hat er mit den Stimmen von CDU und Grünen
die Vorlage zur Einsparung von 18 angestellten Musikschullehrerinnen
und Musikschullehrern zur Konsolidierung des Haushalts abgelehnt.
In der öffentlichen Sitzung waren zahlreiche Eltern präsent,
die sich für den Erhalt der kulturellen Bildungschancen
ihrer Kinder einsetzten. Die Umwandlung in Honorarverträge
mit entsprechender Fluktuation und qualitativen Einbußen
für das Gesamtangebot bringt deutliche Risiken für
die Qualität der musikalischen Ausbildung.
Der Bildungs- und Kulturausschuss empfiehlt mit seinem Beschluss
dem Finanzausschuss, diese Einsparungsmaßnahme nicht zu
ergreifen.
In seinen Beratungen vom 12. bis 15. Dezember wird maßgeblich
sein, mit welcher Vorlage der Finanzausschuss arbeiten wird.
Wie die Nachschiebeliste aussehen wird, mit der die Deckungslücke
von 156.000 Euro geschlossen werden soll, und ob und wie die
Musikschule darin enthalten sein wird, steht dabei zur Entscheidung.
Am 20. Dezember findet dann der endgültige Beschluss der
Bezirksverordnetenversammlung statt. Zu diesem Zeitpunkt wird
jedoch niemand mehr das Paket aufschnüren.
Entscheidend wird daher der Beschluss des Finanzausschusses
sein. Wollen die Fraktionsmitglieder der SPD und der Linken nicht
als bildungsfeindlich, insbesondere zu Lasten der Kinder aus
finanziell schwächer gestellten Familien, gelten und zum
sozialen Gefälle innerhalb Berlins beitragen, ist im Sinne
der kulturellen Bildung und Chancengleichheit in Berlin auf eine
Ablehnung der geplanten Einsparungen bei der Musikschule Berlin-Mitte
auch durch den Finanzausschuss zu hoffen. [Die
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GEMA - Eingeknickt? Zur Vernunft gekommen – oder
gebracht?
04. Dec @ 16:54:25
(nmz – thg) Am 29. 11. – unsere friedvolle nmz-Weihnachtsausgabe
war gerade gedruckt – erreichte folgende überraschende
Mail per Verteiler alle GEMA Mitarbeiter (überraschend deshalb,
weil der GEMA-Vorstand mehrfach Gespräche mit ver.di als
Tarifpartner für die Zukunft kategorisch ausgeschlossen
hatte):
Betreff: Sondierungsgespräch mit der Gewerkschaft ver.di
„Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, heute hat der Vorstand
ein erstes Sondierungsgespräch mit Vertretern der Gewerkschaft
ver.di und des Gesamtbetriebsrats geführt. Dabei wurde
vereinbart, noch im Dezember dieses Jahres Tarifverhandlungen
mit ver.di
aufzunehmen. Wir sind zuversichtlich, in den anstehenden Gesprächen
einen gemeinsamen Lösungsweg zu finden und zu guten und
konstruktiven Ergebnissen zu kommen. Über den Verlauf
der Gespräche werden wir Sie weiter informieren. Mit den
besten Grüßen Ihr Dr. Harald Heker“
Die nmz hatte in Ihrer Dezember-Ausgabe dem GEMA-Vorstand noch
zum Mut gratuliert, nach einem erstinstanzlich verlorenen Prozess
gegen ver.di in die Berufung gehen zu wollen. Davon ist im Moment
keine Rede mehr. Welch ein rasanter Gesinnungswandel. Haben wir
es mit einem hochflexiblen Management zu tun, das nach der unternehmerisch
und politisch neuerdings angeblich erfolgreichen Devise handelt, „was
schert mich mein Geschwätz von gestern?“ - Oder trat
nach reiflicher Überlegung ein plötzlicher Grundkurs-Wechsel
auf mit dem Ziel einer Harmonisierung des Verhältnisses
zu den Mitarbeitern? Schön wärs.
Wahrscheinlicher wirkt das Ondit, der GEMA-Vorstand hätte äußerst üppig
in neue IT investiert, deren Einsatz von der Zustimmung des Betriebsrates
abhängig ist. Das kann man unternehmerische Planung auf
hochinteressantem Niveau nennen: Erst einen unerbittlichen Konfliktkurs
fahren, um später glaubwürdig demonstrieren zu können,
wie sehr einem doch die betriebliche Mitbestimmung am Herzen
liegt. Der Vorgang lässt angesichts seiner Professionalität – so
oder so – für Verleger, Textdichter und Komponisten
noch die kunterbuntesten Überraschungen erwarten. Wir erhoffen
eine Stellungnahme des Aufsichtsrates – aber der ist ja
so still…